The Leipzig Years — Kapitel 8
ACHT
Es ist Dienstagabend, Felipe und ich haben Sara und Hanna zum Essen und Weinsaufen eingeladen und die Stimmung ist scheiße.
Irgendwie scheint es, zwischen Sara und Felipe nicht mehr so wirklich gut zu laufen, die haben sich wenig zu sagen, auch Hanna wirkt abwesend, distanziert, ich weiß, was das bedeutet, bin nervös deswegen, ärgere mich, über mich selbst, dass ich WIEDER dachte, dieses Mal, dieses Mal, alles anders, dieses Mal, da läufts. Drei Tage hat die Illusion gehalten und als Hanna meint, sie geht nach Hause, was gleichbedeutend ist, mit sie pennt nicht bei mir, offensichtlich, sage ich, dass ich sie ein Stück begleite.
Wir laufen ziemlich schweigend nebeneinander her. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, will nicht, dass sie sagt, was sie schon weiß. Wir laufen Richtung Rabet, es ist Dunkel, es ist wenig los, ich bin leicht angetrunken.
Direkt nachdem wir die Eisi überquert haben, sagt sie es, sagt ‘’Emil, das hat keinen Sinn, du suchst ganz klar nach was, was ich dir nicht geben kann, du sagst immer, dass es ok für dich ist, so wie es zwischen uns ist, aber ich merk das doch, ich merk doch, dass es dir nicht genügt. Wenn ich könnte, dann würde ich dir gern so viel mehr geben, aber ich kann das nicht, ich bin so nicht.’’
‘’Ich bin… nein, ich bin nicht ok, du hast recht, aber ich…’’
‘’Emil, das wird aufhören, ok? Das war es jetzt, nicht so wie die letzten Male, das war auch mein Fehler, ich hab dich immer wieder hoffen lassen, das tut mir wirklich so leid, aber das muss jetzt vorbei sein. Dieses Mal wirklich.’’
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, mein Magen dreht sich um, ich will schreien ‘’Nein, nein, für mich ist wirklich alles in Ordnung, das geht schon so für mich’’ aber ich schreie es nicht, zum einen, weil ich nichts rausbekomme, zum anderen, weil ich weiß, dass sie recht hat, dass das alles zu nichts führt, ich mich im Kreis drehe, ich mein Leben in eine verdammte Sackgasse gebrettert habe und alles, aber auch wirklich alles komplett vernachlässige während ich immer nur versuche, diese Hanna Sache auf die Kette zu kriegen, das kann so wirklich nicht weiter gehen, aber ich will so gern, dass es weitergeht, ich merke wie mir die Tränen in die Augen schießen, sie steht ganz real vor mir, sie kommt näher, sie küsst mich auf den Mund, dreht sich um und geht.
Fick dich, verdammt, fick dich, warum der Filmabschied, das hast du nicht nötig, das hab ich nicht verdient, ich packe es nicht mehr, die Tränen brechen komplett aus, ich dreh um, geh schnell in die andere Richtung, ich will nicht, dass sie hört, wie ich heule, zum Glück kommt genau jetzt eine Straßenbahn, man hört nichts mehr, außer Krackadabackdrrrrraaaacktktktktkktktkkt,ich gehe ein paar Schritte, dann laufe ich, laufe die Eisi runter, hoffentlich, hoffentlich, hoffentlich, treffe ich niemanden. Alleine sein, will ich aber auch nicht, kann ich auch nicht, ich laufe in Richtung der Wohnung von Tommi, Lou und Finn, klingle 1000 Mal, niemand macht mir auf, rufe Tommi an, der geht nicht ran, rufe Finn an, der geht nicht ran, dann ruft Tommi zurück, sie sind ein Stockwerk höher, in der Wohnung von Max und Pablo, saufen mit denen, ich soll klingeln, dann macht er mir auf, ich klingel er macht nicht auf, ich schreie, bin kurz vorm ausrasten, klingel, er macht auf, ich laufe die Treppen hoch, Tommi steht in der Tür, ich umarme ihn, mache seine Schulter nass und frag nach Schnaps.
Ich hasse den Moment, kurz nach dem Aufwachen, den zweiten oder dritten Moment des Tages, je nachdem wie man das zählen möchte.
Ich hasse den Moment, kurz nachdem man aufwacht, sich denkt, fuck, hab ich nen Schädel, warum, alter Emil, warum und dann BAAAM, jetzt kommt der Moment, jetzt kommt die Erinnerung, alles ist im Arsch, im Arsch, im Arsch, vor allem du, das wars. Ende.
Ich starr an die Decke, bemerke, dass die Hoffnung, auch wenn ich schon so oft dachte, ich sei zu schwach, sie zu retten, immer noch mit einer Hand, einem Finger, an der Klippe hing, kurz davor zu stürzen, aber jetzt, jetzt ist sie weg. Ich schaue neben mein Bett, ob sie da vielleicht liegt, zerschlagen, am Boden.
Nein.
Aber eine halbvolle Flasche Weißwein, vielleicht liegt sie ja da drin, das habe ich mal in einem Gedicht geschrieben, als ich so jugendlich war, dass schon mein Alter aufzeigt, wie peinlich das Gedicht war. Vielleicht liegt die Hoffnung ja am Boden der Flasche und wenn nicht, dann werde ich halt zum Wrack und zerschelle an den Wellen…
Wie dem auch sei, ich rolle mich in Richtung der Flasche, greif nach ihr, fall vom Bett, was tragischer klingt als es ist, mein ‘’Bett’’ ist ja nur eine Matratze am Boden.
Ach, alles in allem ist es sehr tragisch, sehr elend.
Ich halt die verfickte Stille mal wieder nicht aus, mach Musik an, Shuffle, es kommt “Perfect Day” von Lou Reed.
Just a perfect day
You made me forget myself
I thought I was someone else
Someone good
Oh, it's such a perfect day
I'm glad I spent it with you
Oh, such a perfect day
You just keep me hanging on
You just keep me hanging on
Was erst so unpassend erscheint, macht meinen Moment vollkommen.
Genau da bin ich jetzt angekommen, mein ganzes Leben hat mich jetzt genau hierhergeführt. Egal wie theatralisch das auch klingen mag, es muss so sein, Handyboxen, Weißwein, 9 Uhr morgens und ich liege auf dem Boden, jetzt “Maximum an Glück” von Tiemo Hauer,
Nimmst du mich nicht zurück
Liegt mein Maximum an Glück ja
Schon hinter mir
Und dafür bin ich doch zu jung
Dreh dich einmal kurz um
Ich steh' noch immer hinter dir
Frühstück wie früher
Zigaretten und Kaffee
Der Tag drückt auf die Brust
Wie soll ich denn dem
Ohne dich überstehen?
Hab' das vor dir schon nicht gewusst
Shuffle Funktion du bist grausam zu mir.
Ich weiß nicht genau, wie lang ich liege, als Salma mich anruft. Sie hat von Finn gehört, was passiert ist, hat gehört, dass es mir nicht gut geht, fragt, ob ich was unternehmen möchte. Ich bin ganz schön angetrunken und will raus, alleine sein will ich auch nicht, also holen mich Salma und Finn in 20 Minuten ab, wir fahren an den See.
Im Auto spiele ich nochmal laut “Perfect Day” ab und wir reden wenig.
Finn schaut aus dem Fenster, Salma auch, klar, sie fährt, sie muss ja. Ich glaube, wir sind so still, weil es eigentlich nichts zu sagen gibt, weil sie ja auch gar nicht wissen wie ich mich fühle, wie es ist, nicht schon seit 5 Jahren zusammen zu sein, wie es ist, niemanden zu haben, der oder die einem sagt, ‘’ey wirklich, so wie du bist, so ists gut, so ists in Ordnung, mehr als das!’’, und ich hör jetzt nur wie Lou Reed singt ‘’I wish i was someone else, someone good’’, und muss wieder weinen.
‘’Ach Milli’’, sagt Salma und blickt in den Rückspiegel. Auch Finn dreht sich um und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel, ich fühle mich, als wären sie meine Eltern und ich hätte in der D-Jugend beim Fußball verloren.
‘’Ist schon alles in Ordnung’’ lalle ich, was ich nicht tun würde, wenn ich in der D-Jugend wäre. Hoffentlich.
‘’Wusstet ihr eigentlich, dass es in dem Lied um Heroin geht? Er ist froh den Tag mit Heroin zu verbringen, im Zoo und alles.’’
‘’Ah schau an'', sagt Finn ehrlich erstaunt.
Salma schaut wieder in den Rückspiegel, schaut etwas besorgt. Ich hebe die Plastikwasserflasche, die zur Hälfte mit Wein, zur anderen Hälfte mit Wasser gefüllt ist, proste ihr zu und trinke zwei, drei dicke Schlücke. Ich weiß nicht genau warum, aber ein kleiner Teil in mir, kann es irgendwie genießen, sich in dieser Melancholie fallen zu lassen, aufzugehen in einer Herzschmerzselbstdestruktivität. Das ist mir zwar peinlich das zuzugeben, aber irgendwie, irgendwie fühle ich das.
Am See angekommen, bin ich ein wenig enttäuscht, dass Finn nichts von meinem Wein will.
Es ist ein richtig stürmischer Tag, ich bemerke schon wieder, dass braune Blätter den Weg zieren, denke an eine Zeile von Bob Dylan, aus dem wunderbaren Track Cross the Green Mountain,
‘’I feel like the unknown World is so near’’
Und ich fühle mich so, wie er sich gefühlt haben muss, ein Gefühl, dass ich gar nicht anders in Worte fassen kann, als der Schwebende es in unnachahmlicher Weise selber macht.
‘’Ziehst du jetzt weg, Milli?’’ fragt Salma in das schweigsame Stapfen hinein.
‘’Nein! Weiß ich nicht. Ich kann nicht so viel denken grade. Danke, dass ihr mich abgeholt habt. Danke, dass ihr mich zum See bringt.’’
‘’das klingt, als wärst du ein Hund’’, lacht Finn.
‘’Ihr bringt mich auf einen wunderbaren Hof.’’
Ich muss grinsen und ich liebe Salma und Finn, ich liebe die beiden sehr, sehr doll und alles wird in Ordnung, denke ich, aber dann muss ich weinen, weil nichts wird mehr, wie es war und das ist doch einfach scheiße.
Es ist schön mit den beiden und ich brauche sie in meinem Leben. Ich brauche diesen ganzen Leipziger Kreis, wir sind ne Familie. Robby König hat das damals in der 10 Klasse schon gesagt: ‘’Ihr seid die Familie, die ich mir ausgesucht habe.’’ Ich finde er hat verdammt recht damit. Ich habe nie wirklich Familie gehabt. Das soll kein ‘’Ich armes zerbrechliches Kind’’ Satz sein. Ich hatte, und habe vor allem eine tolle Mutter, aber ich hatte nie dieses ‘’Wir sitzen alle gemeinsam am Essenstisch und ich hab mich gefälligst zu benehmen’’ Gefühl. Jedenfalls nicht bei mir zu Hause. Ich habe es geliebt, bei meiner ersten Freundin zu übernachten, da war es genau so. In Momenten wie jetzt gerade, mit den beiden am See entlanglaufen, dass die beiden mich abgeholt haben, nur 15 Minuten, nachdem wir telefoniert haben, da merke ich, dass ich eine Familie habe.
Dirk und Stan haben zwei Tage in Folge gesoffen, aber haben sofort gesagt, dass sie für alles offen sind und da ich dort um 15 Uhr schon mit ner Flasche Wein im Schädel aufschlage, ists ziemlich klar, auf was ‘’alles’’ hinauslaufen wird.
21 Uhr, alle drei besoffen bis zum geht nicht mehr.
‘’Weißt du, Emil mein Junge, du wirst, wen finden, das ist doch gar kein Problem, du bist doch ein hübsches Kerlchen.’’
‘’Emiiiiil, du Schnuppel, nicht unterkriegen lassen.’’
‘’Finden ist ja gar nicht das Problem. Wobei, doch das isses. Man findet ja so selten, was man sucht. Ich hatte schon so oft was mit den falschen Leuten und war währenddessen so viel einsamer und elender, als jemals sonst.’’
‘’Mein Opa hat immer gesagt, die schlechten Fische wirfste wieder rein, die mittleren die isste, weil die machen dich satt und die besten, die hängste dir ins Wohnzimmer!’’
‘’Wa? Das bringt mich doch jetzt nicht wei… und noch dazu.. das ist ja grauenvoll.’’
‘’Alte Seemannsweißheit.’’
‘’Stan, kannst du mir nen Gin Tonic aus der Küche bringen?’’
‘’Warum denn ich? Steh selber auf du faule Sau.’’
‘’Alter Stan, ich hab Liebeskummer! Das ist wie Geburtstag haben!’’
‘’Da hat er n Punkt, Stan…’’
‘’Hm, nun gut. Mit Gurke?’’
‘’Ja, vielen Dank, mein Herz. Ihr dürft der Hanna nie sagen, was wir hier machen.’’
‘’Warum sollten wir? Und warum dürfen wir nicht?’’
‘’Alter wie peinlich wärs, wenn die weiß, wie am Arsch ich bin?’’
‘’Als ob die das nicht wüsste, Meister.’’
Zwei Tage Kutter. Ich bin dankbar, dankbar dafür, Freunde wie Dirk und Stan zu haben, Freunde, die mir zeigen, dass die verdammte Scheißwelt nicht untergeht, weil eine Person nicht mit mir zusammen sein will, ich bin dankbar, dass ich, egal wie einsam ich mich manchmal fühle, Leute in meinem Leben habe, die bereit sind bei mir zu sein, egal wann, die bereit sind sich mit mir zu besaufen, wenn ich saufen will, mit mir zu lachen, wenn ich lachen will und mit mir zu schweigen, wenn ich schweigen will.
Zwei Tage Kutter. Ich bin bereit, bereit dafür, morgen nüchtern zu sein, bereit dafür morgen in den Tag zu starten, zu wissen, dass es mir schlecht gehen wird, aber dass das ok ist, dass das auch wieder vergehen wird, bereit dafür, in drei Tagen nach Italien zu fahren und eine verdammt gute Zeit zu haben.
Der Roman “The Leipzig Years” ist das geistige Eigentum von Nils Kaiser kaiser.nils1@web.de
Der Nächste Teil erscheint am 09 Februar 2025
Lektorat Yannik Barth
Collage: Elena Debachinsky