Spielerische Leichtigkeit und slawisches Flair
Bei Mozart spielerisch, jedoch mit prägnanter Akzentuierung; bei Dvořák und Lutoslawski hingegen mit unverkennbarem osteuropäischem Ausdruck: Jewgeni Kissin und Dirigent Jakub Hrůša lieferten einen bemerkenswerten Aufrtitt im Musikverein, bei dem es an Standing Ovations nicht mangelte.
Man würde meinen, Mozarts Klavierkonzert KV 488 passe nicht zu Dvořáks Othello-Konzertouvertüre und Lutoslawskis folkloristischem Concerto für Orchester aus dem Jahre 1954 (Das geplante Originalprogramm für diese Konzertreihe sah immerhin mit Rachmaninows 3. Klavierkonzert ein ebenso osteuropäisches Powerstück vor). Jewgeni Kissin hat es dennoch irgendwie geschafft, diese kontrastierenden Stücke stilistisch zu vereinen.
Kissin der Meister
Wegen einer Sehnenscheidenentzündung im linken Arm tauschte Kissin das vorgesehene Rachmaninow-Klavierkonzert gegen den weniger den Arm strapazierenden Mozart ein; dass er zur russischen Schule gehört, ließ er trotzdem niemanden vergessen: Weg war das putzige Figürchen des braven Salzburger Jungen, der dem Vater und der Kirche ergeben ist, wie ihn Lisiecki noch vor ein paar Wochen hingestellt hatte; bei Kissin tun sich unerwartete Zweifeln, Fragen und Schrecken auf. Er folgt sämtliche Schwankungen der Stimmung Mozarts, zeigt, wie scheinbare musikalische Widersprüche keine Zeichen von Instabilität und Unsicherheit sind, sondern Ergebnis jener Vielfalt musikalischer Begehrlichkeiten, die der Komponist genial und unvergesslich zum Ausdruck bringt. Die dennoch spielerischen Verzierungen und durch Akzentuierungen hervorgehobene Forte-Passagen bescherten den Zuhörer*innen eine wundervoll paradoxe Zweideutigkeit.
Diese bemerkenswerte Mischung war auch in seinen zwei Zugaben, dem bei der Ankündigung für Kichern sorgenden Rondo Alla Turca und Liszts feurig ausgeführten Lieberstraum No. 3, wieder zu finden.
The Real Star of the Show
Doch obwohl Jewgeni Kissin ohne Zweifel der Star des Abends war (und ja, das Konzert begann zwar schon um 15:30, bei dem frühen Sonnenuntergang reichte es jedoch bis tief in die Nacht), stahl ihm Jakub Hrůša nach der Pause die Show.
Es ist die Musik von Béla Bartók, die der naheliegende Vergleichspunkt zu Lutosławskis Konzert für Orchester zu sein scheint - der Titel erinnert an Bartóks berühmte Komposition, die ein Jahrzehnt zuvor entstand. Ein disziplinierter Stil, ein straffer formaler Aufbau und ein klarer Sinn für Logik in der Entwicklung der Themen sind zu erkennen.
Anklänge an Strawinsky finden sich in der gewaltsamen Wiederholung schwerfälliger dissonanter Akkorde, aber im Allgemeinen klingt Lutosławskis Sprache, selbst zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Karriere, eher originell als abgeleitet.
Die Musik wurde durch Hrůša so "national" dargestellt, dass sie politisch unangreifbar ist, und doch modern und persönlich genug ist, um die Grenzen des stalinistischen künstlerischen Credos zu sprengen. Sie erklang wie die Abbildung eines breit entfaltetes Freiheitsgefühls, das mit den letzten Tönen und dem Beginnen des begeisterten Applauses in einem Gefühl der Erlösung mundete. Ein Gefühl, das auch schon von der Pause durch Dvořáks Othello-Konzertouvertüre und ihren triumphalen Melodien vermittelt wurde. Eine leidenschaftliche slawische Wucht lag hinter jedem Crescendo und jedem Klimax.
A Publikumsliebling is born
Sichtlich emotional gerührt wurde Hrůša durch den tobenden Beifall immer und immer wieder auf die Bühne zurückgeholt, das letzte Mal sogar ganz alleine, lange, nachdem das Orchester und die Besucher, die es eilig hatten, den Saal verlassen hatten.