Volker Hermes: Von Fetisch & Versteckspielen

Im Interview mit dem Düsseldorfer Künstler Volker Hermes über seine Bildserie “Hidden Portraits” und sein neu erschienenes Buch, über die Macht der Mode, künstlerische Versteckspiele und Fetisch.

HIDDEN VAN MIEREVELD V aus der Werkserie Hidden Portraits / © Volker Hermes

Der Düsseldorfer Maler Volker Hermes ist gerade in aller Munde. Als bildender Künstler erlangt er in der Corona-Pandemie internationale Bekanntheit durch seine Hidden Portraits, collagierte Portraits aus vergangenen Jahrhunderten. Artikel in der italienischen und portugiesischen Vogue, dem New York Review of Books oder dem Met Museum feiern seine unkonventionellen Bildideen, die immer wieder mit Codes von Kleidung, Gender und Selbstermächtigung spielen. Wir haben mit ihm über die Macht der Mode, künstlerische Versteckspiele und sein neu erschienenes Buch „Hidden Portraits: Alte Meister – Neuer Blick“ gesprochen.  

Bohema: Herr Hermes, warum ist immer wieder das historische Portrait Ausgangspunkt Ihrer künstlerischen Betrachtungen?

Volker Hermes: Historische Portraits sind ein hervorragendes Beispiel für die Kommunikation zwischen Kunst und Betrachter*in. Wir begegnen ihnen im Museum oder bei Ausstellungen im Grunde genommen, als würden wir Menschen auf einer Party treffen: Wir schauen ihnen ins Gesicht. Die Kommunikationsrichtung ist somit relativ klar und daran kann ich meine künstlerischen Fragen aufhängen: Welche Mitteilungen haben sie für ihre damalige zeitgenössische Gesellschaft gesendet und wie kommunizieren wir heute mit diesen Arbeiten, wo sich die Zeiten so sehr gewandelt haben. 

Bohema: Also, fast wie eine Zeitkapsel?

Volker Hermes: Ja, und das hat viel weniger mit Wissen zu tun, sondern mit Intuition. Wenn wir ein mythologische Bild sehen, müssen wir dazu wissen, dass das Diana oder Amor ist. Ein gemaltes Portrait, welches ja einen Menschen wie uns darstellt, funktioniert letztlich auch intuitiv.

B: Die Kunstwerke, mit denen Sie arbeiten, werden ja allein schon durch die Zeit de-kontextualisiert, die vergangen ist.

VH: Der ursprüngliche Kontext der Gemälde ist für uns verloren gegangen. Durch meine Interventionen versuche ich dieses gesellschaftliche Umfeld wieder einzubringen. Ich verdeutliche Machtverhältnisse, Schönheitsbegriffe oder durch Kleidung ausgedrückte Codes. Ich rede über Formen der Identität damals und heute. Allein unsere heutige Perspektive hilft uns im Verständnis der Werke kaum weiter. Deswegen ist unsere Wahrnehmung ja auch so auf das Individuelle verkürzt; wir sind ein bisschen verloren. Ich gebe durch meine Arbeiten eine Art visuelle Verständnishilfe, die viel über die historischen Portraits aussagt, aber auch über unsere aktuellen Werte.

B: Sind Sie der Meinung, dass unsere heutige digitalisierte Welt wieder mehr solche durch Kleidung ausgedrückten Codes gebrauchen sollte?

VH: Kleidungscodes haben sich durch alle Zeiten erhalten. Bei einem Mühlradkragen wusste damals jeder, dass sich das nur reiche Leute leisten konnten. Und sieht man heutzutage in der Bäckerei eine Frau im Chanel-Kostüm, dann hat man sie auch sofort eingeordnet. Bestimmte Codes gibt es immer noch, sie sind nur schnelllebiger und vielfältiger geworden, weil uns die ganze Welt offen steht und nicht nur eine lokale Gesellschaft. Sie sind aber immer noch da.

B: Sind sie eindeutiger und offensichtlicher geworden? 

VH: Naja, man muss heute natürlich wissen, was Balenciaga-Sneaker sind. Und es gibt auch so etwas wie Ironie, siehe Vetements (Modelabel), die irgendwelche DHL-Logos zu T-Shirts machen und die dann teuer verkaufen. Das ist unbedingt ironisch gemeint, die Kleidung in früheren Jahrhunderten war aber nicht ironisch. Unsere heutige Kleidung hinterfragt oft die Rolle der Kleidung an sich, während es früher primär um Status ging.

B: Damals ließen sich die Menschen in mehr oder weniger idealisierten Portraits verewigen, heute haben wir ganz andere Möglichkeiten mit Instagram und Co. Ist das Endergebnis nicht gleichgeblieben?

VH: Ja, das ist ja das witzige, dass die Menschheit tatsächlich immer wieder Möglichkeiten findet, sich zu idealisieren. Entweder beauftragt sie einen Künstler oder eine Künstlerin oder ein Handy mit Filtern oder einen Fotoapparat, um sich selbst zu optimieren. Es scheint ein Grundbedürfnis zu sein, sich der Welt in einer idealeren Form zu vermitteln, als man mit seinen ganzen vermeintlichen Makeln eigentlich ist.

HIDDEN ENGLISH SCHOOL aus der Werkserie Hidden Portraits / © Volker Hermes

B: Bei einigen Ihrer Werken muten die Masken wie eine Art der Fetischkleidung oder Bondage an, stammen jedoch aus einer Zeit, in der im Gegensatz zu heute sehr streng auf eine Verhüllung des Körpers geachtet wird. Inwieweit ist Kleidung für Sie ein Fetisch?

VH: Nun, für mich persönlich ist es kein Fetisch. Aber ich glaube, wir müssen über diesen Begriff Fetisch reden. Das ist ja ein relativ neues Wort und meint eigentlich nur, dass ein bestimmtes Ding einen Impuls auslöst, und zwar immer denselben in einer direkten Linie. Dieser Begriff hat aber heute eine recht eindeutige Konnotation. Das hat etwas Erotisches, Unanständiges. Wenn wir aber auf die eigentliche Funktionsweise zurück gehen, war Kleidung natürlich ein Fetisch, aber auch Schmuck, oder bestimmte Farben. Diese Dinge waren zwingend notwendig, um den Impuls auszulösen, als reich oder wichtig zu gelten. Das nur als Beispiel. Da war sogar das Gesicht manchmal unwichtig. Oft scheint die Kleidung hochrangiger und feiner gemalt als das Gesicht.

B: Deswegen gibt es ja auch so viele ganzfigurige Portraits, damit man auch die Masse und Pracht der drapierten Gewänder darstellen kann.

VH: Richtig, ein Ganzkörperbild ist ein Pendant zum Ferrari. Wenn man heute jemanden besucht und im Wohnzimmer hängt ein Gerhard Richter, dann stellt man auch keine Fragen mehr. Und wenn man damals in ein Schloss gekommen ist und es hing dort ein Ganzkörperportrait des Hausherren, waren die Dinge eben auch klar. Es war die teuerste Kategorie im Portrait-Kosmos.

B: Wir werden oft richtig abgelenkt durch die kostbaren Stoffe und Kleider, bei Ihren Arbeiten scheinen die Menschen gar von den Krägen erdrückt zu werden, wirken fast ohnmächtig. Sind die Menschen auf Ihren Werken glücklich?

VH: Interessante Frage, aber schwer zu sagen. In meinen Arbeiten könnte man meinen, dass sie relativ unglücklich sind, weil ich sie visuell so einschränke. Andererseits befreie ich sie eigentlich durch meine Modifikation. Denn tatsächlich mache ich darauf aufmerksam, wie gefangen sie in ihrer repräsentativen Rolle sind - Aufdecken durch Verhüllen sozusagen. Ich verkompliziere unseren Zugang zum Bild, ermögliche aber durch diese Restriktion einen viel reichhaltigeren Eindruck. Neben der dargestellten Person, die sonst für uns im Fokus steht, eröffnet sich eine ganze Welt von Anspielungen und Metaphern auf diesen Gemälden. Wir sehen nun, dass da jemand eingezwängt ist. Man denkt unweigerlich darüber nach, warum das so ist und befreit dadurch die Figur aus ihren Konventionen.

B: Und sie emanzipiert sich eigentlich durch diesen eindeutigen Bruch zum Umraum.

HIDDEN VAN DER WEYDEN aus der Werkserie Hidden Portraits / © Volker Hermes

VH: Es gibt Hidden Portraits, wo nur noch ein Auge aus der Kleidung rausschaut, das wirkt dann auf uns wie ein wissendes Auge. Man hat das Gefühl, dass die Figur um ihre Situation weiß. Zum Beispiel: Ich bin zwar eine Königin, aber habe als Frau leider nichts zu sagen. Aber dieses Auge sagt uns: Ich weiß es! - das ist der Moment der Selbstermächtigung. Ich bin wissend um meine Stellung und damit bin ich allen einen Schritt voraus.

B: Souveräne Figuren also. Souverän, das erdulden zu können und trotzdem noch die Pose und Eleganz beizubehalten.

VH: Das ist nicht nur dekorativ gedacht. Einer Figur, die vorher ausgeliefert ist, wird eine gewisse Souveränität zurückgegeben. Das meine ich, wenn ich sage, dass ich aktuelle Diskurse unserer Zeit mit einbringe. Es geht ja aktuell viel um den Kampf für Gleichberechtigung aller Menschen und auch um die Souveränität des Einzelnen. Und an diesem isolierten, offenen Auge, was uns fixiert, zeigt sich klar, dass diese Figur durch meine Intervention ihre Souveränität zurückerlangt hat.

B: In Ihren Portraits collagieren und komponieren sie oft ganz neue Kleidungsstücke und Accessoires. Könnten Sie sich das auch im echten Leben vorstellen?

VH: Absolut. Nicht, dass ich jetzt anfange, Mode zu machen. Es wäre aber toll, wenn jemand meine Kreationen ins echte Leben holen würde. Das liegt aber auch daran, dass ich Collagen mache, die technisch auch im echten Leben funktionieren würden. Ich warte aber noch auf den Anruf von Daniel Roseberry, dass Schiaparelli meine Arbeiten realisieren will (lacht).

B: Vor kurzem haben Sie ein Buch mit dem Titel „Hidden Portraits: Alte Meister- Neuer Blick“ veröffentlicht. Was erwartet uns in diesem Buch?

HIDDEN BARON aus der Werkserie Hidden Portraits / © Volker Hermes

VH: Das ist ja mein erstes großes Buch und damit eine Art Vorstellung meiner Reihe der Hidden Portraits. Ich glaube, das hat ganz gut funktioniert. Es zeigt eine große Bandbreite, 50 Abbildungen und drei einleitende Texte; keine Instagram-Trends, sondern ein Nachdenken über die Malerei und ihre Ausdrucksformen. Dazu ist es einfach auch sehr schön, es packt sich wunderbar an, es ist ein toller Druck geworden.

B: Wird das Buch die Werkserie der Hidden Portraits abschließen? Was können wir von Ihnen in der nächsten Zeit erwarten?

VH: Die Reihe ist auf keinen Fall abgeschlossen, das liegt aber auch daran, weil es so viele tolle Originale gibt, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Die Kunstgeschichte ist eine riesige Ressource voller Überraschungen. Deswegen ist diese Reihe auch lebendig und tatsächlich auch nur ein Teil meiner künstlerischen Projekte. Ich bin ja eigentlich ein Maler. Hidden Portraits ist aber die Werkreihe, die aktuell am meisten wahrgenommen wird, die aber auch am meisten Raum einnimmt.

B: Also das eine Kind, was viel Freude, aber auch viel Arbeit macht.

VH: Genau. Und sich eben auch weiterentwickelt wie Nachwuchs. Je öfter ich von Kunsthistoriker*innen zu Projekten eingeladen werde, je mehr Künstler*innen insgesamt anfangen über historische Arbeiten zu diskutieren, desto vielfältiger und vielstimmiger ist dieser künstlerische Umgang mit Kunstgeschichte auch. Ich speise historische Kunst in neue Diskurse ein und damit ist sie viel lebendiger als nur der so oft zitierte „alte Schinken“ an der Wand.

B: Was erwarten Sie sich von den nächsten Monaten?

Volker Hermes, Atelier /// © Volker Hermes

VH: Ich erwarte sehr viel Arbeit, eine Reise in das sehr kalte New York und viele spannende Projekte. London und Frankreich rufen auch schon bald. Auch wenn dieses Pensum im Moment etwas beängstigend ist, überwiegt doch die Aufregung und Freude über wirklich außergewöhnliche Möglichkeiten, über die ich sehr dankbar bin.  

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