Aufstand der Hipsterärmchen

Bohema goes Dutch - ein Lobgesang auf das Den Haager Musikfestival Rewire, das sich „abenteuerlicher Musik“ verschreibt.

© Joris van den Einden (m.), Alex Heuvink (l./r.)

 

„Today I’m playing in the FREE Netherlands“, sagt Laurie Anderson am Anfang ihrer Show, die das Rewire Festival, selbstproklamiertes „festival of adventorous music“ in Den Haag als prominentes i-Tüpfelchen (fast) abschließt. Free, das mag angesichts der in den Niederlanden regierenden rechtsliberalen VVD-Suppe etwas euphemistisch klingen, Anderson jedoch geht es um den Vergleich zu ihrem „home country: the United States of America“. Es folgt eine Art Powerpoint-Präsentation über den Zustand der Staaten: Trumps Verbotwörter laufen da von weißer in rote Schrift über (rot=schlecht), Elon Musk ist auf KI-generierten Bildern als grusliger Weltraum-Schurke zu sehen. Zwischendrin wird dann Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ zitiert - was etwas ironisch ist, so widerspricht Andersons Performance, die schick anzuschauend Empörung über das Trump-Regime zum Ausdruck bringt (inhaltlich legitim!), dem gern zitierten Ende des Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit, in der Benjamin vor „Ästhetisierung der Politik“ warnt. Um die BA-Intellektuellen-Keule weiter gen Frankreich zu schwenken: prägnanter formuliert hat das Jean-Luc Godard. „Nicht politische Filme zu machen, sondern Film politisch machen“.

Bootfahren

Nun aber genug mit dem Gemäkel, hier soll es um ein ganzes Festival gehen und nicht nur um den Auftritt des wohl berühmtesten Gastes (den ich zugegebenermaßen nach der Hälfte verlassen habe. Es folgte Tai Chi, schrieb mir ein Freund - das habe ich in meinem Leben auch zweimal gemacht und fand es gut).

Andersons direkter politischer Message-Performance als Abschluss des Festivals gegenüber steht - zeitlich und gewissermaßen auch künstlerisch - das Eröffnungskonzert des Rewire 2025: eine Aufführung des in den 1970ern entstandenen Stückes Maritime Rites des amerikanischen Experimental-Komponisten Alvin Curran. Anders als bei Anderson geht es hier nicht um eine Aussage, auch ist die Performance nicht auf Curran fokussiert, der mit stolzen 87 Jahren mitwirkt. Vielmehr geht es hier ums Kollaborative, um die sinnliche Erfassung. Das Konzert beginnt sozusagen mit einer leeren Fläche, es findet auf einem zentral in der Stadt gelegenen Teich statt, der zunächst (abgesehen von ein paar Vögelchen) unbesetzt ist. Nach und nach schlängeln sich dann über ein Dutzend Ruderboote aus einer zuvor nur für wenige Zuschauer*innen sichtbaren Ecke auf die Wasserfläche, stets mit mehreren Menschen besetzt: in einem sitzen mehrere Blechbläser, in einem anderen Gitarristen, manche Boote sind mit Lautsprechern besetzt.

Links: Laurie Anderson (© Esmée de Vette) /// Rechts: Alvin Currans Maritime Rites (© Maurice Haak)

Ähnlich des Helikopter-Streichquartetts von Stockhausen lässt sich Maritime Rites vielleicht primär im Zusammenspiel mit dem Ort begreifen, als räumliches Musikmachen: die Boote entfernen sich voneinander, steuern auf die Zuschauer*innen zu und von ihnen weg, was natürlich die Akustik beeinflusst. Auch steht in dieser offenen Form der Prozess selbst im Vordergrund, nicht etwa eine deklinierbare These, die gutverstaut mit nach Hause genommen werden kann. Die Boote bilden ein Viel-Eck ohne klare Form, mal scheinen die Musiker*innen unabhängig voneinander zu spielen, dann wieder findet man sich in eine klar zuordenbare gemeinsame Melodie ein. Es ist eine Performance im Entstehen, in Bewegung, die wiederum endet, wie sie begonnen hat: mit dem freien Blick auf den See.

Wohlkuratierte Tattoo-Glieder

Curran, 1938 geboren, und Anderson, 1947, können kaum als Repräsentant*innen des Rewire-Festivals gelten, dennoch ist die Rahmung des viertägigen Programms mit zwei ‚altgedienten‘ Pionier*innen der „adventurous music“, sicher kein Zufall. Zwischen den beiden aber findet das eigentliche Rewire-Festival statt - sowohl auf als auch vor der Bühne mit deutlich jüngerem Personal, das in sich der Den Haager Fußgängerzone schon von weitem durch asymmetrische Frisuren, Raver-Sonnenbrillen und wohlkuratierte Tattoo-Glieder erkennbar zeigt.

Das soll nicht despektierlich klingen - tatsächlich ist das Rewire-Publikum eines der angenehmsten, die mir im sogenannten U-Musik-Festival-Betrieb je passiert sind. Natürlich wird auch hier reichlich Dosenbier in die austragenden Theater, Kirchen und Clubs geschmuggelt, natürlich kommen auch hier oft drei bis vier Menschen aus einer Toilettenkabine (Huch!). Warum auch nicht. Dennoch ist die Stimmung auf den Konzerten eine konzentrierte, das Rewire ist kein reines Party-Sauf-Festival, auch die Handy-Film-Dichte ist vergleichsweise niedrig. Naheliegenderweise liegt das an der Kuration des Festivals; bekannt sind viele der hier auftretenden Künstler*innen, bekannt aber in einer Ecke der Freund*innen etwas tüftlerischer Musikformen, die so groß dann auch nicht ist. Natürlich entsteht dadurch eine Art Bubble-Gefühl, natürlich ist das Rewire ein Festival für herbeipilgernde Eingeweihte, bei denen ein bestimmter Kleidungsstil, eine gewisse Sprechweise und eine Art kanonische Geschmacksgrundlage dominieren, das ist - um dem Klassik-Fokus dieses Magazins zuzuwinken - nicht anders als in Salzburg oder Bayreuth, bloß wird da noch mehr gekokst.

Nala Sinephro /// © Kamiel Scholten

Im Miteinander

Zurück zur Musik, auch wenn das Schreiben darüber bei dem großen Korpus an Musiker*innen, die ins Programm des Rewire gepresst sind, eine etwas haklige Angelegenheit ist - zum einen, weil ich natürlich nur einen Bruchteil des Programms (das neben Livemusik auch aus Tanzperformances, Filmen, Talks und Ausstellungen besteht) gesehen habe, zum anderen, weil es schwer möglich ist, die Bandbreite der Musik unter einen sprachlichen Hut zu bringen, ohne in alle Richtungen zu verkürzen oder diesen Text zur Liste zu machen.

Das Prozesshafte aber, das Fluide, das schon in Bezug auf Alvin Curran betont wurde, steht bei den besten Konzerten an diesem Den Haager Wochenende im Vordergrund. Am Freitag etwa, als Nala Sinephro mit ihren Band-Kollegen die Bühne betritt. Mal sitzt Sinephro an der Harfe, wechselt dann zum Synthesizer. Entscheidend ist nicht, welches Instrument sie gerade spielt, entscheidend ist die Dynamik zu ihren Mitmusiker*innen. Für die ca. sechzig Minuten, die das Konzert dauert, verstummt das Publikum, für die, die da auf der Bühne sitzen, scheint es zu verschwinden. Untereinander aber folgen die Töne den Blicken - leicht wirkt diese Jazz-Elektronik-Fusion, spielerisch.

Überhaupt ist die Verzahnung aus ‚handgemachten‘ Genres und Elektro-Spielerei, die ja auch bei Currans Einstiegsperformance schon angelegt ist, wenig überraschend omnipräsent. Besonders kreativ gelingt das bei den britischen Experimentalisten von Ex Easter Island Head, die teils auf zweckentfremdet waagerecht vor ihnen liegenden E-Gitarren spielen, dann schließlich für den Song „Magnetic Language“ ihre Smartphones zücken, live gesungene Sprachmemos aufzeichnen und diese dann wiederum in virtuoser elektronischer Verwurstung zu einem ansteigenden Klangteppich zusammenfügen. „Auf Platte“ ist das vielleicht hier und da ein bisschen nervig, live: nicht.

Kabelsalat im Prozess

Was beim Rewire (Anderson ausgenommen) ausbleibt, ist das Statement. Vielleicht ist das auf Musikfestivals immer so und ich zu sehr durch Filmfestivals geprägt, auf denen sich im Anschluss an die eigene Filmpremiere gern zu diesem oder jenem von dem man so oder so viel Ahnung hat, positioniert wird. In Den Haag aber spricht, etwas pathetisch ausgedrückt, die Musik; mal im Leisen wie bei Nala Sinephro oder der fantastischen achtköpfigen Post-Post-Indie-Post-Band caroline, mal im Lärm - eine schwitzige Club-Show der britischen Newcomerband YHWH Nailgun (inkl. gesampleter Nagelpistole) gehört zu den Highlights des Festivals.

Diese Musik aber ist selten wirklich dingfest zu machen, oft unvorhersehbar, sie widersetzt sich an vielen Stellen ‚gängigen‘ Songstrukturen (und Hörgewohnheiten sowieso). Keine geraden Linien beim Rewire, sondern Kabelsalat, der im Kopf unentwirrt bleibt. Auch politisch!

© Rogier Boogaard

Schau, da kommen sie

Auf dünnen Beinchen

Dünn und kraftlos wie auch ihre zarten Hände

Nichts können sie halten

Geschweige denn Pistolen und Macheten

Für den kommenden Aufstand

Aber sie wollen doch, unbedingt sogar

(Heinz Strunk, Aufstand der dünnen Hipsterärmchen)






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