Auf einer Wellenlänge

Im Rausch Mitte der Achtziger verschwunden, erlebt deutschsprachige Musik mit vielen Synthesizern seit der Wiege der Pandemie ein großes Comeback. Doch wie viel von der alten Neuen Deutschen Welle steckt in der Neuen Neuen Deutschen Welle?

NIna Hagen, die Legende der NDW

Aus der Subkultur, zum Massenprodukt, bis hin in die Bedeutungslosigkeit. So könnte man harsch den Verlauf der Neuen Deutschen Welle beschreiben. Doch die ikonischen Lieder bleiben bis heute bestehen und sind große Inspirationen für nachkommende Künstler*innengenerationen. Auf einmal beschreiben wir Musik wieder so, wie diejenigen, die in den Achtzigern das Feuilleton beherrschten. Es ist alles anders und doch irgendwie gleich, wie ein ergrauter Vater, dessen Gesichtszüge doch in seinem Sohn wiedererkennbar sind. Ebenjene, die die Neue Neue Deutsche Welle prägen, waren zum Zeitpunkt der ersten noch gar nicht geboren. Doch wie wird etwas, für die Gen Z Uraltes, auf einmal zu einer wiederauferstehenden Bewegung?

Das alte Neue

Aus den Punkbewegungen der späten Siebziger rund um Acts wie, DAF oder Nina Hagen, entwickelt sich in den Achtzigern ein Schwall an deutschsprachiger Musik, deren klangliche Grundlage elektronische Instrumente sind. Unperfekt und kühl wird aus dem Zusammenschluss von Punk, Avantgarde, Pop und New Wave das, was als die Neue Deutsche Welle in die Musikgeschichte eingeht. Dabei spielt vor Allem der Fokus auf die deutsche Sprache eine große Rolle. Sie bestimmt Rhythmus und Klang, wirkt beinahe kantig und unförmig, schafft dadurch aber einen auf Deutsch zuvor unbekannten Sound. Die anarchistischen Ursprünge der NDW werden schnell vergessen, spätestens als Plattenlabels das Potential dieser Bewegung erkennen und sie massenhaft vermarkten. Erfolgreiche Namen dieser Zeit sind beispielsweise Nena und Peter Schilling.

Durch die enorme Kommerzialisierung verliert die NDW aber auch genauso schnell an Relevanz. Der Versuch so viele Künstler*innen wie möglich als Teil der Neuen Deutschen Welle zu branden, führt über kurz oder lang zu einer Übersättigung des Publikums. Bereits Mitte der Achtziger bricht die Welle und ist für beinahe vierzig Jahre nur rückblickend existent. Die Lieder sind dennoch vorherrschend im Zeitgeist der deutschsprachigen Kultur.

Das neue Neue

Doch diese Nostalgie, die wir heute rückblickend empfinden, ist mittlerweile der Treibstoff für viele junge Künstler*innen Neues zu schaffen. DAF tanzten während der NDW den Mussolini, Salò heute den Gudenus. Grauzone wollten ein Eisbär sein, was Endless Wellness bei den aktuellen Prognosen lieber nicht wollen. Der Refrain von Elena Ruds Blaue Augen kommt einigen, die den gleichnamigen NDW-Song von Ideal kennen, sehr bekannt vor.

Es ist nicht eindeutig klar, wieso genau jetzt die Wiederauferstehung passiert. Früher war immer alles besser, vor allem im verfälschten Nachhinein. Möglicherweise ist es ein Versuch dem Turbokapitalismus der postmodernen Welt zu entgehen, indem diese vermeintlich „einfachere und bessere“ Zeit romantisiert wird. Denn in den letzten 5 Jahren taucht auf einmal all das auf, was die NDW so großartig gemacht hat. Edwin Rosen benutzt Synthesizer, singt beinahe monoton, und trotzdem fühlt man ganz viel. Salò bespricht in punkiger Attitüde und schnörkellosem Gesang die Probleme eines einfachen Mannes. Gwen Dolyn verarbeitet leidenschaftlich die ganz großen Gefühle und bewegt sich dabei irgendwo zwischen Grunge und Post-Punk. Und genretechnisch ist man sich oft nicht einig, was genau all diese Acts nun sind. Gwen Dolyns Spotify-Bio zieren die Worte „techno im indie limbo“, Salò macht einen ganzen Song darüber, dass er kein Punk sei, und Edwin Rosen gilt als der Namensgeber dieser neuen Bewegung: der Neuen Neuen Deutschen Welle.

Die alte Garde scheint in ihren wenigen aktiven Jahren der NDW einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. Und dabei sind diese nun sichtbaren Einflüsse keinesfalls der Versuch eines Replikats durch eine neue Generation. Die Kühle und Eleganz der NNDW, gepaart mit dem übermäßigen Einfluss elektronischer Instrumente, ergeben etwas vollkommen Neues, das zwar eindeutig seine Ursprünge verrät, aber nie den Anspruch einer Kopie hat. So werden moderne Thematiken, wie das Führen einer Internetfreundschaft, aufgegriffen, aber auch vergessene Songs neuinterpretiert, beispielsweise dein ist mein ganzes herz in einer Version von Gwen Dolyn.

Die Einflüsse für die Neue Neue Neue Deutsche Welle

Sollten wir eines Tages eine dritte Welle erleben (die nichts mit einer Viruserkrankung zu tun hat), wären Gwen Dolyn und Salò rückblickend wichtige Referenzpunkte. Erstere hat vor einigen Wochen ihr Debütalbum X-RATED feelings veröffentlicht, während Zweiterer kurz darauf Erklärungen zur Problemzone Mensch lieferte.

Gwen Dolyn ist nicht zum ersten Mal auf Albumlänge zu hören, als Teil des Duos Tränen, veröffentlichte sie vorletztes Jahr Haare eines Hundes. Hatte sich Gwen Dolyn bei Tränen noch der deutschen Sprache und Steffen Israels Indie-Gitarren verpflichtet, setzt sie sich auf ihrem Solo-Debüt keine Grenzen. Weder beim zeitlichen Rahmen, sie covert einen Song von Heinz Rudolf Kunze aus 1986, noch bei inhaltlichen und sprachlichen Einflüssen, beispielsweise jenen der neu aufgekommenen Techno-Rap-Avantgarde rund um Domiziana.  Es geht um die Ansprüche das Leben zu verstehen, um Benzos, und um ganz viele mehr oder weniger gesunde Beziehungen. Dabei wechselt Gwen Dolyn zwischen Deutsch und Englisch manchmal sogar innerhalb eines Songs. Das Lied benzos & blut erinnert immer wieder an Domizianas Ohne Benzin, und die Single Ertrinken gibt den inhaltlichen Takt vor: sich selbst vernachlässigen „nur aus Liebe zu dir“.

Doch nicht nur durch Gwen Dolyn gab es einen wichtigen Release der NNDW zum Jahresende. Mit der neuen Salò-Platte wurde das Jahr 2024 krachend laut verabschiedet. Salò bleibt auf seinem neuen Album der Meister der Verschleierung des Alltäglichen. Glutenfree Girlfriend besingt Gott als Frau, die Magenprobleme hat, Anzeige ist raus behandelt es nicht zu schaffen loszulassen, egal wie schlecht etwas ist, Baumarkt zeigt den Verlust des Selbst auf, durch den verzweifelten Versuch eine angestellte Person im titelgebenden Geschäft zu finden. Salò spielt auf dem Opener Universal Punks Fuck Off halbironisch damit, dass Punk und Anti-Alles zu sein nicht ausreicht, um sich Miete und Therapie zu leisten. Trotzdem bleibt er seinem Punk-Core treu, begibt sich dabei aber auch in rege Indie-Gefilde. Neben Songs voller (Indie-)Radiopotential, hat man auch ebensolche, mit stressigem Takt, übersteuerten Gitarren, und Salòs Sprech-Schrei-Gesang ist sowieso tragend für den ganzen Albumsound. Mit textlicher Raffinesse und einem großen Verständnis, für den zeitgeistlichen Nihilismus, beweist Salò einmal mehr, dass er nicht nur der Apollonia-Sänger ist.

Wir werden gespannt sein, ob Salò und Gwen Dolyn große Einflüsse der neuen Welle Mitte der 2060er-Jahre werden. Ihre Kunst hätte es verdient bis dahin gehört zu werden.

Ebenjenen, die nun angefuchst sind von der (Neuen) Neuen Deutschen Welle, soll natürlich sofort Abbitte geschafft werden. Passend zum Artikel gibt es eine Bohema-Playlist mit je elf Songs aus jeder Welle.

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The Leipzig Years — Kapitel 8