Anti-Punk-Punk

Der isländische Pianist Ólafur Arnalds hat endlich seine Koffer für ein Konzert von seltener Eleganz in Wien abgestellt, um sein neuestes Album vorzustellen.

Mr Arnalds /// Anna Maggy (c)

Es gibt nur wenige, die sich mit dem isländischen Multiinstrumentalisten und Komponisten Ólafur Arnalds an einen Tisch setzen und sich damit rühmen können, sowohl im Berghain als auch im Wiener Konzerthaus gespielt haben zu dürfen. Am Montag, dem 27. Juni, trat die eine Hälfte des Techno-Duos Kiasmos nach zwei Verschiebungen endlich in Wien auf. Dies war eine Gelegenheit für ihn, endlich sein neuestes Studioprojekt, some kind of peace (Decca/Mercury KX), vorzustellen, das 2020 veröffentlicht wurde. Ein wahrlich bezauberndes Konzert.

Arnalds ist ein wahrer Live-Musiker, der seine Instrumente und seine Kolleg*innen zu schätzen weiß. Auf der Bühne wird er von fünf Musiker*innen, zwei Klavieren sowie mehreren Keyboards, Sequenzern und anderen Effektgeräten begleitet. Seine Show ist fließend, immersiv und scheint für den Wiener Saal maßgeschneidert zu sein. Mit diesem auf den Millimeter genau vorbereiteten Programm wird dem Publikum eine neue Wahrnehmung der Zeit vermittelt, in der die Minuten schneller oder langsamer vergehen. Besondere Erwähnung verdienen die Techniker*innen und vor allem die Tontechniker*innen, die an diesem Abend für eine äußerst ansprechende Beschallung sorgten. Die doch so künstliche Beleuchtung enthüllt auf einzigartige Weise die prächtigen Kulissen des Saals.

Das Konzerthaus einmal anders

Die Verstärkung ermöglicht es schließlich auch den Klavieren und anderen traditionellen Streichinstrumenten auf der Bühne, reiche Gefilde fernab der Kammermusik zu erkunden. Das letzte Stück des Konzerts, eine wunderschöne Hommage an die Großmutter des Pianisten, nutzt den Bühnenraum auf eine ganz untypische Weise. Er steht allein auf der Bühne und wird von seinen Musiker*innen begleitet, die aus den Gängen und Kulissen des Saals spielen. Die Zartheit dieses musikalischen Artefakts beeindruckt durch Einfallsreichtum und musikalische Kohärenz. Es ist überraschend, das Konzerthaus in einem ganz neuen Licht zu sehen. 

Harmonie vor allem

Alles ist melodisch und alles ist harmonisch bei Arnalds. Er lässt keinen Platz für Dissonanzen. Die Nuancen in seinen Kompositionen liegen in seiner feinen Beherrschung der texturalen Entwicklungen, der instrumentalen Anordnung seiner Stücke und der rhythmischen Brüche. Im besten Sinne ist alles so konzipiert, dass es sich gut anfühlt, dass man gerne zuhört. Mit einer unbestreitbaren Bühnenpräsenz und einem angeborenen Sinn für Humor in seinen Ansprachen an das Publikum, tritt der Mensch hervor, der sich hinter der Musik zu verbergen scheint. Als Support für Arnalds trat JFDR auf, dessen musikalischer Ansatz zwar minimalistischer, aber dennoch mit der ständigen melodischen Suche des Main Acts verwandt ist.

Verschiedene Modalitäten der Selbstverständlichkeit

Arnalds ist ein Anti-Punk-Punk. Let me explain: Die Einfachheit, Lebendigkeit und Selbstverständlichkeit, die seine Musik ausstrahlt, kommt nicht von einem Überschwang an Spontaneität oder einem überbordenden "No Future" Denkmuster. Im Gegenteil, sein unglaubliches Streben nach klanglicher Genauigkeit führt de facto zu einem Gefühl der absoluten Evidenz. Wenn es bei Arnalds überhaupt Spontaneität gibt, dann scheint sie in erster Linie ein Ausgangspunkt zu sein, aber nie tatsächlich ein eigenständiger kreativer Weg. Der BAFTA-Preisträger gehört zu diesen feinen Musiker*innen und Techniker*innen, die es verstehen, sich von der materiellen Besessenheit des Instruments zu befreien und ihre Anstrengungen der Obsession mit dem Klang vorzubehalten. Und das ändert alles. Es ist bemerkenswert, dass Arnalds sich auch mit anderen Modalitäten der musikalischen Evidenz auseinandergesetzt hat und es in seinen Anfängen mit der Punkmusik versucht hat, wie er auch auf der Bühne erwähnt. Alles in allem bleibt nach diesem Konzert die aufrichtige Frische einer musikalischen Vision in Erinnerung, die ebenso anspruchsvoll wie verführerisch ist.

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