Die Zerstörung des Geniekults
Über einen alteingesessenen Mythos, den es zu zerstören gilt. Zwei Verdächtige werden auf die Anklagebank geladen und zur Rechenschaft gezogen - ein essayistischer Rechtsstreit.
Ob es wohl bezeichnend ist, dass eine Frau an diesem Text schreibt und sich die Finger blutig tippt? Selbstverständlich, schließlich will Man(n) nicht in seiner Rolle enthüllt werden. Aber fangen wir langsam an oder eher: hassen wir langsam.
Das Mythos in Person
Auch ich begegne ihm. Ich begegne ihm während meines ersten Jahres an einem Theaterhaus. Ich begegne ihm nicht nur in Gestalt des Regisseurs, denn er ist auch Schauspieler, Dramaturg, Intendant. Zusammengefasst: Er ist in irgendeiner Form Künstler, sieht und feiert sich selbst so. Er ist männlich, mittleren Alters und weiß. Er macht und liebt nicht nur Kunst, er lebt sie auch: in seiner Person und in der Art und Weise wie er durch die Räumlichkeiten stolziert, seinen Kaffee trinkt, seine Zigarette raucht. Er ist ein künstlerisches Genie durch und durch. Zu Beginn war ich eingeschüchtert, aber damals war die Gesellschaft auch noch nicht bereit sich gegen ihn - oder das, was er repräsentiert - zu erheben. Jetzt blicke ich hindurch. Und viel gibt es hinter diese Fassade nicht zu entdecken.
Deshalb greife ich nach den Waffen, die meine Worte sind, und schreibe gegen dieses kulturelle Phänomen an, wie gegen Türen, die ich zertreten will. Der ewige Streit zwischen Mann und Frau (und allen Mitgliedern in der Gesellschaft, die das binäre System ablehnen) nervt. Nervt auch mich als Frau, obwohl ich die Unterdrückte bin. Aber blicken wir auf die Kulturgeschichte, sowie auf die Gender Studies, erkennen wir eine der vielen Ursachen, einen der üblichen Verdächtigen in diesem Rechtsstreit: die Kultur/Natur-Dichotomie.
Modell oder Muse?
Dem Mann wurde Kultur zugeschrieben, der Frau Natur. Der Mann als aktiv produzierender Künstler markierte seine Herrschaft über die Frau im doppelten Sinne: als vorbildlicher Künstler am Beispiel des männlichen (Genie-)Subjekts und als patriarchaler Herrscher in der Gesellschaft gegenüber der Frau. Im Zusammenspiel mit der Kunstgeschichte erfüllte die Frau infolgedessen immer nur die Rolle des Modells oder der Muse. Diese tradierten Rollenzuschreibungen führten dazu, dass die Frau bereits die Rolle der Außenseiterin einnahm, indem sie nur als Frau geboren wurde. Daraus ergab sich für die Frau als Künstlerin eine Position mit doppelter Marginalisierung: als Künstlerin und als Frau.
Bühne frei also, für das männliche Künstlergenie! Bühne frei, für das männliche Regiegenie, das mit seiner wilden, chaotischen, unfreundlichen und sexistischen Art große Kunst schafft! Ist okay, wenn er währenddessen seiner Assistentin an den Arsch fasst, seine Kolleg:innen beschimpft oder seinen Schauspielenden jegliche Zuversicht nimmt. Anders geht gute Kunst ja nicht.
Macht als Auffahrunfall
“Machtmissbrauch ist eine Frage des Charakters, nicht des Geschlechts” ist ein Satz aus der bei uns schon (zu Recht) so oft erwähnten 3sat Doku, der sich mir ins Hirn gebrannt hat und diesen ganzen Streit bis auf seinen kleinsten Nenner zusammenfasst. Macht verändert den Menschen. Macht schafft Persönlichkeit. Macht ist ein Freifahrtschein. Die Fahrt geht steil nach oben und lässt den Kollateralschaden links liegen. Aber, ich vergaß: Dem männlichen Genie, dem wird alles erlaubt. Manchmal scheint es so, als wäre die Kunst nur halb so gut, wenn der Regisseur nicht auch nur einmal die Schauspielerin auf der Bühne als dumme Ziege beschimpft.
Während ich diese Worte tippe, hasse ich das Theater, obwohl ich es eigentlich so liebe
Die nächste Ursache, der nächste übliche Verdächtige: die Medien. Du willst irgendwas mit Medien machen, fragen sie neckisch und sind sich gar nicht bewusst, wie sehr eben diese Medien uns bis ins Biologische hinein beeinflussen können. Und wie wichtig es dann doch ist, dass wir kritisch in die Medienmaschinerie eingreifen. Medien sind Motoren. Medien sind nicht neutral. Ja, ich zitiere jetzt Marshall McLuhans Satz “The Medium is the Message”, weil auch hier deutlich wird: Die Medien, die Berichterstattung und die Geschichtsschreibung tragen alle dazu bei, dass wir um den Geniekult wissen.
Mediale Reproduktion ist ein Stichwort. Repräsentation ein weiteres. Jegliche Art von Geschichte ist auch immer geprägt, von den Historikern, die sie schreiben. Es sollte also nie nur nach dem Ergebnis gefragt werden, sondern nach den Produktionsstrukturen und auch nach der medialen Bühne auf der das alles stattfindet. Wer spricht wie über wen und worüber?
Die alte Leier: die Medien sind schuld
Ach, sieh an, schon wieder eine Neuerscheinung über das Leben und Schaffen Max Reinhardts? Wieder ein Porträt über Peter Stein? Das prägt sich unterbewusst in das kollektive Gedächtnis und bringt das Rad nur weiter zu drehen, statt es anzuhalten, es auseinander zu nehmen und neu zu ordnen. Die traurige Wahrheit ist: mit diesem Text mache ich mit, werde Teil dieses Teufelskreises.
Ich drehe am Rad mit, alleine schon, weil ich das Thema aufgreife, statt es totzuschweigen. Meinungsmache und Fortschreiben von kulturellen Begebenheiten funktioniert, in dem es multipliziert wird. Vielleicht wäre es schlauer gewesen ein Porträt über aufstrebende weibliche Jungregisseurinnen zu schreiben, statt dem Genie die Aufmerksamkeit zu geben, die ihn nährt. Keine:r weiß irgendwas, wenn keine:r was darüber sagt. Aber manches, darf nicht totgeschwiegen werden, denn wer schweigt, stimmt zu.
Aber wie fängt man an?
Herrje, ich muss gleich an Immanuel Kant denken, der nichts weiter wollte, als dass die Menschen doch bitte ihren Verstand kritisch nutzen. Ich will ja auch nicht, dass die Theatergeschichte in die Tonne gekloppt wird und ich will auch keinem Regisseur seine durchaus gute Arbeit abschreiben. Durch die Geschichte sehen wir, was funktioniert, was Bestand hat, was große Errungenschaften waren. Aber Geschichte kann und sollte auch immer überschrieben, aktualisiert und hinterfragt werden, genauso wie das Medium, durch das es in den öffentlichen Diskurs gerät. Dazu zählen jegliche Art von Berichterstattung, genauso wie Seminare in der Uni oder Smalltalk unter Kenner:innen.
Ich will nur, dass wir alle einen zweiten Blick auf das werfen, was um uns herum geschieht, weit über den kleinen Theater-Kosmos hinaus.
The only way out is through.