Requiem for myself
Das Hagen Quartett beendete gestern ihren Schostakowitsch-Zyklus im Wiener Konzerthaus mit den drei letzten Streichquartetten des Leningrader Komponisten. Ein leidvoller und doch wunderschöner Abend.
Zu Beginn muss hier mal was geradegerückt werden! Würde man nach den Postern von “cancelrussia“ gehen, die mittlerweile vielerorts in Wien hängen und quasi ein Abschaffen der russischen Kultur fordern, dürfe Schostakowitsch streng genommen auch nicht mehr gespielt werden. Denn russische Kultur ohne russische Panzer gäbe es ja anscheinend nicht…
Schostakowitsch jetzt auch canceln, oder wie?
Aber mal ganz ehrlich, welches verzerrte Realitätsverständnis liegt dieser Kampagne zugrunde? Schostakowitsch, wie viele Künstler*innen seiner Zeit auch, war zeitlebens Opfer der russisch-sowjetischen Staatsmacht und ihrer launischen Stimmungen. Bereits 1936 wurde er in der Propagandazeitung „Prawda“ aufgrund seiner emanzipatorischen Oper Lady Mcbeth von Mzensk öffentlich verunglimpft und des Formalismus bezichtigt und musste zusehen, wie seine Schwester in ein sibirisches Lager deportiert, sein Schwager verhaftet und seine Großmutter zwangsumgesiedelt wurde. Wann er selbst an der Reihe sein würde, war mehr oder weniger nur eine Frage der Zeit. Auch angesichts eines fortdauernden und brutalen Angriffskrieges sollte nicht fahrlässig verallgemeinert werden!
Der ganze Zyklus ein Klagelied
Doch zurück zu den Quartetten. Schostakowitsch plante eigentlich einen Zyklus von 24 Streichquartetten, ganz nach dem Vorbild Bachs mit seinen 24 Präludien und Fugen für das wohltemperierte Klavier. Aus den 24 konnte Schostakowitsch – in einer Zeitspanne von fast vier Jahrzehnten – nur 15 realisieren, da er ein Jahr nach der Uraufführung des 15. Quartetts (1974) starb. Zu seinem berühmtesten 8. Quartett, in dessen fünf Sätzen er sich jeweils selbst zitiert, vermerkte er: „Ich dachte daran, dass nach meinem Tod wohl niemand ein Werk zu meinem Gedächtnis komponieren wird, daher beschloss ich ein solches Werk selbst zu komponieren. Auf das Deckblatt könnte man schreiben: dem Komponisten dieses Quartetts zum Gedächtnis“.
Würde man die drei letzten Streichquartette Schostakowitschs verschiedenen Akten des klassischen Dramas zuordnen, dann wäre das 13. die Peripetie und Beginn der fallenden Handlung, das 14. das retardierende Moment und das 15. die Katastrophe. Das 13. Streichquartett in b-moll, op. 138 (1970), widmete der Komponist Wadim Borisowskij, dem Bratscher des russischen Beethoven-Quartetts, das alle vorangegangenen Quartette uraufgeführt hatte. Deshalb kommt der Bratsche auch eine führende Rolle zu: der lange und einzige Satz beginnt und endet mit der Bratsche. Pizzicati sowie das Klopfen auf Instrumente wirken wie Aufschreie der Verzweiflung. Begleitet von diesem Klopfen endet der Satz in höchsten Höhen und hinterlässt eine schneidende Kälte.
Schostakowitsch spielerisch
Das Streichquartett Nr. 14 in Fis-Dur, op. 142 (1972-73) wirkt im Vergleich sehr hoffnungsfroh und leicht. Seine drei Sätzen wirken spielerisch und wurden vom Hagen Quartett auch sichtlich anders gespielt: verspielter, bewegter und leichter als die anderen beiden, die nach innen gekehrt, gewichtig und schwerer interpretiert wurden.
Das 15. und letzte Streichquartett in es-moll, op. 144 (1974), steht wiederum total im Zeichen des Todes, des Abschieds und einer herannahenden Katastrophe. Schostakowitsch widmete es dem Andenken an einen Freund, der kurz davor gestorben war. Sechs Sätze im Adagio geben dem Quartett in der Tat einen sehr ruhevollen und abschließenden Charakter. Der Ausdruck ist mystisch, mysteriös, schlicht und im letzten Satz, dem Epilog, schwirren die Bögen stellenweise über die Seiten, wie eine Libelle über einen bleiernen See. So wie auch bereits im 14., kommt dem Cello eine besondere Rolle zu, hier voll und intensiv gespielt von Clemens Hagen. Das 15. Quartett endet mit einem stillen und traurigen Zusammenspiel von Cello und Bratsche.
Einige Sekunden wundersamer Stille, dann begeisterter und bewegter Applaus samt „Bravo“-Rufen, die mich angesichts eines Schostakowitschkonzerts in Wien durchaus in ihrer Intensität überraschten. Aber zum „Schostakowitsch-Zyklus“ geht man auch nur, wenn man bewusst eine Entscheidung trifft und man merkte, dass an dem Abend vor allem die eingeschworene Fanbase im Saal saß, denn die Zuhörenden wirkten fokussiert, wahrhaftig kontemplierend und mitfühlend. Umso schöner diesen letzten Abend des Zyklus im Mozartsaal mit anderen begeisterten Schostakowitschliebhaber*innen teilen zu dürfen!