Zeros and Ones — Endzeitstimmung mit Babyelefanten

Abel Ferrara trägt sein eigenes Scherflein zum neuen Sub-Genre des „Corona-Films“ bei, natürlich mit dem gewissen Touch.

LOCARNO FILM FESTIVAL (c)

Über die letzten Jahre hat sich Abel Ferrara (Bad Lieutenant, The Driller Killer, Siberia) vom Regisseur schmutziger Exploitation- und Horrorfilme zum regelrechten Arthouse Filmemacher gemausert. Wobei er seine Wurzeln nie ganz abschütteln kann und vermutlich auch gar nicht will. Sein neuestes Werk, mit Ethan Hawke in einer Doppelrolle, wirkt wie ein Bindeglied zwischen der „alten“ und der „neuen“ Ära Ferraras Filmschaffens.

How come nobody lights themselves on fire anymore?

Ethan Hawke spielt einen in Rom stationierten amerikanischen Offizier, und dessen Bruder, ein kommunistischer Revoluzzer. Der Vatikan explodiert, russische Agenten schleichen durch die Nacht, die Amerikaner tun es ihnen gleich. Es ist eine düstere, schmutzige Welt, welche die Charaktere dieses Films bewohnen, das gesamte Leben scheint sich nachts abzuspielen. Es herrscht eine beklemmende Endzeitstimmung, voll von Angst, Misstrauen, Gewalt, Terroristen, Agenten, Religion, Revolutionären und Märtyrern, und natürlich Corona. Zumindest sind das alles Elemente, die dem Publikum ins Gesicht geworfen werden. Worum es jetzt im Detail genau geht, ist schon weniger einleuchtend. 

Abel Ferrara and Willem Dafoe on set

Eine konventionelle lineare Geschichte wird hier nicht zu finden sein, Antworten umso weniger. Was sich hier eher offenbart ist eine Art Fleckerlteppich an Ideen, Problemen und Ängsten, die sich in besonderen Zeiten wie diesen aufdrängen. Die Effekte sind billig, das Bild dunkel und grobkörnig. Eigentlich passend. Laut Ethan Hawke, der den Film mit einer Videobotschaft zu Anfang und Ende einrahmt, geht es um den Zwiespalt zweier Pole. Das Wunder, überhaupt geboren worden zu sein, versus der Angst und Gewissheit darüber, dass man selbst und alle die man liebt, sterben werden. Zeros and Ones. Oder so.

Relax, we’re all negative

Es wird noch besonders spannend zu sehen, wie sich Corona und das ganze drumherum noch auf das Kunstschaffen in den nächsten Jahren auswirken wird. Der Film ist ziemlich deutlich in Zeiten des Lockdowns und andere Maßnahmen geschaffen worden, ist gleichzeitig aber auch eine Reflektion eben dessen. Ethan Hawke wandert durch verlassene Straßen, jeder trägt eine Maske, man sieht zahlreiche Einstellungen, in denen sich Charaktere die Hände desinfizieren. Wir sehen einer Drogendealerin sogar dabei zu, wie sie erhaltene Geldscheine säuberlich reinigt. „Relax, we’re all negative“ sagt die russische Agentin zu dem Offizier, wie sie ihn gerade – mit Gewehr in der Hand – per Auto entführt. Was sich auch noch zeigen wird ist, wie gut solcherlei Filme altern werden. Zumindest als Zeitdokumente werden sie irgendwie bestehen können, soviel ist sicher.

It’s not just fear itself, there’s a reason why you’re afraid

Ein großes Highlight bei jedem Ferrara Film ist das Q&A mit dem Regisseur selbst. Den einzelnen Buh-Ruf und wenigen Wortmeldungen, die den Film als „boring“ rezensierten, konnte er guter Dinge wegstecken. Ob die Fragen und seine Antworten den Film etwas klarer gemacht haben, bleibt weiterhin fraglich. Es bleibt eine wahnsinnig fragmentierte, konfuse und schmutzige Anatomie der Ängste und Ideologien der heutigen Zeit. Gegen Ende kommentiert Ferrara, dass er, seit es Corona gibt, laut der Politik keine Angst mehr vor Terrorismus und Migration zu haben brauche, der Fokus liegt momentan wo anders. Inwiefern das zu der Entwirrung der tief vergrabenen Botschaft beiträgt, bleibt an dieser Stelle jedem selbst überlassen. Was die Rezensionen und Interpretationen anbelangt, wollte Ferrara nach eigenen Aussagen nicht zwangsläufig einen „spaltenden“ Film schaffen. Gelungen ist es ihm trotzdem allemal.

Am Ende des Films wird es auf einmal hell. Hell und Dunkel. Schwarz und Weiß. Part of the Solution oder Part of the Problem. Zeros and Ones. Oder so.

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