Unser Tag: Radikale Banalität

Hongs 30. Spielfilm Unser Tag ist ein sanfter Film über die Notwendigkeit der Entspannung und den Imperativ des Genießens. Kurzum: Lebe wie eine Hauskatze!

(c) Filmgarten

Der 30. Spielfilm ist für eine/n RegisseurIn sicherlich ein signifikanter Meilenstein, den die meisten aus verschiedensten Gründen gar nicht feiern können. Nur den Wenigsten ist heutzutage noch vergönnt, so produktiv und kontinuierlich Filme zu produzieren wie Hong Sang-soo. Mit 30 Filmen in einer 27-jährigen Karriere lässt sich Hongs Produktivität lediglich mit der eines Ridley Scotts oder Woody Allens vergleichen. Die Fließband-ähnliche Produktion seiner Filme – zumindest was die Quantität betrifft – wird durch die ökonomische Effizienz und kreative Flexibilität des Regisseurs ermöglicht; seine Filme kosten im Durchschnitt 100.000 $. Er schreibt keine Drehbücher oder Treatments mehr, sondern ist dazu übergegangen, am Drehtag die Dialoge und die Szenen niederzuschreiben. Er arbeitet mit einer kleinen Crew und einem kleinen, sich kaum verändernden Schauspielensemble. Trotz der geringen Kosten sind seine Filme gerade im Vergleich zu seinen koreanischen Landsmännern Bong Joon-ho oder Park Chan-wook kommerziell erfolglos. Die Kritik jedoch schwärmt von Hong aufgrund seiner Idiosynkrasie, weshalb er eigentlich Dauergast auf den bekannten Filmfestivals der Welt ist; denn neben dem sprichwörtlichen Tod und Steuern ist eine weitere Konstante des Lebens, dass es jedes Jahr mindestens einen Hong Sang-soo Film geben wird, der in Berlin, Cannes oder Venedig Premiere feiert.

Die größte Veränderung über die Jahrzehnte in seinen Filmen manifestiert sich in einem noch ausgeprägteren Minimalismus. Anstatt weitere narrative oder stilistische Elemente hinzuzufügen, subtrahiert der Regisseur sukzessiv immer weiter und behält nur noch ein Minimum an Plot. Sein 30. Film Unser Tag enthält tatsächlich nur vier Zooms, wovon zwei zu den schönsten seiner Karriere gehören. Der Film, als Diptychon aufgebaut – eine beliebte Hong-Struktur – erzählt die Geschichte der ehemaligen Schauspielerin Sangwon, die nach Korea zurückkehrt und für eine Weile bei ihrer Freundin Jung-soo unterkommt. Sangwons Cousine Jisoo besucht die beiden und stellt ihr Fragen zum Beruf der SchauspielerIn. Die schnörkellose Inszenierung, in klassischer Hong-Manier werden die Frauen an einem Tisch sitzend oder am Balkon stehend ohne einen Schnitt gefilmt, führt dazu, dass das Publikum sich auf die langen Dialoge fokussieren muss. Trotz ihrer 'Banalität' verlangen die Filme einen hohen Grad an Konzentration und Aufmerksamkeit, denn das Publikum muss, wie auch die filmischen Figuren bei den oft simplen Konversationen und nebensächlichen Bemerkungen zwischen den Zeilen lesen. Hongs Konversationen sind voller Fettnäpfchen, passiver Aggressivität, Fremdscham und unangenehmer Stille. Wenn zu Beginn des Films Sangwon ihrer Freundin vorwirft, weshalb sie sie nicht geweckt hat und gleich darauf die vermeintlich unschuldige Frage stellt: „Bist du so gerne alleine?", eröffnet diese kurze Konversation schon tiefe Einblicke in ihre Beziehung. Die Sprache spricht in seinen Filmen immer über sich hinaus und eröffnet so ein vermintes Feld, unter dem Missverständnisse vergraben sind, die mit jedem Fehltritt drohen zu explodieren.

(c) Filmgarten

Der dritte Zoom des Films wird kurz nach einem langen Gespräch zwischen Sangwon und Jisoo eingesetzt. Sangwons Antworten auf Jisoos Fragen über die Schauspielerei scheinen die Cousine mitgenommen zu haben. Der Spagat zwischen Ehrlichkeit und der lediglich automatisierten Wiederholung von fremdverfassten Zeilen ist der Grund, weshalb Sangwon aufgehört hat. Die Einstellung des Films zeigt die beiden auf einem vermeintlich engen Raum, gefangen in einer unangenehmen Situation. Doch dann zoomt die Kamera plötzlich heraus und gibt den Blick auf einen begrünten Balkon frei, auf dem sich die beiden befinden. Die ganze Szene verliert ihre bedrückende Stimmung, indem die Kamera die beiden Frauen aus der bildlichen Enge befreit. Es sind jene Beiläufigkeiten, die Hongs Filmen innerhalb seiner prosaischen Ästhetik ein poetisches Element verleihen.

Das 'Spannungsmoment' des Plots entsteht dadurch, dass Jung-soos Katze Unser nicht mehr aufzufinden ist. Ihr daraufhin melodramatisch anmutender Zusammenbruch scheint selbst für HaustierbesitzerInnen ein wenig skurril. Doch inmitten der Absurdität versteckt Hong einen erschütternden Satz, der von einer ebenso traurigen Antwort quittiert wird. Auf Jung-soos Aussage, dass sie eigentlich nur ihrer Katze Liebe gegeben habe, antwortet Sangwon mit einem nüchternen: „Ich weiß."

Parallel dazu folgt der Film dem seit Kurzem bei den Jugendlichen populär gewordenen Dichter Uiju, der von zwei seiner Fans, einer Filmstudentin und einem Schauspielstudenten, besucht wird. Die beiden Erzählstränge finden jedoch nie zueinander. Es existieren jedoch Gemeinsamkeiten, wie zum Beispiel, dass Sangwon und Uiju beide gerne Gochujang für ihre Nudelsuppen verwenden, die das Publikum dazu veranlassen, sich zu ihnen zu verhalten. Waren Uiju und Sangwon einst ein Paar? Oder existieren transzendentale Berührungspunkte, die nach keinen körperlichen Begegnungen verlangen? Der Film lässt diese Fragen offen und vermeidet damit eine klischeehafte Esoterik, die so oft mit diesen Themen einhergeht.

Dem alternden Dichter ist von seinem Arzt aufgrund seines gefährdeten gesundheitlichen Zustands der Zigaretten- und Alkoholkonsum verboten worden, weshalb er neben dem Versuch, mysteriöse Zen-Weisheiten weiterzugeben, hauptsächlich über sein Bedürfnis nach einem Bier oder nach einer Zigarette spricht. Der Schauspielstudent scheint, wie auch Jisoo von Sangwon, eher enttäuscht bzw. verwirrt von den Antworten des Dichters zu sein. Auf seine Fragen nach einem höheren Sinn bzw. nach den grundlegenden Dingen des Lebens antwortet Uiju mit beinahe banalen Floskeln, die konträr zur Erwartung des Studenten stehen, der sich Tiefgründigeres gewünscht hätte. Doch Hong ist kein Regisseur der Tiefe im positivsten Sinne. Vermeintlich Tiefsinniges wird bei ihm stets durch Zwischenmenschliches ersetzt, welches oft an der Oberfläche zu finden ist. Schlussendlich dürfen 'Hong-Heads' beruhigt sein, da im Verlauf des ostentativen Nicht-Plots der Dichter doch zu seinem geliebten Soju kommt und damit auch einen kleinen kritischen Kommentar auf die grassierende Selbstoptimierung hinterlässt. Denn wie auch Sangwon zur etwas übergewichtigen Katze Unser sagt: „Um was geht's denn sonst im Leben? Iss dich satt!"

Previous
Previous

„Who the fuck are you? I’m a brat“

Next
Next

Im Wasser: Die Präzision der Unschärfe