Rheingold oder die Macht der modernen Mythen
Xatars Lebensgeschichte wird zum Subjekt eines modernen Mythos. Fatih Akin schafft eine Gangster-Odyssee aus der Migrationsgeschichte eines Mannes.
Mythos & Migration
Der deutsche Rapper Xatar (bürgerlich Giware Hajabi) sollte den meisten Deutschrap Enthusiast*innen ein Begriff sein. Besonders neuerdings fällt er immer wieder mit humorvollen Texten und hochproduzierten Musikvideos auf. Vor allem aber ist Xatar für seinen Raub auf einen Goldtransporter bekannt. In der Deutschrap-Szene besitzt er somit einen Legenden-Status, da er nicht nur über kriminelle Machenschaften rappt, sondern selbst welche im großen Stil durchgeführt hat. Diese „Realness“, die Xatar dadurch besitzt, sorgt für großes Ansehen und ist auch immer wieder das Gesprächsthema bei Interviews, sei es bei HipHop.de oder SternTV. Fatih Akin geht in Rheingold einen Schritt weiter und schafft aus Xatars Lebensgeschichte einen Mythos, welcher, vom Rapper entkoppelt, eigenständig existieren kann. Denn in Rheingold ist die Figur von Xatar viel eher Repräsentationsfläche für Menschen mit Migrationshintergrund, die in „Problemvierteln“ leben. Die Eltern von Giware (Xatar) spielen zu Beginn eine große Rolle. Giwares Vater Eghbal Hajabi war unter der iranischen Elite ein renommierter Komponist, und brachte seinem Sohn die Musik nahe. Im Gegensatz dazu war Giwares Mutter Rhasbal Hajabi eine Heldin unter den kurdischen Widerstandskämper*innen im Iran, die Giware Durchsetzungsvermögen für die Straße mitgab. Akin erzählt märchenhaft die Migrationsgeschichte von Giware und mystifiziert ebensolche Erzählungen an sich. Denn wir bekommen eine klassische Aufstiegsgeschichte eines Menschen erzählt, wie man es beispielsweise aus Scarface (1983) kennt, und mit dem sich wohlmöglich jede Person mit einem Migrationshintergrund identifizieren kann, darunter auch Akin selbst. Das Ankommen in Deutschland, das Leben in einem „Problemviertel“, das ständige Gesagt-Bekommen, dass man sich gegenüber den Deutschen beweisen muss, etc. Diese Aufstiegsgeschichten sind somit auf keinerlei Weise vergleichbar mit dem „American Dream“, bei dem es um finanziellen Aufstieg geht, sondern viel eher geht es hier um gesellschaftliche Anerkennung von Menschen mit Migrationshintergrund, und deren Bestreben, den Deutschen gleichgestellt zu sein.
Bilder von Frauen
Auch in einem Gangster-Film darf es romantische Aspekte geben: In Rheingold fällt leider das Bild von Romantik und Frauen im besten Fall sehr flach und im schlimmsten problematisch aus. Giware verliebt sich in ein Mädchen, welches ihm deutlich zu verstehen gegeben hat, dass sie mit einem Kriminellen nicht zu tun haben will. SCHNITT. Das nächste Mal, als wir sie sehen, packt sie Giware aus heiterem Himmel an der Hand, und sie beginnen rumzumachen. Zum Schluss sind sie glücklich verheiratet. Diese „Eroberung“ spiegelt ein toxisch-männliches Bild wieder, welches häufiger im Film zu finden ist. Grundsätzlich existieren keine weiblichen Perspektiven in Akins neuestem Werk und tauchen nur auf, wenn über sie gesprochen wird. Die Ausnahme stellt Giwares Mutter dar, die als Heldin und starke Frauenfigur etabliert wird, die im Iran Folter ertragen musste, und in einem fremden Land allein ihre Kinder großgezogen hat. Diese Seite wird jedoch nur einmal relevant im Film, als Giware seine ersten Raptexte während seiner Zeit im Gefängnis schreibt und seine Mutter ins Gedächtnis ruft, die ihm klar macht, dass es ja nicht so cool sei, frauenverachtende Texte zu schreiben. Man könnte letztendlich argumentieren, dass das Frauenbild in Rheingold so dargestellt wird, wie es auf der Straße zu finden ist, und man hätte vermutlich Recht. Richtig ist es deshalb trotzdem nicht. Film kann die Realität wiedergeben, muss es aber nicht.
Wo ist das Gold?
Giware besucht mit seinem Vater in Bonn eine Oper, wo zufälliger Weise Wagners Rheingold vorgeführt wird. Hier wird zum erste Mal in Giwares Leben die Frage gestellt, die er noch häufiger hören wird: Wo ist das Gold? Akins Einflüsse aus amerikanischen Gangster-Filmen sind hier überall zu beobachten. Giware ist ein Underdog, der sich im Bonner Ghetto- Milieu durchkämpfen muss. Nach einer Sportmontage a la Rocky (1976) und zahlreichen Festnahmen landet Giware in Amsterdam und verwickelt sich in Machenschaften der Großen Mafiabosse. Nachdem er auf einen Schuldenberg von einer halben Millionen Euro fällt, geschieht der berühmte Goldraub. Wieso ist jedoch dieser Goldraub so relevant beziehungsweise so interessant? Davon abgesehen, dass es sich hierbei um eine spektakuläre Geschichte handelt, und es nur zu empfehlen ist, sich Interviews mit Xatar anzuschauen, in welchen er selbst schildert, wie es abgelaufen ist, ist der letztendliche Goldraub viel eher auch ein kultureller Raub. Ein kurdischer Migrant, der mit Slang spricht, kommt nach Deutschland und klaut den Deutschen ihren wertvollsten Schatz, das Rheingold. Wagners Rheingold. Der materielle Wert ist die Motivation des Raubes, viel wichtiger im Kontext des Akin‘schen Mythos ist der symbolische Wert des Rheingoldes: Xatar ist ein Ausländer, aufgewachsen in einer Parallelgesellschaft und verdient, wie einst Wagner, sein Geld mit der Musik. Akin ist ein Ausländer, aufgewachsen in einer Parallelgesellschaft, und verdient sein Geld mit dem Film, der gleichnamig wie eines der bekanntesten deutschen Opern ist. Die Errungenschaft ist nicht die, dass Giware durch den Raub Geld bekommt, sondern viel eher, dass Ausländer in die kulturelle Mitte Deutschlands eindringen, eben dass die Namen Hajabi, Akin und Wagner nebeneinander genannt werden können.
Das Rheingold
Wo ist also das Gold? Ich antworte: in Xatar! In Akin! In allen Menschen mit Migrationshintergrund, die nach Deutschland kommen, um hier ihr persönliches Rheingold zu finden.