Schreckliche Blicke
Kein Schleiertanz unter Mondschein und ein groteskes Ende: Salome im Dschungel Wien enthüllt das Entstellte hinter Oscar Wildes schönen Worten.
„Du siehst sie zu viel an. Es ist gefährlich, Menschen auf diese Art anzusehen. Schreckliches kann geschehen.”
Das zerstörende Potenzial des begehrenden Blickes liegt in Sebastians Kranners Inszenierung von Salome nicht erst in seinen Folgen. Der Akt des Schauens selbst wird zum Unheil, das es zu entfachen vermag. Wo andere Oscar Wildes Stück als eine „Versinnlichung des Begehrens“ verstehen, wird hier eine klare Antithese aufgestellt: Wir sind vom Teilhaben am betörenden Rausch, der sinnlichen Verlockung ausgeschlossen.
Die Prinzessin Salome, schon aus Beschreibungen ihrer Bewunderer noch vor ihrem Auftritt bekannt, ist vor den Blicken ihres Onkels Herodes bei einem Festmahl geflohen. Sie hört die wirren, prophezeienden Rufe des Gefangenen Johanaan aus dem Kerker und nutzt die Begierde der Männer, der sie ausgesetzt ist: Einmal um den Gefangenen zu sehen, und ein zweites Mal um diesen zu bezwingen, als er ihre Faszination nicht erwidert. In ihrer Kränkung gibt sie dem beständigen Drängen ihres Onkels nach, der verspricht ihr jeden Wunsch zu erfüllen, wenn sie für ihn tanzt - und verlangt den Kopf des Johanaan, dessen Mund sie um jeden Preis küssen will.
Tragödie entmystifiziert
Der Johanaan dieses Stücks (Colin Johner) ist nicht autoritär und würdevoll. Und Salome (Lea Witeschnik) ist auch keine Verführungskünstlerin. Macht ist nicht beflügelnd, sondern eine Bürde. Und Erotik existiert nur in der poetischen Verherrlichung der Sprache. Diese Entzauberung wird bewusst und beständig eingesetzt, so ist auch König Herodes (Filipp Peraus) nicht königlich, sondern schlichtweg aufdringlich. Die Szenen spielen sich nicht auf einer offen Palastterrasse ab, sondern in einem bescheiden eingerichteten Wohnzimmer. Die Message scheint klar: Dies ist in Wahrheit nicht eine mystische Geschichte über Prinzessinnen, Engel und Propheten in entfernten Welten, über Intrigen und Verführung, sondern ein Horror, der sich in gewöhnlichen vier Wänden und hinter verschlossenen Wohnungstüren abspielen kann.
Male Gaze auf der Bühne: Kamera als Zeuge oder Komplize?
Schreckliche Blicke beschwören schreckliche Dinge - diese werden aber nicht erst passieren, sondern geschehen schon zu lange. Abgewendete, abweisende, unerwiderte, beharrliche oder tatenlose Blicke - keine davon sind harmlos. Verzögerte Kameraübertragungen von ausserhalb stehen im Widerspruch zum Bühnengeschehen. Das Spiel aus Sehen und Verstecken wird fortgeführt. Symbolisch, prophetisch, subjektiv - wie bei der Sprache des Oscar Wilde ist auch in den eingesetzten Mittel der Inszenierung schwierig zu sagen, was illusionistische Hyperbel ist und was über Eindrücke des Erlebten hinaus Tatsache selbst. Obwohl das Stück angesichts der Thematik und der Perspektive Wucht hat, so gibt es doch ein paar Momente, die sich auf der Schwelle zum Übermaß besser halten als andere.
So wilde Freude nimmt ein wildes Ende
Insbesondere den abgetrennten Kopf in der letzten Szene wie eine Bowlingkugel auf aufgestellte Kegel zu schleudern, wirkt irritierend und grostesk. Wo doch das Bild des entschleierten Hauptes der Mutter in Händen der Tochter, eben noch geküsst, ein so effektives ist: die Tochter hier selbst wirkt als Verblendete, die kosmische Gerechtigkeit, die falschgesetzte Wut, Lust, und Rache im Akt der Täuschung zusammengefasst, die Mutter als die eigentlich Schuldige.
Eine eine sehr dynamische Inszenierung, die es immer wieder schafft das Publikum zu überraschen und die Gewalt der Lust durch die archaisch rohe Emotionalität der Schauspielleistungen durchringend untermalt.