Sculpture sonore

Die Wiener Festwochen zeigen mit Kraanerg nicht einfach ein Ballett. Das Werk ist eine Skulptur aus Körper, Klang, Bewegung und Licht – eine sculpture sonore.

Das Klangforum Wien spielt Xenakis /// Nurith Wagner-Strauss (c)

Barfuß und ganz in Weiß gekleidet betreten die Musiker*innen die Bühne. Zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer, sowie der Dirigent erscheinen in Schwarz. Links ein Block aus Streichern, rechts ein Block aus Bläsern. Fürs Erste scheint man sich unter diesen binären Strukturen und geordneten Umständen auszukennen, doch dann beginnt Kraanerg: 75 Minuten Klangmasse von Iannis Xenakis, einem Revolutionär mitten in der musikalischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts, der 2022 seinen 100. Geburtstag feiert.

Wie kann man nun jemandem Xenakis Musik beschreiben, der nicht vor Ort in Halle G des Museumsquartiers gesessen ist? Formal handelt es sich um eine Ballettmusik für Instrumentalensemble und Tonband. Wie eine Welle, überflutet die Klangmasse mal kreischend, mal dröhnend den Saal. Würde diese Musik als Filmmusik eingesetzt werden, wäre es garantiert eine Szene, bei der sich einige Leute überlegen würden, sich die Augen (oder/und Ohren) zuzuhalten.

Barfuß-Orchester, Tanz und krasse Klänge /// Nurith Wagner-Strauss (c)

Mit Emmanuelle Huynh, einer Choreografin, und Caty Olive, einer Lichtdesignerin, haben sich nun zwei großartige Künstlerinnen gefunden, die dieser Musik einen Körper geben wollten. So entstand aus Kraanerg auch nicht einfach ein Ballett, sondern, wie sie es selbst beschreiben, eine sculpture sonore aus Körper, Klang, Bewegung und Licht. Die Musik des live spielenden Instrumentalensembles besitzt bereits mehrere Körper, die der MusikerInnen, doch das Tonband, bleibt bewegungslos. Deshalb tanzen die vier TänzerInnen hier vor allem zum Tonband auf einem ebenfalls sehr bewegten Boden, der in Form von schwarz-weißen, projizierten Linien die Gesten der MusikerInnen abbildet.

75 Minuten lang?!

Mit dem Hintergrundwissen, dass es sich bei dem Stück um den Prozess einer Energiebündelung handelt, der in Rebellion mündet, kann man sich vorstellen, dass die 75 Minuten nicht gleichmäßig verlaufen. Die Performance beginnt zwar schon energiegeladen, doch mit nicht enden wollender Kraft treiben es die Künstler*innen auf der Bühne zu einem Zustand, den man schwer in Worte fassen kann. Schreiende Tänzer*innen, deren Beine Maschinengewehre zu sein scheinen. Ein tanzender Dirigent, der am Schluss zu Boden geht. Flackernde Lichter zu dissonant wallenden Klängen. Und plötzlich war es aus. Ein wenig abrupt, wie man der Schockstarre des Publikums entnehmen konnte, doch dann folgten schon die Bravo-Rufe.

Es spielte das Ensemble Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling

Weitere Termine: 8., 9. Juni

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