Chaos nach Vorlage
Ingeborg Bachmanns Malina im Volkstheater: Ein überfordernd hektischer Abend mit Tiefgang und verzerrtem Spiegelbild.
Malina, erschienen 1971 und seither vielgedeutet und ausgelegt, ist nun im Volkstheater Wien auf der Bühne zu sehen. Um das Leben einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen (zu deren Ehren jährlich auch ein Ingeborg-Bachmann-Preis für Literatur vergeben wird) ranken sich Spekulationen und Interpretationen. Sei es über ihre Liaison mit Paul Celan, die komplizierte Beziehung zu Max Frisch oder ihre schwere Tabletten- und Alkoholsucht. Bachmann selbst bezeichnete Malina als Autobiographie, allerdings eher auf imaginärer, poetischer Ebene.
Regisseurin Claudia Bauer, vielen durch ihre preisgekrönte humanistää!-Inszenierung bekannt, wagt sich mit Reizüberflutung und Hektik an Bachmanns viel interpretierten und mehrfach verfilmten Roman. Wer Ingeborg Bachmanns ersten und einzigen Roman nicht gelesen hat, wird dem Stück schwer folgen können.
Everything, Everywhere
Eine namenlose Erzählerin lebt im 3. Wiener Bezirk und berichtet in drei Teilen von ihrer Affäre mit Ivan, natürlich von Malina als ihrem ruhigen, ständigen Begleiter, Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, Übergriffigkeiten ihres Vaters und schließlich dem Niedergang der eigenen Existenz. Symbolisch für ihren Tod zieht sie sich schlussendlich in eine Hauswand zurück, nicht mehr fähig, zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen und ernüchtert von einer untauglichen Gesellschaft. Der Anfangsmonolog der Erzählerin (im Laufe des Abends von fast allen Schauspieler*innen einmal dargestellt) ist dem collage-artigen Originaltext entnommen. Unterbrochen durch Cuts, Musik und viel schnelles Hin- und Hertragen von Stühlen, tritt auch der Rest des Theaterensembles auf die Bühne. Alle in grauer Kleidung, oft mit blondem Pagenschnitt und rotem Lippenstift ausgestattet. Hektisches Sprechen und teilweise zusammenhanglos erscheinende Textpassagen machen diesen ersten Teil des Abends durchaus anstrengend. Trotzdem sind zwischendurch auch herzhafte Lacher aus dem Publikum zu hören.
Zwischen Drehbühne, Live-Kamera-Sequenzen und (nicht immer schönem) Gesang gerät Ivan (Samouil Stoyanov) in den Fokus. Er ist, was die Erzählerin braucht, denn ohne ihn erscheint ihr alles trostlos. Was nütze ihr das Lesen anspruchsvoller Literatur, wenn sie nicht für Ivan kochen kann? Patriarchale Machtstrukturen und toxische Verhaltensmuster innerhalb der eigenen vier Wände werden angedeutet. Der Missbrauch durch den Vater wird zwar nicht eindeutig ausgesprochen, schwingt jedoch trotzdem erdrückend mit. Durch viel Gleichzeitigkeit und eine ausgeprägte Geräuschkulisse, fällt es auch hierbei teilweise schwer, einen roten Faden zu erkennen. Ständige auf das Bühnenbild projizierte Szenen, beispielsweise intime Momente zwischen Erzählerin und Ivan, fügen zwar eine zusätzliche Ebene hinzu, überfordern jedoch an vielen Stellen. Großartig musikalisch untermalt wird der Abend von Peer Baierlein, Alexander Znamenskiy und Igor Gross.
Wer ist Malina?
Und dann ist da noch der andere Mann, Malina (meist verkörpert von Nick Romeo Reimann). Was auf den ersten Blick wie eine Dreiecksbeziehung erscheint, ist in Wirklichkeit etwas ganz anderes, denn Malina ist in Claudia Bauers Inszenierung nicht der Liebhaber oder der Ehemann; er ist viel eher das männliche Gegenüber der Erzählerin, vielleicht ihr Alter Ego. Malina ist immer zur Stelle und hört ihr zwar tröstend zu, bleibt dabei aber unberührbar und kühl. Mit der Zeit verschmelzen die Gedanken und Gefühle der Erzählerin und mit denen von Malina immer mehr. Der berühmte letzte Satz des Romans „Es war Mord“ wird hier umgewandelt in „Ich bin Malina“. Ihre eigene Existenz scheint unbedeutend geworden, nur über ihre „sonderbaren Abwege“ und mutmaßliche Einweisungen in „Irrenanstalten“ wird noch getuschelt (übrigens Dinge, die auch über Ingeborg Bachmann selbst gesagt wurden).
Was bleibt
Ein Theaterabend mit tollen Ideen, die leider teilweise in den vielen simultanen Bühnengeschehnissen untergehen. Die Handlung des Romans ist kompliziert, und das spiegelt sich auch in Claudia Bauers Inszenierung wider. Per se ist das nichts Schlechtes, ein roter Faden wäre jedoch hilfreich gewesen. Trotz der großen Reizüberflutung werden dann aber doch einige Dinge, wie der schon genannte Missbrauch, nur an der Oberfläche behandelt – getreu Ivans seichtem Ausruf „Mehr lachen! Weniger denken!“. Am Ende ist man ähnlich ratlos, wie nach dem Lesen der vielfach interpretierten literarischen Vorlage. Kann man sich auf den Abend einlassen und vor allem hinnehmen, dass manche Fragen offen und ungeklärt bleiben, oder dass auch nicht immer alles einwandfrei interpretierbar sein muss, wird man belohnt mit spannenden Gedanken zum Bachmann-Roman. Die kryptische Textvorlage ist wunderbar (verwirrend) nachgezeichnet, das bedrückende Leben der Erzählerin sticht schrill heraus. Vom Publikum wird dafür begeisterter Applaus gespendet.