Auf der Suche im Bilderrausch – Skinamarink

Leere Räume, seltsame Nostalgie und pure Furcht - Ein Horrorhype der viele Fragen hinterlässt.

© Shudder

Was ist eigentlich ein „Marink“ und warum soll ich es häuten? Das ist nur eine der vielen Fragen, mit denen mich das kryptische Langfilmdebüt des kanadischen Regisseurs Kyle Edward Ball im vollen Filmcasino zurückgelassen hat. Besonders sein plötzlicher Hype verwundert mich. Nachdem der Film nämlich versehentlich (?) im Internet geleakt wurde, erfuhr dieser beispielsweise auf TikTok eine riesige Popularität. Und das, obwohl der Film der Rezeption und narrativen Konventionen der Plattform nicht stärker widersprechen könnte.

Also worum geht es eigentlich? Na ja, das ist schwer zu sagen... Ich glaube, es geht grob um zwei Kinder, die nachts durch ihr Haus irren und ihre Eltern suchen. Diese scheinen irgendwie verschwunden zu sein... oder etwa doch nicht? Das Narrativ bietet allgemein wenig klassische Strukturen, sondern vermittelt uns eher sprung- und rauschhaft das Gefühl, als Kind nachts im Bett zu liegen, seltsame Geräusche zu hören und in eine schaurige Stimmung zu verfallen. Eine Mischung aus gefühlter Angreifbarkeit und der eintretenden Verarbeitung der letzten aufgeschnappten seltsamen Dinge. Am schlimmsten ist das natürlich, wenn man vorher noch verstörende Cartoon-Folge oder so etwas gesehen hat. Solche tauchen hier nämlich besonders prominent auf. Direkte Assoziation: Die viel zu verstörende Micky Maus Folge Organ Donors, die ihr bitte mal googeln
sollt. Skandalös.

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Liminal Spaces

Wie ist denn nun das anfangs erwähnte Verhältnis von Skinamarink zu TikTok? Es lassen sich schnell zwei Gründe entdecken, die für die Attraktivität des Filmes auf der Plattform sprechen. Einerseits ist hier die Verwendung von Räumen zu erwähnen. Über wirklich sehr große Anteile des Filmes sehen wir lange Aufnahmen von (vermeintlich?) leeren Räumen, die eine Atmosphärenmixtur aus
existenzieller Panik, Nostalgie, Wärme und Kälte erschaffen. Leere Räume, Räume voller Lego, Hausflure... Diese lassen sich perfekt mit den im Internet häufig zu sehenden „liminal spaces“ verknüpfen. Verlassene, bizarre und nostalgische Zwischenräume. Eine Ästhetik, die sich im Internet wie auf TikTok einer großen Beliebtheit erfreut. Den bisher größten – und vermutlich von Skinamarink nicht zu übertreffenden – filmischen Hype löste hier wohl 2022 der auf einer populären Creepypasta basierende Found-Footage-Horrorfilm The Backrooms des zum Drehzeitpunkt sechzehnjährigen Regisseurs Kane Parsons aus, der derzeit 45 Millionen Views zählt.

Neben dieser Internetaffinität zu bizarren Räumen muss auf jeden Fall auch noch erwähnt werden, dass die Plattform TikTok künstlerisch nicht zu unterschätzen ist. Ich muss hier in meiner Timeline direkt an Creator*innen wie Molly Moon (www.tiktok.com/@mollymoonn2) denken, die in ihren kurzen Videos eine verstörende und nostalgische Abwandlung von alten Point-And-Click-Adventure-
Games präsentiert. Es hat schon Gründe, warum Filmemacher*innen wie Radu Jude (Bad Luck Banging) TikTok bereits in ihre filmische Jahresbestenlisten inkludiert haben...

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TikTok oder Filmmuseum?

In Bezug auf die zeitliche und narrative Konzeption ist Skinamarink jedoch ein absoluter Anti-TikTok-Film. Während auf TikTok extrem beschleunigte Narrative erzählt werden (müssen), die, um möglichst erfolgreich zu sein, eine schnelle Gratifikation der User erzeugen, ist Skinamarink ein ultralangsamer minimalistischer Experimentalfilm. Wie bereits erwähnt, sehen wir hauptsächlich Räume – und das hundert Minuten lang. Da muss man halt auch mal eben ein paar Minuten die Legosteine im Kinderzimmer betrachten. Das ist sicherlich näher an einem nischigen Filmprogramm an einem Dienstagabend im Filmmuseum dran als an dem neuesten Horrorkracher auf dem SLASH. Passend dazu sind die meisten (extrem vereinzelten) Spezialeffekte, die wir sehen, auch so minimalistisch gehalten, dass wir diese in ähnlicher oder gar gleicher Form bereits in Filmen von vor über hundert Jahren sehen können. Eine Assoziation meinerseits war hier das Slow-Cinema Highlight Memoria, über das ich 2021 auf der Viennale schrieb. Ewiges Warten und langes Betrachten von stillstehenden Bildern. Bloß statt der meditativen Erfahrung in Memoria, schafft Skinamarink dann doch eine gänzlich andere Seherfahrung...

Mathematisch gesehen dann doch sehr schaurig

Dem Film gelingt durch die extreme Langsamkeit nämlich etwas Großartiges. Während wir die zuweilen quälende Langsamkeit anfangs noch aushalten müssen, gewöhnen wir uns langsam an diese Struktur und beginnen und zu sensibilisieren. Wir fangen an, jede kleinste Bewegung auf der Leinwand oder im Kinosaal wahrzunehmen, wobei eine Veränderung der Lichtsetzung auf der
Leinwand oder das Verlassen des Kinosaals durch eine Person eine drastische Aktion von monumentaler Bedeutung zu sein scheint. Wenn uns der Film dann mal direkten Horror präsentiert, dann spüren wir diesen auch wirklich in Form von purer Furcht. Addieren wir diese einzelnen Horrorelemente auf, kommen wir so immerhin zu einer Summe an verspürter Angst, die jener eines konventionelleren Horrorfilms in nichts nachsteht. Wenn wir das mit Minuten verknüpfen, einen
Gruselwert damit multiplizieren und Skinamarink einen durchschnittlichen relativ stabil gruseligen Horrorfilm entgegenstellen, entsteht eine Gleichung, die irgendwie so aussieht: 95 x 5 Grusel + 5 x 1000 Grusel > 100 x 50 Grusel.

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Would you like to play a game?

Neben diesen eisigen Schockgipfeln haben wir in den stillen Momenten noch ein nettes kleines Spielchen, mit dem wir beim Betrachten der dunklen Räume unsere Zeit vertreiben können. Es nennt sich „Ist da eine Gruselgestalt oder bilde ich mir das nur ein?“. Das Bild ist nämlich vor allem in seinen düsteren Momenten von einem starken Rauschen bedeckt. Bei der Beobachtung der umherflirrenden Punkte hatte ich immer das Gefühl, gewisse menschenähnliche Formen zu sehen.
Ich bin mir aber ehrlich gesagt nicht sicher, ob dieser existiert haben oder ich mir das in einer Kombination aus mangelnder Beschäftigung und latenter Angst nur eingebildet habe. Bei schwarzem Bild dachte ich durch die Dynamik der Punkte hingegen immer, dass die Kamera gegen eine Wand fährt. Ein treffendes Bild für mein Scheitern einer tieferen Bedeutungszuschreibung.

Skinamarink ist insgesamt ziemlich empfehlenswert. Er übernimmt in gewissem Maße typische Merkmale der im Internet positiv rezipierter Kunst und unterläuft diese gleichzeitig radikal. Und wenn man die eingehende Irritation durch die Langsamkeit erst einmal übersteht, kann man abseits jeglicher nüchterner Konzeptsympathie auch noch einen innovativen Horrorfilm mit doch insgesamt ganz schön heftiger Wirkung erleben! Übrigens muss man den Film nicht im Kino sehen, es wäre wohl am intensivsten, sich alleine in einem dunklen Raum der düsteren Rückbesinnung auszuliefern – die Kinder in der Handlung sind ja auch auf sich allein gestellt. Wenn man bedenkt, wie der Film seinen Hype erhalten hat, sollte eine solche Sichtung sicherlich nicht allzu schwer zu organisieren sein...

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