Ein Phänomen namens Mäkelä

Mit 26 längst Superstar, aber hält er, was sein Ruf verspricht? Klaus Mäkelä mit Oslo Philharmonic im Konzerthaus und was die Wiener Symphoniker aus dem Fall Mäkelä lernen können.

Ein Superstar in Klassikmaßstäben /// John-Halvdan Halvorsen, Oslo Philharmonic (c)

„Die heißeste Aktie auf dem Klassikmarkt“: So lobt das Konzerthaus den jungen finnischen Dirigierstar Klaus Mäkelä und liegt dabei ziemlich richtig. Wenn Orchester Dirigent*innen verpflichten, ist das durchaus eine Investition in die Zukunft, fast wie eine Aktie. Die manchmal auch schiefläuft, wie bei our very own Wiener Symphonikern. Die haben sich mit ihrem Chef Andrès Orozco-Estrada im letzten Frühling so arg verkracht, dass er mitten in der Saison hingeschmissen hat. Beim Oslo Philharmonic ist das Gegenbeispiel par excellence passiert: Die Verpflichtung des damals 22-jähtigen Klaus Mäkelä in 2018 war wie ein Bitcoineinstieg Anfang der 10-er Jahre.

Mäkelä hat sich nämlich als Superstar entpuppt, bald wurde er auch beim Orchestre de Paris Chef und im letzten Jahr konnte er es sich laut Gerüchten noch dazu selbst aussuchen, welches Superorchester er zusätzlich übernimmt. New York? Chicago? München? Nein, es wurde das Concertgebouw-Orchester, locker eine der top 5 Adressen der Welt. Höher geht’s kaum noch. Dabei wird er im Januar erst 27. Chapeau.

In dieser Liga spielen die Osloer*innen nicht ganz, doch dank dem Buzz um Mäkelä touren sie jetzt mit den größten Stars in Europa herum und gelten in jeder Stadt als die Riesenattraktion. Das war schon im Mai so, als sie im Konzerthaus an drei Abenden alle Sibelius-Sinfonien spielten; auch diesmal war das Konzerthaus rappelzappelvoll.

Erwartungen: hoch. Sehr hoch.

Die erste Konzerthälfte gehörte der Solistin, Sol Gabetta. Sie spielte das erste Cellokonzert von Schostakowitsch, das fast vor einem Jahr Gautier Capuçon mit Valery Gergiev im gleichen Saal rockte, als der Krieg die politische Haltung Gergievs noch nicht unhaltbar machte (Putinfreund war der immer schon, nur haben wir da alle, mich inkludiert, ein Auge zugedrückt…). War musikalisch toll damals, Gabettas großartige Bogenhand, ihre meditativ klaren Höhenlagen, ihre Energie begruben die Erinnerungen an Capuçon und das Mariinsky Orchester aber schnell. Gabetta wird seit vielen Jahren gehypt in der Klassikwelt, das hat aber offensichtlich gute Gründe.

Die erhoffte sich das gespannte Publikum nach der Pause dann auch von Mäkelä. Tschaikowskis 6. Sinfonie ist eine meiner Lieblinge, bei diesem Stück bin ich ein wenig wie ein alter Kritiker, dem man es nur sehr schwer rechtmachen kann. Den ersten Satz begann Mäkelä außergewöhnlich langsam, hielt auch in den Pausen lange inne. Als die Musik dann plötzlich explodierte (bei Minute 9:23 in der Aufnahme) ging es aber ganz heiß her: Hier arbeitete Mäkelä die Kontraste gnadenlos konsequent aus, die Tschaikowski in seine Noten schrieb.

Currentzis lässt grüßen

Ein wenig erinnerte er damit an Currentzis. In meinem Interview mit Mäkelä bekamen wir es auch über den Griechen zu sprechen, dass er ihn musikalisch keineswegs ablehnt, wurde damals schon klar. Die Passage schaffte es dann nicht in die Endversion, nicht zuletzt, da wir das Interview wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine veröffentlicht hatten…

Der zweite Satz (17:33) gelang nicht ganz so konsequent, er hätte drängender, tänzerischer, differenzierter sein können. Im fulminanten Dritten holte Mäkelä dann aber alles aus den Osloer*innen. Selbst die volle Breitseite des Orchesters erreichte nicht die Stärke und Schärfe von MusicAeterna unter Currentzis, die das gleiche Stück im Frühling hier spielten, beeindruckend war das trotzdem. Der letzte Satz (33:53), vielleicht die bitterste, depressivste Musik, die ich kenne, war mir zunächst auch nicht gnadenlos genug, später strich ich den Satz aber aus meinem Notizheftchen: Der Schluss der Sinfonie gelang genauso hoffnungslos dunkel, wie ich mir das erhofft habe.

Message an unsere Symphoniker*innen

Konklusion? Mäkelä hat gute Ideen, viel Feuer, braucht aber ein noch besseres Orchester. Er weiß schon, warum er nach Amsterdam möchte… Unseren lieben Symphoniker*innen lehrt das Beispiel Mäkelä wiederum: Wagt den Schritt und setzt auf Talent statt auf altehrwürdige Namen! Elim Chan habe ich leider verpasst, Giedrė Šlekytė fand ich aber toll und von Emmanuel Tjeknavorian weiß ich, dass er spannende Impulse setzen würde. Setzt doch bitte ein Ausrufezeichen, dem Musikleben Wiens würde es mindestens so guttun, wie euch!

Klaus Mäkelä kann man in Wien das nächste Mal zu Silvester erleben, am 30. und 31. dirigiert er im Konzerthaus Beethovens 9. Sinfonie.

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