Buh-Parade für mutige Inszenierung
„So habt ihr den Opernklassiker noch nie erlebt!“ verspricht das Musik Theater an der Wien für seinen neuen Freischütz und hält das Versprechen.
Carl Maria von Webers Der Freischütz ist eine romantische Oper aus dem Jahr 1821 mit Wald, Teufel, Hochzeit und allem, was sonst noch dazugehört. So konventionell das klingt, so unkonventionell ist diese Umsetzung als „Live-Film-Oper“. Generell sind multimediale Inszenierungen zunächst nichts Neues, denn immer öfter versprechen Regiekonzepte Musik und Bild durch die Sprache der Kamera neu zu verbinden und damit höhere Ebenen zu erschließen. Diesmal versuchte sich David Marton, ein ungarischer Regisseur, an eben so einem Konzept. Er hoffe das Hören und Sehen gegenseitig beeinflussen zu können und mit filmischen Mitteln etwas sehr Emotionales zu erschaffen. Die Tatsache, dass er neben seinem Regiestudium auch als Pianist und Dirigent ausgebildet wurde, ist in diesem Fall besonders vielversprechend.
„Live-Film-Oper“
Die Oper läuft als Film auf einer großen Leinwand, durch die der dahinterliegende Live-Drehprozess der Aufführung leicht durchscheint. Drei Live-Kameras sind dabei ständig im Einsatz, zeigen die ineinander zerfließenden Innen- und Außenwelten der Figuren und eröffnen dem Publikum neue Perspektiven. Großaufnahmen ermöglichen einen Blick auf Details, wie auf den Klumpfuß von Kaspar, der bösen Mächten ergeben ist. Eine andere Einstellung lässt das Publikum direkt aus Agathes Augen durch ihren Brautschleier schauen. Schwarz-weiß wird das Bild, als Kaspar zum ersten Mal mit Samiel spricht. Außerdem kommen die Möglichkeiten des Films auch der Idee, Agathe und Ännchen seien dieselbe Person, die zwei Seiten einer Frau darstellen, sehr entgegen. Marton stellt Agathe, die weibliche Hauptrolle, nämlich ins Zentrum seiner Inszenierung. Ihre subjektive Wahrnehmung habe dabei sehr viel mit Traumwahrnehmung zu tun. Nach einer mitternächtlichen, gruseligen Heraufbeschwörung Samiels (=der Teufel) in der dunklen Wolfsschlucht, erleidet man am Höhepunkt der Szene einen kleinen Schock: Agathe liegt im Bett, öffnet ihre auf der Leinwand riesigen Augen und spricht den letzten Satz des bösen Samiels selbst zu Ende.
Das bisherig beschriebene Inszenierungskonzept, hätte dem Publikum vermutlich genügt. Nach der Pause kam es jedoch noch zu einem Finale, das mit voraufgenommenen Filmen aus der heutigen Wiener Innenstadt bebildert wurde. Agathe, Max, Kaspar und Kuno erscheinen darin als gewöhnliche zeitgenössische Passanten und lösen große Fragezeichen im Publikum aus. Ähnlich wie die Tatsache, dass die Dialoge der gesamten Oper nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Finnisch, Italienisch, Russisch, Ukrainisch und Ungarisch gesprochen wurden.
Musikalische Barriere
Die Musik hat es in diesem Setting nicht einfach, trennt doch die Leinwand Bühne und Orchestergraben. Obwohl die Leinwand sicherlich eine Barriere darstellt, funktioniert die Aufführung prächtig, lässt aber keine besonders intime Beziehung zwischen den Musizierenden zu. Das führt zwar zu einem schönen, aber insgesamt leider zu einem einfältigen musikalischen Ergebnis -- Trotz stimmenstarker Darsteller*innen und dem Klangkörper der Wiener Symphoniker unter Patrick Lange.
Fazit „Buh“?
Als sich die Leinwand nach drei Akten zum Applaus hob, sagte meine Sitznachbarin: „Na endlich sehen wir sie!“ Ein Bedürfnis, das selbst durch die sehr große Sichtbarkeit auf der Filmleinwand nicht gestillt war. Buhrufe dominierten den folgenden Premieren-Applaus und verunsicherten das Live-Kamera-Team der Inszenierung, das anscheinend nicht auf das Wiener Opernpublikum vorbereitet wurde. „Buh“ ist nach diesem Opernabend aber kein passendes Fazit. In multimedialen Inszenierungskonzepten steckt großes Potential, wie man in vielen Momenten dieses Freischützes erleben kann. Einige Fragen bleiben nach dieser Premiere allerdings offen. Offen wie der Wunsch auch einmal wieder einfach Theater auf der Opernbühne zu sehen.