Wenn Scheinwerfer auf grauen Asphalt treffen

Kultur, die in die Illegalität gedrängt wird – Nacht-und-Nebel-Aktionen vor den Theatern Wiens von diebuehne_

Foto: Rieke Grätz/diebuehne

Foto: Rieke Grätz/diebuehne

Ich erinnere mich noch ganz genau an meinen letzten Clubbesuch, an das letzte Mal Kino, sogar an die letzte Hausparty...aber an meinen letzten Theaterbesuch, so ohne jegliche Hygyniemaßnahmen, ohne leere Plätze neben mir, ohne Maske? Keine Ahnung mehr.

Fast ein bisschen normal haben sich an einem Freitag im März ein paar Minuten vor dem Burgtheater angefühlt. “Die Bühne”, eine Künstlergruppe um Initiatorin und Schauspielstudentin Olivia Purka, hat an diesem Abend um 20:21 Uhr vor 8 geschlossenen Kulturhäusern in Wien gespielt. Alle zur gleichen Zeit, in der gleichen Stadt, mit dem gleichen Ziel: Licht ins Dunkel bringen. Die Performances vor den Theatern waren nicht nur schauspielerische; jede darstellende Kunstform fand an einem der Orte ihren Ausdruck, stand wieder für kurze Zeit im Licht der Scheinwerfer.

Die mit Kreide gesprayte, sternförmige Bühne war von den Künstler:innen markiert, natürlich mit Abstand, Maske und nur einer Kontaktperson. Kunst à la Gesetzeslage. Es gab Momente, da war es auf der Ringstraße so ruhig, dass man die Musik der Tänzerin (Betty Bester, MUK) gehört und jedes Wort der Spielerin (Olivia Purka, MUK) problemlos verstanden hat. Dann ging der Trubel der Großstadt wieder los.

Niemand läuft vorbei, ohne einen Blick auf das Geschehen zu werfen

Autos düsen über die Ampel, alle paar Minuten fährt eine Bim vorbei, Essenslieferanten radeln beschämt durch das Bild des Kameramannes. Nachtaktive joggen vorbei, Anzugträger mit dem Handy am Ohr senken ihre Stimme beim Vorbeigehen. Fahrradfahrende machen Halt, zwei Mädels in der Bim pausieren ihre Unterhaltung und schauen gebannt auf die kleine, weiße Fläche. Niemand läuft vorbei, ohne zumindest einen Blick auf das Geschehen zu werfen. Meistens folgt ein zweiter. Alltag trifft Bühne.

Foto: Alisa Guberman

Foto: Alisa Guberman

Die Schönheit der Kunst sichtbar machen ist ein Anliegen dieser Gruppe. Diese Schönheit wurde deutlich, als sich die Tänzerin das Herz aus dem Leib tanzte und wir sie vor Erschöpfung nach Atmen ringen hörten. Das Atmen ausgepowerter Darsteller:innen nach einer Aufführung, wenn die Bühne schon dunkel und die Musik aus ist, ist einer dieser Momente der darstellenden Künste, der sie in ihrem Wesen besonders macht. Als Publikum merkt man: was in diesem Sekundenbruchteil passiert, ist echt. Und man selbst unmittelbar dabei. Das ist genau das, was gerade so fehlt, jetzt wo Kunst nur noch vor einem grellen Bildschirm existiert.

Wir sind noch da!

Kultur leben zu dürfen, ist ein Menschenrecht schreibt die Gruppe in ihrem Konzept und fragt sich, wo neue Räume entstehen können, wenn die Kultur momentan ihr eigenes Existenzrecht verliert. Die Botschaft lautet: Wir sind noch da! Zu Beginn dieses Projekts wurden ausgewählte Theaterhäuser in Berlin bespielt. Daraufhin expandierte die Aktion in ganz Deutschland (Bochum, Würzburg, Dresden, Karlsruhe, Schwerin, Heidelberg, Essen, Ludwigsburg, Potsdam und Bielefeld, die Liste ist lang) und jetzt war Wien dran.

Die bespielten Kunst- und Theaterhäuser unterstützten diese Aktion mit einer Stromspende, positionieren und vernetzen sich so mit. Mit dieser kleinen Spende unterstützen sie das Projekt diebuehne_ bei ihrem Projekt #2021gehtdasLichtan. Wir berichten erst im Nachhinein, da das Projekt für die breite Öffentlichkeit geheim bleiben musste, denn es dürfen keinerlei Veranstaltungen stattfinden. Eine Nacht und Nebelaktion, dachte ich mir, als ich zum Burgtheater schlenderte und sah wie die Polizei am Ort des Geschehens vorbei lief und sich bei den Organisator:innen nach Recht und Ordnung erkundigte. Jetzt lieber nochmal kurz um den Block, beschloss ich vorsichtshalber.

Auf Instagram gibt es einen detaillierteren Einblick in das grenzüberschreitende Projekt, mit allen kreativen und engagierten Köpfen dahinter. Ein Projekt und eine Gruppe, die es zu (ver-) folgen gilt.

 

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