The Flash, oder: Das Multiversum im Nudelteller
Barry Allen (Ezra Miller) ist als „The Flash“ der schnellste Mann der Welt. Das jüngste und unreifeste Mitglied der Justice League rettet gern einmal ein halbes Dutzend Babys (ein frühes Highlight im Film, welches leider nicht wirklich getoppt werden kann), doch privat hat er große Sorgen: Nach dem Verlust seiner Mutter vor Jahren sitzt sein Vater als vermeintlicher Mörder hinter Gittern. Als Barry entdeckt, dass er so schnell rennen kann, dass er die Raum/Zeit-Barriere durchbrechen und in der Zeit zurücklaufen kann, beschließt er, den Tod seines Elternteils zu verhindern. Dadurch verändert er aber nicht nur die Zukunft, sondern auch alles andere. In einer Welt ähnlich der unseren muss er zusammen mit seinem jüngeren Ich (ebenfalls Miller) die Welt vor einer erneuten Alieninvasion durch den Kryptonier Zod (Michael Shannon) bewahren. Nur diesmal gibt keine Justice League, die ihn aufhalten könnte. Auf der Suche nach Superman treffen sie auf einen anderen, alternativen Batman (Michael Keaton). Mit dessen Hilfe können sie Kara Zor-El (Sasha Calle) befreien, eine Kryptonierin und Supergirls Kusine. Zu viert nehmen sie den Kampf gegen Zod und die gesamte kryptonische Armee auf.
Humor bei Schrödingers Gerechtigkeitsliga
Mit viel Humor startet der Film – wortwörtlich - in seine actiongeladene Laufzeit. Die erste Hälfte ist auch die weitaus Stärkere. Muschietti schafft es, auserzählte narrative Tropes neu einzubinden und mit einem Spin zu erzählen. In der zweiten Hälfte muss er sich aber doch Studionotizen für Cameos und Nostalgie geschlagen geben (der Film steckte nicht umsonst Jahre bzw. Jahrzehnte in der Development-Hölle und wechselte Regisseur- und Drehbuchautor*innen wie andere ihre Unterhosen). Schlussendlich entschied man sich beim ersten Solo-Film von “The Flash” nicht für eine normale Origin-Story, sondern für das Comic-Event „Flashpoint“, welches Anfang der 2010er Jahre das Label „Detective Comics“ aufmischte und verändert hatte.
Die Laufszene zu Beginn ist kreativ und visuell beeindruckend. Ezra Miller schafft auch eine sehr gute Doppel-Performance als junger und alter Barry, die sowohl humoristisch als auch ernst und dramatisch ist, sodass man ihre persönlichen Probleme und Straftaten als Schauspieler*in beinahe vergessen könnte. Beinahe.
Ebenso visuell kreativ ist die Zeitreise. Muschiettis „Bubble“, die einem Panoptikum ähnelt, hebt sich doch stark von der Art ab, wie Zack Snyder sie in seiner Justice League-Version inszeniert hat. Aber gut, jener Film ist auch nicht mehr Kanon. Oder doch? „Haben wir uns nicht vor ein paar Jahren gesehen,“ fragt Iris West (Kiersey Clemons) den Protagonisten. Er verneint, und in dieser Verneinung verbirgt sich eine Referenz auf Zack Snyders „Justice League“, in welcher sich die beiden tatsächlich getroffen haben, und Barry Iris mithilfe seiner Kräfte retten konnte. Die Szene fehlt in der offiziellen Kinoversion von “Justice League“. Durch die Referenz im Dialog existieren für einen kurzen Moment beiden Versionen kanonisch zur selben Zeit, eine Art Schrödingers Gerechtigkeitsliga, wenn man so will.
Member-Barrys and the Tale of two Batmen
Neben einem markanten Seitenhieb auf Marvels MCU gibt Michael Keatons Bruce Wayne die wohl beste und schmackhafteste Erklärung für das Multiversum, die es je gab – nämlich mit einem Teller Spaghetti: Zeitreisen verändern nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit. manchmal überlagt sich etwas, manchmal muss etwas passieren, um den Kanon zu wahren. Und diese Nudel- bzw Pasta-Symbolik zieht sich durch den ganzen Film.
Ebenjene Veränderung führt den unreifen Barry Allen mit einer noch nervigeren und unreiferen Version seiner selbst zusammen. Und während der junge Barry nun Kräfte bekommt, muss der nun kräftelose Originalflash als Mentor agieren, der Erwachsene sein, und so auch zu einem besseren Helden zu werden. Als subvertierter Origin-Film lernt der Protagonist zwar seine Kräfte kennen, jedoch weiß er eigentlich schon über diese bescheid. Es ist ein cleverer Ansatz, um frischen Wind in alte Erzählstrukturen zu bringen. Das Zusammenspiel der beiden Versionen von Barry funktioniert hierbei sehr gut, und der originale Flash muss schließlich in die Rolle des erfahrenen Helden treten und hineinreifen, um damit dann gewisse Läufe des Lebens zu verstehen. In diesem Sinne kann der Film auch als eine Art Coming-Of Age-Film verstanden werden.
Der Film weiß, dass sein Publikum Großteils aus Nerds und Fans besteht, sodass einige Erklärungen via Popkultur-Referenzen gegeben werden. „Zurück in die Zukunft“ bietet sich hierbei als Vorlage an und wird auch öfter im Film herangezogen, um zu zeigen, dass es nicht die ursprüngliche Welt ist.
Das muss auch für Michael Keaton gelten. Der Schauspieler war in den beiden Tim Burton-Filmen „Batman“ (1989) und „Batman Returns“ (1992) als Mitternachtsdetektiv zu sehen und gilt nach wie vor als einer der beliebtesten und besten Darsteller der Comic-Figur. Seit seiner Performance in „Birdman“ (2014) erlebte er eine Renaissance, und kehrte als „Vulture“ in den Sony-/ Marvel-Spiderman-Filmen in die Comicwelt zurück. Seine Vollständige Rückkehr zu DC erfährt er in diesem Film (und hätte noch einen weiteren Auftritt in „Batgirl“ gehabt, wenn dieser nicht – noch innerhalb der Produktionszeit - gecancelt worden wäre). Die Fans sehen wieder ihren „Original“-Batman, während gleichzeitig Ben Afflecks Batman nur zu Beginn vorkommt. Doch auch Keaton ist nur eine Version von Burtons Protagonisten. Weder sein Benehmen (bis auf ein paar Quirks) noch sein durch CGI-Stunt-Performer ausgeführter Kampfstil lassen darauf schließen, dass es sich um denselben Helden aus den Filmen von vor 30 Jahren handelt. Der bereits seit dem Trailer bekannte Satz „You wanna get nuts? Lets get nuts“ ist lediglich eine Referenz auf eine berühmte Szene aus „Batman“, ergibt aber sonst keinen Sinn innerhalb des Dialogs. Keatons Batman durchlebt auch nicht wirklich einen Bogen, sondern wird durch verschiedene Archetypen des eremitischen Mentors (Siehe Luke Skywalker in „The Last Jedi“) getragen. Und dieser Archetyp spießt sich ein wenig mit dem Dialog. Denn gerade Keatons Batman sollte derjenige sein, der sich am wenigsten daran stört, nicht mehr Batman sein zu können.
Der Tod und andere Stolpersteine im “Cameo Park”
Der Film hat aber auch sonst massenhaft Probleme: So ist das Uncanny Valley (Siehe “Definitionen und Begrifflichkeiten” ganz unten) ein ständiger Begleiter jeder Filmszene, vor allem, wenn beide Barrys zugleich im Bild zu sehen sind; die Gesichter mancher Held*innen, Babys und Verstorbener sehen nach Plastik aus. Am CGI hätte noch viel mehr gearbeitet gehört.
Danny Elfmans Batman-Thema wird zu oft verwendet, bei jeder Kleinigkeit, die Keatons Detektiv oder dessen Stuntdouble macht. Es findaet auf musikalischer Ebene einfach keine Veränderung statt. Die große Schlacht im letzten Akt findet auf einer ebenen, kargen Landschaft statt. Aber auch hier bleibt der Wow-Effekt aus. Andere DCEU-Regisseure wie Zack Snyder wie Patty Jenkins konnten ihr Spektakel und die damit verbundene Materialschlacht besser in Szene setzen.
Eine Anzahl von Cameos vergangener DC IPs stößt ebenso einigen Leuten sauer auf, wird doch das Antlitz verstorbener Schauspieler verwendet. „Fan-Service“ lautet hier das Credo, und hierbei wird auch nicht einmal vor dem Tod Halt gemacht. Es ist leider nichts Neues. “Rogue One“ hatte Peter Cushing, „Superman Returns“ nutzte Marlon Brandos Antlitz für eine Szene, und in „Sky Captain and The World of Tomorrow“ war Laurence Olivier als Bösewicht zu sehen – 15 Jahre nach dessen Tod. Audrey Hepburns Totenruhe wurde vor 10 Jahren mittels CGI für eine Schokoladenwerbung gestört. Besagte Cameos in „The Flash“ sind zwar lediglich visueller Natur und gar nicht für die Handlung des Filmes wichtig, aber es stellt sich in diesem “Cameo Park“ dann schon die aus “Jurassic Park” bekannte, moralische Frage, ob man, nur weil man die Möglichkeit dazu hat, es auch wirklich tun sollte.
Kara vs Toxic Masculinity
Sasha Calle gibt als Kara Zor-El die wohl beste und comic-getreueste Version von Supergirl: Stark, energetisch, wütend und brutal. Sie ist neben dem Beginn das Beste Highlight des Filmes. Die von der Kolumbianerin verkörperte Figur erfüllt das Konzept von Superman als Immigrant im Jahr 2023: Anstatt freudig aufgenommen und gefeiert zu werden, wird sie eingesperrt und ihrer Freiheiten und Rechte beraubt, wie Filmkritiker Darren Mooney feststellte. Und natürlich wird ihr durch den Film selbst auch Unrecht getan. Viel zu kurz ist ihre Zeit in der Narrative, denn schließlich wird auch sie ein Opfer der Dramaturgie – der Film heißt bekanntlich „The Flash“ und leider nicht „Supergirl“. Ein Triumph sei ihr nicht gegönnt. Das ist insofern schade, als dass es lediglich ein Mittel zum Zweck ist, um die Botschaft und den Subtext des Filmes darbringen zu können: Das „Entitlement“ von Männern. Die Ironie dieses anti-feministischen Rückschritts bleibt natürlich nicht unbemerkt. Selbst ihre letzte Szene im Film wurde zu Gunsten eines Mannes gestrichen.
Konkretere Spoiler im nächsten Absatz
Barry sieht es als sein Recht an, seine persönliche Vergangenheit zu ändern, weil er meint, dass ihm etwas weggenommen worden sei. Bruces (Ben Affleck) Worte, dass es gerade die Narben sind, die uns ausmachen, finden nur geringen Anklang. Barrys jüngeres Ich verkörpert hier den Fanboy, der die Dinge nicht ernst nimmt und alles „cool“ und „awesome“ findet, was ihm mittgeteilt wird. Seine Rüstung ist sogar ein ausrangierter und unmodellierter Batsuit. Etwas besonderes zu sein, und zu großen Dingen fähig zu sein, das ist etwas, woran viele Menschen, vor allem Männer, zu zerbrechen drohen. Und zwar genau dann, wenn dieses als Versprechen wahrgenommene Credo nicht eintrifft. Dann wird es toxisch.
Im selben Kontext ist auch der Bösewicht wortwörtlich ein „weisser alter Mann“, der sich gottgleiche Privilegien herausstreicht und über andere entscheiden mag, um eine Welt nach seinen eigenen Vorstellungen zu schaffen. Leider wird diesem Aspekt auch zu wenig Raum zum Atmen gegeben.
Ich mag ihn, aber…
„The Flash“ ist ein komplizierter Film. Weniger seine Handlung, mehr seine Existenz. Er ist gut gemacht und interessant konzipiert. Doch zu viel Vertrauen in Cameos und Nostalgie und zu wenig Zeit für gute und reale Texturen bei den CGI-Kompositionen und generell gute CGI setzen ihm schon sehr zu. Der Humor ist gut gelungen, bei der Action wünscht man sich aber tatsächlich einen Handwerker wie Zack Snyder zurück. Und sowohl Sasha Calle als auch Michael Keaton verdienen Besseres. Man wird gut unterhalten, wenn man sich darauf einlässt, aber das alte DCEU geht eher leise unter als mit Pauken und Trompeten.
Definitionen und Begrifflichkeiten
The Flash: Comicfigur und Superheld bei DC Comics. Schnellster Mann der Welt. Barry Allen, Wally West, Jay Garrick, Bart Allen und mehr trugen den scharlachroten Anzug.
Uncanny Valley: Je besser computer-generierte Effekte und grafiken aussehen, desto näher rückt man dem Uncanny Vally, dem metaphorischen Tal vor der realität. Es sieht fast real aus, aber etwas ist off. Unserem Gehirn fällt es auf, und wir werden misstrauisch. Darum haben Animationsfilme menschliche Figuren mit einfachen Gesichtszügen und großen Augen, weil sie weiter von der Realität entfernt sind und deshalb leichter zu akzeptieren sind.
Multiversum: Theorie, die besagt, dass unser Universum nicht das einzige ist. Es gibt viele Welten, in denen unsere Leben ein bisschen oder gar ganz anders ablaufen. Eine Möglichkeiten für “Was wäre wenn“-Szenarien.
Member-Berries: (Hier als Pun als “Member-Barrys” bezeichnet) Eine Referenz auf einen Handlungsstrang aus der 20. Staffel von “South Park“, in welchem das Naschobst “Member-Berries“ (dt: “Erinnerungsbeeren“) eine Rückkehr zur “guten alte Zeit” versprechen, weil früher war ja alles besser. Und heute darf man ja nichts mehr sagen. Synonym für die rosarote Nostalgiebrille.
Das DCEU: DC Extended Universe. Das cinematische Universum (eigentlich Multiversum) von DC Comics und Warner Bros. Begann 2013 mit “Man of Steel“. Weitere Filme: “Batman v Superman - Dawn of Justice”, “Suicide Squad”, “Wonder Woman”, “Justice League”, “Birds of Prey or: The Fantabulous Emancipation of Miss Harley Quinn”, “Shazam!”, “Aquaman“ “Wonder Woman 1984“, “The Suicide Squad“, “Peacemaker“, “Zack Snyders Justice League“ (mehr oder weniger), “Black Adam”, “Shazam 2 - Fury of the Gods“, “The Flash”.
Wird vom DCU abgelöst: “Blue Beetle” (vielleicht), “Aquaman: The Lost Kingdom“
Weitere Titel aus dem Multiversum: “Batman“-Tetralogie (1989 - 1997), “Superman”-Hexalogie (1977 - 2006)