Vom Würstelstand nach Tokio

Eine frische Indieband aus Graz rockte im Loop - Love A.M. entführte unsere Redakteurin in intime musikalische Welten und gab im Anschluss ein spontanes (und brandheißes) Interview.

Fünf holde Hünen und ein Huhn /// Harald Leitner (c)

Ohne jegliche Erwartungen stürzte ich mich in die Menge auf der kleinen, feinen Fläche vor der Bühne des Gürtellokals Loop und wurde von einem grandiosen Kino sowie träumerischen Synthie-Klängen überrascht. Lila Lichter, eine glänzende Diskokugel, Körper an Körper. Dazu die schwebende Stimme des Sängers, Paul.  

Die Atmosphäre in Kombination mit der Musik der Band versetzt mich fast schon in Trance. Von Beats, die einem zu Tanzen bewegen, bis zu Texten und Harmonien, die einen in andere Welten beamen. Alles ist dabei und lässt mich genießen und mich amüsieren, denn auf sprachlicher Ebene kommen der ein oder andere Witz sowie diverse Doppeldeutigkeiten zum Vorschein.  

Düster, durchdacht und doch frei verträumt

Der Song Tokyo erzählt von einem herausfordernden Besuch in besagter Metropole, mit all den Strapazen, die sich in dieser Stadt ergeben haben. Wie ich später im Gespräch erfahre, handelt es sich hier um eine ihrer Lieblingsgeschichten. Eine besondere Art der Zerbrechlichkeit und Schwermütigkeit kann ich zwischen den Zeilen und in den Melodien spüren und doch schafft die Band es, diese Schwere mit dem Schwebezustand des Tagträumerischen zu transportieren.

Im Laufe des Konzerts gibt Matthäus, der Mann am Synthesizer, alles, um das Publikum zum Tanzen zu bewegen. Merch wird in die Menschenmenge geworfen und eine absolut absurde, spacige Sonnenbrille aufgesetzt. Dazu düstere Texte, melancholische Melodien und tanzbare Rhythmen. Die Mischung macht’s!

Do we need each other? Have you seen nirvana?

Veröffentlicht sind bis dato zwei Stücke, allerdings darf man sich in Kürze auf ein komplettes Album freuen, das im Sommer im Studio Form angenommen hat. Ein Schmankerl des Albums kann schon in diesem Monat gustiert werden, der Rest folgt im neuen Jahr. In der Zwischenzeit sollte man definitiv mal in die bereits verfügbaren Musikvideos reinschauen und reinhören. Unter anderem stellt sich hier, zumindest in einem Song, die Frage: Have you seen nirvana?

Unvorhersehbare Unordnung

Nach dem Konzert am Sonntag durfte ich die Band (also Paul, Matthäus, Julian, David und Lukas) ganz spontan ein bisschen ausfragen. Vorweg: Unordnung, Unvorhersehbarkeit und zerbrechliche Sehnsüchte spielen eine große Rolle in ihren Songs und ihrem Schaffen.

Bohema: Wenn ihr an eure Songs vor 4 Jahren denkt und diese mit den jetzigen vergleicht, welche großen Entwicklungen haben sich bei euch etabliert?

Love A.M.: Früher war es uns wichtig tanzbare Musik zu machen. Jetzt trauen wir uns roughere, düstere, dunklere Elemente einzubauen. Für uns steht im Vordergrund, durch unsere Klänge andere Welten zu schaffen, in die die Hörer*innen katapultiert werden können.

B: Wie entsteht eure Musik?

L: Meistens basteln wir, also Matthäus, Julian und Paul, einen Beat, den wir dann loopen und auf dieser Basis entwickeln sich die weiteren Elemente, sprich wir spielen zu diesem Loop. Diese Technik kommt aus dem HipHop, obwohl das Produkt, das bei uns daraus entsteht, eher an Indie-Pop mit 80s Vibes erinnert.

Wir arbeiten also an unterschiedlichen Song-Skizzen, die wir getrennt voneinander sehen und später erst zusammenfügen. Das ist zwar chaotisch, anders können wir Songs jedoch schwer schreiben. Außerdem glauben wir, dass dadurch interessantere Lieder entstehen, anstatt nach einer „klassischen Harmonielehre“ vorzugehen. Auch bearbeiten und verändern wir immer wieder Songs, die wir eine Zeit lang beiseitegelegt haben.

Wir sehen unsere Musik als lebendiges Konstrukt

Abgesehen davon entsteht auch so manches im Studio, wie zum Beispiel der Song Baby Boy auf unserem kommenden Album. Wir sind wahnsinnig dankbar, mit Niki Waltersdorfer einen Produzenten gefunden zu haben, der uns dabei hilft, den Songs im Studio den letzten Schliff zu verleihen. Viele andere Produzenten würden bei uns vielleicht das Weite suchen.

 

B: Was steckt hinterm Würstelstand?

L: Der Song Hot Dog Stand soll an zwei komplett verschiedene Gesichter erinnern, die sich an einem Würstelstand treffen, so mitten in der Nacht. „Talking to strangers at the hotdog stand“, soll eine Konversation zwischen zwei Unbekannten vertonen, die von Distanz und Sehnsüchten gefärbt ist.

B: Gibt’s bei euch nur Liebe am Vormittag?

Naja, der Name Love A.M. kann für vieles stehen. Liebe an die Mutter, zum Beispiel. Da ist viel Raum für individuelle Interpretation. Die schummrige Atmosphäre von "A.M." passt auf jeden Fall gut. "A.M." könnte bedeuten, dass es noch dunkel ist oder aber, dass sich schon der Tag ankündigt.

 

Love A.M. - große Empfehlung für leidenschaftliche Indie-Tagträumer*innen! Ihr könnt euch im Jänner auf viele neue Songs und somit Stoff zum Weltenbummeln freuen!

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