Weihnachtskranz und Leichenstarre

Was habt ihr in der Weihnachtspause so gemacht? Kinderfilme geguckt? Oder Horror? Dabei liegt beides nicht weit voneinander entfernt. Über die Lust am Kindsein und den weihnachtlichen Mord im Kino.

Black Christmas / © Filmexport Group


Wer oder was uns an Weihnachten unterm Tannenbaum erwartet, welche Gestalten die Geschenke bringen, bedarf im Erwachsenenalter keiner Erklärung. Die Mär vom Weihnachtsmann oder Christkind ist auserzählt, Wunschzettel stellen sicher, dass wir keine bösen Überraschungen erleben. Keine Unterwäsche oder peinliches Geschirr. Alles gut – alles langweilig? Denn natürlich sehnen wir uns zugleich nach der Überraschung, dem Moment des Außergewöhnlichen, der bei aller Tradition auch zu Weihnachten gehört. Und wenn wir ihn nicht in Gestalt eines „echten“ Weihnachtsmannes finden, so schauen wir uns zum Fest eben Kinderfilme an, die uns glauben machen, es gäbe diese verzauberte Welt noch.

Auch die Wiener Kinos wussten das und ließen im Dezember ein regelrechtes Inferno an cosy Familienfilmen los: Weihnachten der Tiere, Weihnachten in der Schustergasse, Eine kleine Weihnachtsgeschichte, Love Actually, Die unendliche Geschichte. Aber nicht nur. Im Getümmel versteckten sich auch Werke wie Silent Night, Deadly Night und Black Christmas – räudige Slasher, in denen ein mehr oder weniger weihnachtlicher Killer zur Festzeit mordet. Als Freund von Kinder- und Killerfilmen kann ich berichten, dass das Kino bei Black Christmas voll war, voller als beim Fantasystreifen Die unendliche Geschichte. Offensichtlich haben die Leute nicht nur Lust auf Regression und Kinderfantasien, sondern auch auf Blut und Darm am Weihnachtsbaum.

Der sadistische Glücksdrache

Kinder- und Killerfilme liegen nicht so weit voneinander entfernt. Der Auftakt des vielleicht bekanntesten Slashers Halloween (1978) wird etwa aus Kinderperspektive erzählt, aus der eines mordenden Kindes. Und auch handelsübliche Kinderfilme sind nicht unbedingt frei von Vernichtungsfantasien. Oft nur verlagert, etwa, wenn die Guten gerechterweise (und nur mit ein klein wenig Sadismus) die Bösen quälen – als Form des Ordnungserhalts versteht sich. So lässt der tapfere Protagonist Bastian in Die unendliche Geschichte (Original: The NeverEnding Story, 1984) seine Schulhofpeiniger am Ende vom Glücksdrachen Fuchur jagen. Der empfindet merkwürdigerweise ein ganz besonderes Glück dabei, kleine Kinder panisch rennen zu sehen.

Die unendliche Geschichte / © Constantin Film

Überhaupt ist Wolfgang Petersons Fantasyklassiker ein gutes Beispiel für den gewaltlustigen Kinderfilm. Während der Kinovorstellung an Weihnachten saß neben mir ein ständig plapperndes und lachendes Kind. Von den glänzenden Schuppen Fuchurs konnte es gar nicht genug bekommen. Irgendwann aber war Schluss mit lustig. Schluchzende Laute, der Kopf an Mamas Schulter gedrückt. Da war Fuchur schon verschwunden und Weltenretter Atréju stand dem bösen Gmork gegenüber – einem monströs übertriebenen Wolf in hölzerner 80er-Puppenanimation. Für Erwachsene eher zum Schmunzeln (für mich sogar deutlich cuter als der furchtbar kitschig inszenierte Fuchur), für Kinder aber absolut triggernd. Und trotzdem war die Angstlust stark. Immer wieder lugte der Junge hinter Mamas Schulter hervor und war schließlich vor Freude am Zappeln, als Atréju sein Messer endlich im Wolfsbauch versenkt hatte. Das Schwert blutverklebt. Übrigens das erste und einzige Mal, dass im Film Blut zu sehen ist. Eine Lust am Mord, die auch der Kinderfilm nicht ganz verbergen kann.

Die wahre Traumfabrik

Ist der Kinderfilm durch Regression (die Rückkehr ins Kindliche und Märchenhafte) geprägt, so scheint der Horrorfilm das Gegenteil zu demonstrieren. Wir wissen ja: Im Horrorgenre geht es unter anderem um die Angstlust vor dem Erwachsenwerden und die bedrohliche Welt einer eigentlich ersehnten Sexualität. Ganz abzuschütteln ist das Kindhafte aber trotzdem nicht. Konsequent wird es vor allem von den zudringlichen (durchweg männlichen) Killern verkörpert. Ich denke, dass Figuren wie Norman Bates oder Michael Myers auch für das Bedürfnis stehen, Kind bleiben zu dürfen – sich zu verstecken, aufzulauern und lustvoll sadistisch zu sein. Wie der kinderjagende Fuchur oder der messerschlitzende Atréju im Märchenreich (auch beide männlich codiert). Ein schöner Kampf, bloß ohne den Ballast eines christlich-tugendhaften Weltrettertums, für das die nur vermeintliche „Traumfabrik“ Hollywood steht. Die echten Träume werden von denen fabriziert, die das Grauen nicht aussparen oder entschuldigen, sondern zelebrieren. Vor der Kamera, für die Kamera, für die Zuschauenden.

Wie diese Feier sadistischer, männlicher Regressionsfantasien mit der kindlichen Sehnsucht nach Weihnachten zusammengeht, zeigt der US-Slasherklassiker Black Christmas (sperrig-deutscher Verleihtitel: Jessy – Die Treppe in den Tod, 1974). Das Setting ist zunächst denkbar trostlos. Im Studentinnenwohnheim, in dem der Film spielt, wird gesoffen und geflucht. Santa Claus hängt der Bart nur lose ums leiernde Maul und der Weihnachtsbaum scheint mit Spinnweben überworfen. Wenn ein Kinderchor singt, dann maximal schrill, die Gesichter der Kinder ausdruckslos und wie tot. Überhaupt sieht Bob Clarks stilbildender Slasher ziemlich leblos aus: braunfarben, matt, ohne starke oder gar harmonische Farbkontraste. Weihnachten muss nicht erst dekonstruiert werden, kein Mensch glaubt hier noch ans besinnliche Zusammensein. Ebenso wenig wie die heutigen Zuschauenden, die filmische Dekonstruktionen des Weihnachtskitschs durch Filme wie Bad Santa (2003) ja längst gewohnt sind. Überrascht ist im Film nur der Vater einer Studentin, als er das Zimmer seiner Tochter betritt. So viel Mittelfinger und Arsch strahlt ihm von den Plakaten an den Wänden entgegen. Wie auch der im gleichen Jahr erschienene The Texas Chainsaw Massacre demonstriert, ist der Sommer der Liebe im Horrorkino der 1970er nur mehr als Echo vorhanden, als vulgäres Echo.

Umkränzte Leichen

© Filmexport Group

Wo bleibt in Black Christmas also der kindliche Zauber, der Weihnachten so magisch macht? Der kommt ironischerweise erst durch einen namenlosen Killer mit Mutterkomplex. Unentdeckt auf dem Dachboden des Wohnheims bewegt er sich zwischen Puppen und Schaukelpferden und brabbelt in kindlichen Phrasen. Irgendwann beginnt er, die Studentinnen anzurufen und sie mit seinen Monologen zu konfrontieren. Die Frauen sind erst belustigt, bald aber besorgt – spätestens, als es zum ersten Mord kommt. Und der ist durchaus weihnachtlich.

Nun muss ein kleiner Spoiler sein, der eigentlich kein Spoiler ist. Schließlich reicht schon ein Blick aufs Filmplakat von Black Christmas. Da sitzt – auf einem Schaukelstuhl drapiert und vom Weihnachtskranz gerahmt – ein in Plastik eingeschlagener Körper. Verpackt und von ihm in ehrfürchtiger Distanz angehimmelt, dient die weibliche Leiche dem Killer als noch nicht geöffnetes Weihnachtsgeschenk. Auf sie kann er nicht nur seine misogyn-chauvinistischen Gewaltfantasien projizieren, sondern auch sein kindliches Bedürfnis nach einer Mutter. Bald führt er weitere Leichen in seinen grotesken Familienkreis. Eine Gemeinschaft, wie sie zu Weihnachten gehört, ironischerweise friedlicher, als es jede tatsächliche Weihnachtsrunde jemals sein kann. Kein Streit, keine Eifersucht, die Schreie sind schon vorab verklungen. Oder vielmehr erstarrt. Eine Puppenwelt. Ordnung und Ruhe gegenüber der vulgär-desillusionierten Welt des Studentinnenwohnheims. Ein ähnliches Bedürfnis scheint auch der motorsägenschwingende Leatherface in The Texas Chainsaw Massacre zu haben. Er setzt dem Summer of Love eine vergleichbar puppenhafte, konservativ-konservierte Familienkonstellation entgegen, die nach weiteren lebendigtoten Mitgliedern verlangt.

Warum schauen sich Menschen das an? Warum ist das faszinierend? Vielleicht, weil es die groteske Einlösung eines kindlichen Weihnachtsversprechens ist. Die ständige Spannung angesichts der Bescherung, die hier in ein wohlig-sadistisches Spektakel verwandelt wird. Streit, Schreie, Enttäuschungen sind nur von begrenzter Dauer. Stattdessen führt die lustvoll-kindliche Gewalt zu einer morbide-feierlichen, traditionellen Atmosphäre. Ein eigentlich paradoxer Zustand, ein echtes Weihnachtswunder.

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