Eine Nacht im Wald

Leuchtende Zungen, Technosounds und warum das Tier in uns Performances liebt: Das war die Eröffnung des imagetanz-Festivals.

(c) Andrea Pizzalis

Eine ziemlich abgelegene Industriehalle im 20. Bezirk hat die einzigen beleuchteten Fenster im Umkreis. Man geht lange einen dunklen Weg entlang, bis man sie von innen sieht: La notte è il mio giorno preferito - die Nacht ist mein liebster Tag. Annamaria Ajmones Performance über die uns allen innewohnende Intuition eröffnet das imagetanz-Festival.

Das Tier in dir

Das Bühnenbild ist recht karg. Zwei große Stoffgebilde hängen wie Pilze von der Decke, eine große Leuchttafel stellt Baum und Dach zugleich dar. Ebenfalls mit Stoff überzogen, hängt dieser wie ästhetisches Unkraut über die Ränder der Installation. Durch die schwache Beleuchtung zieht alles im Raum lange Schatten. Dann passiert lange nichts.

Eher unbeeindruckt schaut man geradeaus, bis sich die Performance unbemerkt von selbst in Gang setzt. Pupillen weiten sich und tasten den Raum ab. Man wird empfänglich für die simpelsten Bewegungen im Saal. Ajmone startet ihren Auftritt mit einem leisen Pfeifen. In kreisenden Tanzsegmenten bewegt sie sich langsam durch den Raum und verwandelt sich mithilfe einer Fellrequisite in jegliche Kreaturen des entstehenden Waldes. Immer nur kurz, bis sie wieder im Dunkeln verschwindet.

Ein Kreis aus rotem Licht folgt ihr unkoordiniert, wie eine Nachtsichtkamera einem Reh, und ein Spiel aus Verfolgen und Verstecken beginnt im imaginären Wald. Wenn ein Sinn wie das Sehen im Dunkeln eingeschränkt wird, entdecken wir die Fähigkeit derer, die uns bleiben. Und verstehen ziemlich schnell, worauf das Stück hinaus will. Im Fokus ihrer energiegeladenen Technik steht dabei vor allem Ajmones Zunge, die sie später mit Leuchtfarbe beschmiert und wie ein neues, externes Körperteil, aus ihrem Mund ragen lässt.

(c) Andrea Macchia

Body Talks

Zwar manchmal knapp an kultureller Aneignung vorbeischrammend - man schaue sich zum Vergleich eine Haka-Zeremonie der Māori an - erfüllt die Performance trotzdem wunderbar ihren Zweck: Die intuitiven Mechanismen des eigenen Körpers werden geweckt. Meist unbemerkt im Alltag wird hier mit Reflexen, mit Ungewissheit so gespielt, dass es spürbar wird, wie sehr wir unsere Umwelt wahrnehmen können. Und das immer wieder mit der Frage kokettierend, ob wir das Geschehen beobachten, oder ob der pulsierende Wald durch seine verschiedenen Bewohner genauso oft zurückschaut. Ein bisschen enttäuschend bleibt dabei die Musikwahl, die eher an Techno-Wald mit Regenwaldgeräuschen erinnert. Ein schönes Jazz-Solo oder eine Live-Band hätten hier den Effekt eleganter unterstützt.

Und dann tritt man auch schon zurück nach draußen, vorbei an Sektparty und Politiktalk, und steht im Dunkeln, mal wieder, und hört die Sinne rauschen.

Das imagetanz-Festival ist unter dem Motto “we show you what you can’t see” noch bis zum 23. März in den Spielstätten des brut Wien zu sehen.

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