“Das hätte ich auch machen können”

Ja, hättest Du, hast Du aber nicht. Ein Kommentar zu moderner und kontemporärer Kunst sowie den Strukturen des Kunstmarkts - und was an beiden kritisiert wird (Spoiler: manche Kritik ist sehr angebracht, manche aber weniger).

@jerrygogosian (meme-page) ©

Echte Kommentare auf Instagram zu moderner Kunst:

„I’ll bet you that AI can create better modern art than people. Let the artists go on strike. See if anyone notices.“
(Übersetzt: „Ich wette mit euch, dass KI bessere moderne Kunst schaffen kann als Menschen. Lasst die Künstler*innen in den Streik treten. Mal sehen, ob es jemand merkt.“)

„Future generations will look back upon today's "modern art" as degeneracy, artists being too unskilled, lazy and unmotivated to produce the level of art that came before.“
(Übersetzt: „Künftige Generationen werden auf die heutige ‚moderne Kunst‘ als Degenerierung zurückblicken, weil die Künstler zu unqualifiziert, faul und unmotiviert sind, um das Niveau der früheren Kunst zu erreichen.“)

Ansichten dieser Richtung sind zu Hauf im Internet und in den unendlichen Tiefen des Social-Media-Doomscrollings zu finden. Sollte wirklich in jeder Aussage ein Fünkchen Wahrheit stecken, lohnt es sich schon aus diesem Grund, einen genaueren Blick auf die Entstehung dieser Behauptungen zu werfen.
Die Kommentare versuchen zu entlarven, dass zeitgenössische Kunst nur eine Hoax der Reichen und Mächtigen und der Großteil der zeitgenössischen Kunst gar keine Richtige sei. Ich gestehe: Es ist einfach nachzuvollziehen, wie solche Mutmaßungen entstehen.

Die nüchternen Fakten sprechen für sich. Der Kunstmarkt ist – gelinde gesagt – undurchsichtig. Ein Skandal nach dem anderen hat wenig dazu beigetragen, das Vertrauen in den Kunstsektor zu stärken. Hier ein paar Beispiele:

“Inigo Philbrick, Art Dealer Who Received a Seven-Year Prison Sentence for Fraud, Is Released Early” (Tessa Solomon, ARTnews, March 24, 2024, Link to the article)

“The Big Fake: Behind the Scenes of Knoedler Gallery’s Downfall” (M. H. Miller, ARTnews, April 25, 2016, Link to the article)

“Falscher Basquiat-Rahmen: Verfahren gegen André Heller eingestellt” (Olga Kronsteiner, Der Standard, August 21, 2023, Link to the article)

“Wie man 23 Millionen Euro am Kopierer verdient. Der Berater Helge Achenbach hat Milliardäre und Künstler mit gefälschten Rechnungen betrogen. Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft. Eine Begegnung mit dem Mann, der die Kunstwelt in eine Krise stürzt.” (Swantje Karich, Die Welt Kultur, February 17, 2015, Link to the article)

Damien Hirst, Myth Explored, Explained, Exploded (1993-1999)

Damien Hirst's sculpture "Myth Explored, Explained, Exploded (1993-1999)" on display at the Natural History exhibition at Gagosian Gallery in London in 2022 (Image credit: © Justin Tallis/ Getty Image).

“Damien Hirst formaldehyde animal works dated to 1990s were made in 2017. Exclusive: Three sculptures exhibited in galleries around world were artificially aged, sources claim” (Maeve McClenaghan, The Guardian, March 19, 2024, Link to the article)

Eine Branche, die so intransparent, so in sich selbst gekehrt ist – denn jemanden (vorzugsweise mit Geldbesitz) zu kennen ist das A und O – schafft den perfekten Nährboden für Schwurbler. Wo aber liegt der Trennstrich zwischen diesen und legitimen Kritiker*innen? Gehen wir in eine Factchecking-Runde des Contemporary Art Bullshit-Bingos:

1)   Zeitgenössische Kunst ist nichts anderes als Geldwäsche – Geldwäsche mit Kunst ist aufgrund der hohen Intransparenz de facto möglich, wird auch gemacht, ist aber nicht überwiegend üblich. Lediglich NFTs bergen ein erhöhtes Risiko der Geldwäsche. In Österreich, Deutschland und auch den USA ist die Gefahr für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gering. Selbst bevor der heimische Kunstmarkt durch die strengen Auflagen der Geldwäschegesetze begrenzt wurde. Weitaus beliebter sind dafür die Immobilien- und Versicherungsbranche sowie der Kryptomarkt.

2)   Zeitgenössische Kunst ist Betrug – Es wird vermutet, dass 30- bis 50 % der Kunstwerke auf dem Markt, wenn es nur um Radierungen, Drucke und Lithografien geht, Fälschungen sind. Krasse Zahl, aber logisch betrachtet ist es einfacher, moderne und zeitgenössische Kunst zu fälschen, und sie lässt sich gut verkaufen. Die Materialien sind noch ähnlich vorhanden und auch lange Provenienzen sind nicht nötig, aber Fälschungen und Betrug gab es schon bei Gemälden Alter Meister (siehe Wolfgang Beltracchi, Han Van Meegeren) und allen anderen Kunstepochen (man siehe Elmyr de Hory, Eric Hebborn, Pei-Shen Qian). Prozentual gesehen ist zeitgenössische Kunst auf dem Markt am größten vertreten: Bei Auktionen allein macht die Zeitgenössische Kunst mit 53% den größten Anteil aus, birgt also auch das größte Risiko für Fälschungen.

3) Der Kunstmarkt wird zu inflationären Preisen manipuliert – Ist das nicht neoliberaler Kapitalismus: der Wunsch nach stetig wachsenden Preisen und wenig Kontrollen? Die Höchstpreise für Kunstwerke rankten sich 2023 eher um etablierte Blue-Chip-Artists (Mark Rothko, Willem de Kooning, Jackson Pollock etc.), die noch immer als sichere Anlage gelten und medial besonders präsent sind. Ebenso Spitzenpreise erzielten Werke von jüngeren zeitgenössischen Künstler*innen, welche gehyped wurden. Preise reflektieren neben Wertschätzung, Bedeutung und Qualität eben auch die Nachfrage, die in Trends widergespiegelt wird. Durch obskure Absprachen und Spekulationen, die sich in einer intransparenten Preisgestaltung widerspiegeln, wird versucht, ein unhaltbares Interesse zu suggerieren, im Stile von „nothing is available“. Das Ziel: den Markt zu kontrollieren, um mit frischer „Ware“ größere Entwicklungen zu erzielen. Es bleibt ein Versuch.

Figur von KAWS, Edition von 500 Stück, 41,9 x 21 x 16,5 cm, Verkauf über Arton Inc., Verkaufspreis 8.500 US-Dollar pro Stück. /// Bildrecht: © Arton Inc. Quelle: https://www.artnet.de/künstler/kaws/astro-boy-vinyl-figurine-a-yAeSlQBEECETQtRDEzptwg2

4) Zeitgenössische Kunst ist keine Kunst – Nach außen mag es so wirken, wenn man fragwürdiger Konzeptkunst mit noch fragwürdigeren Texten (gestopft mit vielen schwierigen Wörtern) entgegensteht. Doch nur, weil man eine Idee nicht im ersten Moment versteht oder es wie so gerne gesagt „auch machen könnte“, heißt es nicht, dass es keine Kunst sein kann. Neben Postings über Konzeptkunst sammeln sich insbesondere bei Beiträgen über Pop-Art Künstler*innen wie KAWS die Diffamierungen ihrer Kunst. Die einen seien zu konzeptuell, würden nichts eigenes kreieren und ihre Werke seien durch ihre (absichtliche) Reproduzierbarkeit keine Kunst, den anderen wird (aus einer elitären Haltung heraus) vorgeworfen, dass der einfache Bezug zu Alltagsgegenständen und Konsumgütern keine „echte“ Kunst sei. Im Falle von KAWS’ Figuren, Spielzeugen, Skulpturen und Drucken zeigt sich, dass eine differenzierte Kritik an bestimmten Strukturen mehr als valide ist, wie beispielsweise die Hyperkommerzialisierung seiner Kunst als Luxusware. Unreflektiert das „keine Kunst-Argument“ an seiner Kunst zu verwenden und Einzelfälle auf das gesamte Genre und eine ganze Epoche zu projizieren, scheint im Gegenzug weniger angebracht.

In undifferenzierter Kritik an zeitgenössischer Kunst zeigt sich ein Muster, in dem verallgemeinernde Beobachtungen mit einer generellen Feindseligkeit gegenüber dem Neuen vermengt werden. Ein springender Punkt steckt in der Verdrehung von Fakten, vielleicht auch aus Unkenntnis. Ähnliche Argumente wurden auch über den Expressionismus, Impressionismus, Dadaismus, die Neue Sachlichkeit, den Surrealismus, Kubismus oder Fauvismus angebracht, als diese neu aufkamen.
Problematisch an solchen „harmlosen“ Aussagen ist, dass Kunstgattungen als besser und andere als weniger wert beurteilt werden und nicht nur der Gegenwartskunst, sondern auch zum Beispiel außereuropäischer Kunst die Gleichrangigkeit abgesprochen wird. Es entgeht nicht eine gewisse Familiarität mit rechtem Gedankengut bei manchen Argumenten (ein drastisches Stichwort sei hier die '“entartete Kunst” in der NS-Zeit). Daher ist es wichtig, solche Ideen zu durchleuchten, die nur die traditionelle Vergangenheit als „richtig“ ansehen wollen, um keine Theorien gedeihen zu lassen, die einen seriösen Diskurs verhindern.

Criticise the system, not the art(ist)

Wenigstens gibt uns die Kunstwelt erstklassige Memes. /// © Freeze Magazine

Gleichzeitig muss gegen problematische Strukturen in der Kunstwelt vorgegangen werden. Es braucht mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Offenheit, um auch nicht-kunstaffinen Menschen den Zugang zu erleichtern. Elitismus, Rückständigkeit und antiquierte Routinen, wie sie in der Kunstwelt weiterhin florieren, zerstören die Glaubwürdigkeit und Seriosität dieser Branche, die ihre gesellschaftliche Verantwortung stärker wahrnehmen sollte. Ohne eine Kurskorrektur bleiben die Vorgänge auf dem Kunstmarkt ähnlich einer mystischen Liturgie, nur für die wenigen Eingeweihten nachvollziehbar.

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