Should I stay or should I go?
Ein Held, der sich in den armen einer ‘gefährlichen Frau’ verloren hat, ein anderer, der ihn rettet und meine Erkenntnis über das Fokussiertbleiben - Salieris Armida im Theater an der Wien.
Stay focused. Klingt nach einem banalen Kalenderspruch, in letzter Zeit meine ich aber die tatsächliche, tiefgreifende Bedeutung dieser zwei Wörtchen verstanden zu haben. Seine Ziele hartnäckig verfolgen, nicht vergessen, wer man ist, wo man ist, was man erreichen möchte: Ein täglicher Struggle, der einen lebenslang begleitet. Manchmal erlebt man dann eine Phase, in der man denkt, man hätte diesen Fokus. Um dann plötzlich doch zu merken: Das war eine ordentliche (Selbst-)Täuschung.
Auch Helden haben schwere Lebensphasen
Genau so eine lost-Phase macht Rinaldo durch. Er ist ein Kreuzritter, ein Held und verbringt auf der magischen Insel der Zauberin Armida eine traumhafte Zeit, verliebt in die Zauberin, und vergisst dabei komplett, dass sein Platz ganz woanders ist. Bis er dann wachgerüttelt wird, in Händels Version von seiner treuen Geliebten, in Salieris Fassung, die ich in konzertanter Aufführung im Theater an der Wien erleben durfte, ist es sein Freund Ubaldo. Der eigentlich der echte Held der Story ist: Zunächst besiegt er ohne weiteres die inselschützenden Dämonen, eindrücklich vertont in der Ouvertüre.
Dann widersteht er den Waffen der Frau, ein ganzer Chor an Nymphen und Armidas Vertraute Ismene versuchen ihn aus kühler Berechnung zu verführen. „Vieni al fonte del contento / Fortunato passegier / È perduto ogni momento / Che si perde pe’l piacer“, singen sie. Ich muss ehrlich zugeben, würde mich eine ganze Gruppe sexy Nymphen zur „Quelle der Freude“ rufen, würde ich wohl nicht lange widerstehen...
Auch dem erneuten Angriff der Dämonen wehrt er locker ab, ein echter Held eben. Zu diesen Szenen, die statisch auf der Bühne wiedergegeben wurden, lieferten mangels eines Bühnenbildes die Talens Lyriques die dramatische Untermalung. Natürlich hat der Action auf der Bühne gefehlt. Doch dank Salieris teils wirklich bildstarken Orchesterparts und der spritzigen und trotzdem disziplinierten Interpretation des Originalklangorchesters war die Oper auch konzertant ein Genuss. In eher lahmen Passagen konnte man immer noch mit seinem Blick die wunderhübsche Innenarchitektur meines Lieblingsopernhauses der Stadt streicheln.
Liebe oder Krieg?
Ubaldo erledigte seine Aufgaben weiterhin heldenhaft effizient, den verliebten Rinaldo rüttelte er wach. Dieser wurde am Ende doch nochmal schwach, überlegte hin und her. Soll er gehen, seine eigentliche Rolle wieder einnehmen? Oder bleiben und das Liebesleben mit Armida genießen? Ganz so banal war das gar nicht, die beiden schienen sich wirklich zu lieben. Daraufhin verlor Ubaldo die Geduld, verständlicherweise. Nach all dem, was er geleistet hat, will sich sein Freund doch hinter dem Rock Armidas verstecken? Geh nur zurück, du unglücklicher Sklave, sang er genervt.
Armida ließ aber nicht locker, so einen geilen Typen will man doch nicht so schnell verlieren. Am Beginn des dritten Aktes versuchte sie erst, mit ihrer schwarzen Magie die Sache zurückzubiegen. Auch hier malten die Musiker*innen inklusive des großartigen Choeur de Namur die Szene mit Tönen nach. Man sah den zwielichtigen Zauberkeller Armidas, in dem sie aber diesmal scheiterte, ihre Zauberei versagte diesmal aber.
Also griff sie zu ihre letzte Waffe: ihre Schönheit. Sie eilte zum Strand, erwischte den scheidenden Rinaldo knapp und war auch kurz davor, ihn umzustimmen, zum Ärger Ubaldos. Als die zwei Ritter dann doch gingen, verfluchte Armida seine neue Ex: „Ich will in seine Brust alles Gift der Hölle gießen“. Kein smoother Breakup, da hatte jemand arge Probleme, mit der Realität fertigzuwerden.
Diese Aufführung führte eindrücklich vor, warum man eigentlich in die Oper geht: Mögen die Stories noch so veraltet und langsam sein, ihre abstrakte Essenz ist immer noch aktuell. So lieferte Armida nicht nur schöne Musik, sondern auch Stoff zum Nachdenken. Bin ich eigentlich auch so ein fauler Held, der vergaß, wo er hingehört? Was heißt es eigentlich, fokussiert zu bleiben?
Das Theater an der Wien hat jetzt bis zur nächsten Saison zu, immerhin kann man die Talens Lyriques am 10. Juli im Konzerthaus nochmal erwischen. Ich werde hingehen, viel bessere Barockorchester kenne ich keine.