Edgar Allan Poe: Das Musical

Schauergeschichtenautor Poe auf der großen Bühne des Burgtheaters: ein Abend ohne Pointe.

(c) Matthias Horn, Burgtheater

Es ist nun 3 Wochen her, dass ich mich zuversichtlich in einen der neu installierten Burgtheatersessel (die Beinfreiheit, herrlich!) sinken ließ, um mir Der Untergang des Hauses Usher anzusehen. Ich war zugegebenermaßen etwas voreingenommen, hatte die Latte hoch gelegt, da ich in meinen frühen Teenagerjahren eine Art Poe-Fanatikerin war (die ersten fünf Strophen von The Raven kann ich immer noch auswendig aufsagen). Umso enttäuschter ließ die Aufführung mein etwas morbides Gruselgeschichten-Liebhaber-Herz zurück und ich fand eigentlich keine besonders große Inspiration, um auch noch einen Text darüber zu schreiben. Kürzlich habe ich mich aber über dieses Potpourri an Eindrücken mit einer Freundin unterhalten und einige Details der Aufführung sind mir in ihrer Absurdität so eindringlich vor Augen getreten, dass ich mich schließlich doch dazu entschloss.

Why, oh, why

Allem voran war es ein dickes WARUM, mit welchem ich die Inszenierung von Barbara Frey übertiteln würde. Die ersten zehn Minuten ein sich endlos hinziehendes Hämmern von Akkorden entlang der Klaviatur (wobei das ironische Klatschen aus dem Publikum wohl der treffendste Kommentar des Abends war), die zusammenhanglose Werkschau einiger Poe-Erzählungen und nicht zuletzt die absolut sinnlose Mehrsprachigkeit. Eine Kooperation zwischen London, Budapest und Wien — so die Ansage. Aber weshalb? Dass einige Stellen auf Englisch vorgetragen werden, könnte ja immerhin noch als Huldigung an die Sprache Poes gesehen werden, doch inwiefern ein Zusammenhang zwischen dem amerikanische Autor und der ungarischen Sprache besteht, bleibt mir schleierhaft. 

(c) Matthias Horn, Burgtheater

Das Genre und seine Merkmale

Dann die musikalischen Einlagen. Einerseits die Hintergrundmusik, welche uns ganz klar vermitteln soll, dass das, was wir da hören (weniger sehen) tatsächlich super spooooky ist, andererseits die unvermittelten Song-Ausbrüche samt Perkussionen, E-Gitarre und Show-Beleuchtung. Und ich frage erneut: warum? Warum eine Aneinanderreihung von Kurzgeschichten wie Der Doppelmord in der Rue Morgue, Das Eiland und die Fee und Berenice, gerahmt von der unterbrochenen Handlung von Der Untergang des Hauses Usher in einer ziemlich rhetorischen Darbietung? Die Gruppe von sechs Individuen in grauen Anzügen, die wie in Poes Texten als Ich-Erzähler und Berichterstatter fungieren, sagen die Geschichten prosagemäß auf, sind visuell aber eher uninteressant. Ein Chor einzelner Stimmen, die sich brav hintereinander abwechseln, um ihren Textteil aufzusagen. Da helfen keine groß aufgerissenen Augen, keine lächerlichen Masken und Perücken und auch nicht die kurzen Chormusik-Einlagen: die Aufführung versprüht schlicht und ergreifend nicht den geringsten Funken an unheimlicher Atmosphäre. Die einzige Ausnahme ist das (wortwörtlich) wahnsinnige Sprechduett von Jan Bülow mit Katharina Lorenz — die einzige wirklich szenische Darbietung des Abends.

(c) Matthias Horn, Burgtheater

Epik vs. Dramatik

Dass die Aufführung so unaufregend und wenig spannungsreich ist, liegt wohl auch an Poes Schreibstil, der des stillen einsamen Lesens bedarf, nicht des plakativen Vorsprechens und Vorzeigens. Gezeigt kann das Gesprochene hier ohnehin nicht werden. Die Phantasie, welche beim Lesen der Kurzgeschichten in Gang gesetzt wird, kann in der Publikumssituation nicht aktiviert werden und so bleiben die Erzählungen auf der Bühne was sie sonst auch sind: Worte auf Papier.

… war’s das?

Die Inszenierung wirkt eher wie eine Parodie des Horrors, obwohl mit allen Mitteln versucht wird, eine makabre Stimmung zu erzeugen. Doch kehren wir ein letztes Mal zu dem ‚Warum‘ zurück. Man fragt sich, was denn hinter der Musik, der leeren Halle mit vernagelten Fenstern und der Beleuchtung als eigentliche Intention steht. Warum führt man dieses Poe-Musical auf, was war das Interesse am Autor, wo der Anknüpfungspunkt an unsere Zeit? Oder war es vielleicht wieder der alte Trick, einen bekannten Namen als Lockvogel für Publikumsinteresse zu instrumentalisieren? In welche Richtung eine Auseinandersetzung mit dem Autor und seinem Werk auch gehen mag, diese Aufführung unterließ jedwede Vertiefung. Poe, der den Tod einer schönen Frau als poetischstes Thema der Welt krönte, hätte aber durchaus eine intensivere Beschäftigung verdient. Sein Ausspruch verbindet ihn überdies mit dem ein oder anderen Stück Dramenliteratur.

Previous
Previous

Vom Würstelstand nach Tokio

Next
Next

„I’m living my dream!“