Schumann, mein Liebchen und ich

Liebesgeschichte nach einer wahren Begebenheit im heineschen Style mit Schumanns schmachtendem Liederkreis Op. 24.

Carl Spitzweg: Der Abschied, Quelle: Wikimedia

Carl Spitzweg: Der Abschied, Quelle: Wikimedia

„In der Nacht mit meinem Kummer

Lieg ich schlaflos, lieg ich wach“

So ist es auch heute und auch heute sind es wieder Gedanken an mein Liebchen, die mich nicht ruhen lassen.

„Träumend wie im halben Schlummer,

Wandle ich bei Tag“

Morgen, morgen werde ich sie nicht sehen, werde umhergeistern, ohne Ziel und ohne Willen, werde mir selbst nicht gefallen, mich über mich ärgern, werde suchen wie Christoph Prégardien mit Michael Gees in der zweiten Strophe.

Dur:

Morgens steh ich auf und frage:
Kommt feins Liebchen heut?

Moll:
Abends sink ich hin und klage:
Ausblieb sie auch heut.

Moll:
In der Nacht mit meinem Kummer
Lieg ich schlaflos, wach;

Dur:
Träumend, wie im halben Schlummer,
Wandle ich bei Tag.

Wie schön übersetzt Schumann Heines Morgen/Tag- bzw. Abend/Nacht-Parallelismus in Dur und die dazugehörige Mollparallele!

Solche Lieder singend verbringe ich meinen Gesangsunterricht, wohl wissend, wen ich mit meinem Liebchen meine und wohl meinend, den Ausdruck Schumanns und Heines genau nachzufühlen. Auch meinem Lehrer enthalte ich den Grund meines heute recht leidenschaftlich und authentisch geratenen Ausdrucks – mein Liebchen – nicht vor.

Beschwingt vom Schwung solch trauriger Lieder, beschwingt von der Traurigkeit, die sich bey diesen Liedern in guter Gesellschaft sieht, beschwingt von dem Gefühl, mit Heine und Schumann zwei Leidensgenossen, die gern im Finstern schwelgen, gefunden zu haben, verlasse ich das Hochschulgebäude.

Auf dem Treppenaufgang zum Eingang steht – sie.

Ich kann es kaum fassen, lache innerlich dem Schicksal zu und begebe mich auf sie zu. Da schießen mir die letzten Zeilen eines andern Liedes in den Kopf, in dem mein Liebchen mit dem mir beheimateten Rhein metaphorisiert wird:

„Die kann auch so freundlich nicken,

Lächelt auch so fromm und mild.“

Berg und Burgen schaun herunter
In den spiegelhellen Rhein,
Und mein Schiffchen segelt munter,
Rings umglänzt von Sonnenschein.


Ruhig seh ich zu dem Spiele
Goldner Wellen, kraus bewegt;
Still erwachen die Gefühle,
Die ich tief im Busen hegt.


Freundlich grüßend und verheißend
Lockt hinab des Stromes Pracht;
Doch ich kenn ihn, oben gleißend,
Birgt sein Innres Tod und Nacht.


Oben Lust, im Busen Tücken,
Strom, du bist der Liebsten Bild!
Die kann auch so freundlich nicken,
Lächelt auch so fromm und mild.

***

Ein kurzes Gespräch, ein Kompliment, ein Lächeln, ihre Schönheit, mein Verlangen, schon ist sie weg. Wieder beschwingt bin ich, blicke der Januarsonne entgegen, beschwingt von ihrer Unerreichbarkeit, vom Einssein mit längst gestorbenen Seelenverwandten. Vom Spielchen des Schicksals, sie mir dort auf den Treppenaufgang zu setzen, entsteht ein Drang, dieses Gefühlskonvolut zu teilen.

Im letzten Lied des Zyklus meinte ich beim Singen auch wieder Schumanns Regungen voll und ganz nachempfinden zu können. Im Text heißt es dort:

„Doch aufs neu die alte Glut sie [die Lieder] belebt,
Wenn der Liebe Geist einst über sie schwebt.“

„Aufs neu“ wird durch Schumann versinnbildlicht, indem er die beiden Zeilen tatsächlich zwei Mal unterschiedlich vertont: Zu erst in einer suchenden, tonartfremden Harmonik, die schließlich doch in die Tonika D-Dur findet, um dann „aufs neu“ innerhalb der Grundtonart auf dem hohen g („Liebe“ – natürlich) zu kumulieren. Dachte Schumann vielleicht an seine Clara oder im Schaffensrausch des Leipziger Liederjahres vielleicht eher an ein Liebesideal, so war ich beim Explodieren auf dem hohen g ganz bei meinem Liebchen.

Mit Myrten und Rosen, lieblich und hold,
Mit duft’gen Zypressen und Flittergold,
Möcht’ ich zieren dieß Buch wie ‘nen Totenschrein,
Und sargen meine Lieder hinein.

O könnt’ ich die Liebe sargen hinzu!
Auf dem Grabe der Liebe wächst Blümlein der Ruh’,
Da blüht es hervor, da pflückt man es ab, –
Doch mir blüht’s nur, wenn ich selber im Grab.

Hier sind nun die Lieder, die einst so wild,
Wie ein Lavastrom, der dem Ätna entquillt,
Hervorgestürtzt aus dem tiefsten Gemüt,
Und rings viel blitzende Funken versprüht!

Nun liegen sie stumm und totengleich,
Nun starren sie kalt und nebelbleich,
Doch aufs neu die alte Glut sie belebt,
Wenn der Liebe Geist einst über sie schwebt.


Und es wird mir im Herzen viel Ahnung laut:
Der Liebe Geist einst über sie taut;
Einst kommt dies Buch in deine Hand,
Du süßes Lieb im fernen Land.

Dann löst sich des Liedes Zauberbann,
Die blaßen Buchstaben schaun dich an,
Sie schauen dir flehend ins schöne Aug’,
Und flüstern mit Wehmut und Liebeshauch.

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