„Who the fuck are you? I’m a brat“

Charli xcx ist eine Göre und der ganze Sommer ist giftgrün. Das Album und Phänomen BRAT im Überblick.

(c) Alexandra Timofeeva

Ende August, es ist nach wie vor erdrückend heiß und den grünen Social Media Feeds nach zu urteilen immer noch Brat Summer. Am 07. Juni wird das Album BRAT von Charli xcx veröffentlicht und der Sommer sollte wie kein anderer davor werden. Alle tanzen den viralen Apple-Dance, definieren, was alles BRAT ist (quasi alles), und Charli xcx hat ein weiteres Mal gezeigt, warum sie eine der ganz großen im Musikbiz ist. Schon früh in ihrer Karriere hat sie immensen Erfolg mit Songs wie Boom Clap, I Love It oder Fancy, verschwindet jedoch danach in die Pop-Peripherie. Nun wirkt BRAT wie der längst überfällige große Durchbruch eines absoluten Superstars. Auf ihrem sechsten Album ergeben wenige Sounds ein tanzbares Album voller 2000er UK-Rave Einflüsse.

Vor einem knallgrünen Hintergrund in einer fast langweiligen Schrift präsentiert sich das Albumcover von BRAT, was direkt die ersten Diskussionen auslöst. Ein großes Pop-Album, auf dem das Gesicht der Künstlerin fehlt, das gibt es selten. Dadurch wird es besonders leicht das Cover zu reproduzieren. Memes entstehen, die teilweise sogar von Charli selbst repostet werden und die eine gewisse Community der Hörer*innen erzeugen. Das Marketing des Minimalismus im Cover funktioniert ausgezeichnet und ist allgegenwärtig.

Jede schwarze Schrift auf grünem Hintergrund ist BRAT.

So vieles, das um das Album herum passiert wirkt so nonchalant, dass es perfekt zum Gesamtauftritt passt. Das Albumcover wird durch eine Deluxe-Version ergänzt, die nur drei Tage nach der Veröffentlichung des Originals folgt. Diese neue Version hat den famosen Namen Brat and it’s the same but there’s three more songs so it’s not, all das steht vor einem weißen Hintergrund in schwarzer Schrift. Ganz im Gegensatz dazu steht der Inhalt. Es ist laut, es ist direkt, es ist frech. Und trotz all dieser aggressiven Straight-Forwardness, wird Charli xcx sehr viel mehr als nur das klassische Partygirl. Sie zeigt sich verletzlich und unsicher, das Album ist geschrieben, als würde sie sich mit einer Freundin unterhalten, dadurch wird es zugänglich. All das ist BRAT.

Lore rund um BRAT

Doch die Definition davon, was eigentlich BRAT ist, geht noch viel weiter. Charli xcx postet dazu einige Bilder aus der Entstehungszeit des Albums. Man sieht sie in Villen und auf Yachten, sie feiert wilde Partys, und währenddessen schreibt sie ein Manifest daran, man selbst zu sein. In Interviews nach der Veröffentlichung definiert sie den Begriff und, was er alles bedeutet, sehr viel einfacher. BRAT kann auch bedeuten, in einem weißen Tank-Top und mit einem BIC-Feuerzeug billige Zigaretten zu rauchen. Diese Definition ist ideal für das von Charli xcx geschaffene Album. BRAT ist nicht eine bestimmte Sache, sondern es geht darum das eigene Ding durchzuziehen, genauso wie Charli dies in ihrer Musik tut. Die Einfachheit dieses Prinzips ist das perfekte Werbekonzept für das Album.

Es signalisiert eine Community, die in einer perfekten, glatten Welt von Content, doch messy und authentisch ist.

Das Album baut über den Sommer ein riesiges Momentum auf, natürlich durch die Musik, doch besonders durch all die Geschichten rundherum, die durch ein ausgezeichnetes Marketing erschaffen werden. Charli xcx und ihr Team wissen ganz genau, was ihre Hörer*innen wollen. Schon vor der Veröffentlichung spielt Charli ein Boiler Room DJ-Set, in dem sie einige Songs des Albums anteast und genau die Partygirl-Attitüde lebt, die man vor Allem anhand der ersten Singles wahrnimmt. Doch damit nicht genug. So taucht auch eine Wand in Brooklyn auf, die immer wieder verschiedene Botschaften rund um das Album ziert und zu einem zwischenzeitlichen Pilgerort für ihre Fans wird. Charli xcx macht dort einen Livestream inklusive Auftritt und kündigt nach und nach die Deluxe-Version des Albums und eine Zusammenarbeit mit Lorde an. Auf dem gemeinsamen Remix des Songs Girl, so confusing wird nicht nur ein Feature zweier Popikonen der Gegenwart geschaffen, sondern auch die persönliche Beziehung der beiden verarbeitet.

Laut und verletzlich

Auf 15 Songs (plus der drei des Deluxe-Albums) wird Charli xcx zu der Figur, die man von ihr kennt: Partygirl, Clubgängerin, Göre. Doch sie begibt sich in viel tiefere Emotionen innerhalb ihres Albums und demaskiert ihre Partygirl-Persona. Neben dem Song I think about it all the time, der sich um die Frage des Kinderkriegens dreht, zeigt sie auf Sympathy is a knife wie Eifersucht zerfressen kann. Auf I might say something stupid beschreibt sie, wie sie sich unwohl und zu unbekannt auf einer Party fühlt. Auch diese Verletzlichkeit und

Self-Consciousness ist BRAT. Der emotionale Höhepunkt des Albums ist definitiv der Song So I, ein Tribut an die 2021 verstorbene Hyperpop-Ikone SOPHIE, mit der Charli an einigen ihrer früheren Songs gearbeitet hat. In Referenz an SOPHIEs Song It’s Okay To Cry ehrt Charli xcx einerseits die musikalische Wichtigkeit und den strahlenden Charakter SOPHIEs und beschreibt andererseits ihre Scham keine gute Freundin ihr gegenüber gewesen zu sein.

Die lauten und tanzbaren Songs von BRAT handeln konsequent von Clubs, langen Nächten und einigen mehr oder weniger legalen Substanzen.

Der Opener 360 beweist das direkt eindrucksvoll. Man macht im Song eine inhaltliche Drehung und merkt, dass Charlis Einfluss überall ist. Als wäre diese musikalische Meisterleistung nicht schon genug, kommt auch noch ein ikonisches Musikvideo hinterher. Mit einigen der großen It-Girls unserer Zeit unterstreicht Charli xcx ihren enormen Einfluss. Wir sehen Stars wie Emma Chamberlain, Rachel Sennott oder Julia Fox (die auch eine Zeile im Song inspiriert hat), in einem ikonischen Video. Auch der zweite Song ist selbstreferenziell.

Auf Club classics ehrt Charli xcx Clubkultur und zählt auf, wen sie hören will, wenn sie tanzen geht: sich selbst (obviously) aber auch ihr Verlobter George Daniel (Mitglied bei The 1975), SOPHIE und A.G. Cook, der das Album mitproduziert hat, bekommen ein Shoutout. Mit Von dutch hat das Album auch einen Disstrack. Hier nimmt sich Charli all jene vor, die durch Gossip und in hinterlistigem Verhalten aufblühen mit der hervorstechenden Zeile am Beginn des Songs: „It's okay to just admit that you're jealous of me.

Welcher Remix ist der nächste?

Charli macht das Prinzip des „Remix“ endlich wieder spannend und holt sich u.a. Addison Rae, Lorde und Billie Eilish auf Songs des Albums. Statt einer nervigen Neuveröffentlichung, die man im Release Radar skippen muss, werden die Neubearbeitungen besonders, weil sie nicht wirken, wie eine weitere Marketing-Strategie für mehr Streams (was sie in gewisser Weise dennoch sind), sondern wie das Zusammentun von einigen der ganz Großen unserer Zeit.

Mit BRAT ist Charli xcx ein Album gelungen, das alles sein kann, was es will, und dabei trotzdem so intim und persönlich ist wie nie zuvor. Ihr knallgrüner Evergreen ist eindeutig der Soundtrack dieses Sommers und hat bereits jetzt den Rang eines Favoriten innerhalb ihres Fanlagers errungen. Wir werden noch lange sehnsüchtig an den BRAT-Summer denken.

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