Travnicek im Konzerthaus

Eine Uraufführung, die brenzlige Frage, warum der Chefdirigent der Symphoniker so gern kritisiert wird und ein lustloses Publikum - Noch eine schizophren anmutende Dialogkritik.

Der Komponist der Uraufführung: Johannes Maria Staud /// Miri Huh (c)

Ach nee, deine letzte Gesprächskritik war erfolgreich genug für eine Fortsetzung?

Sagen wir’s mal so. Einen zweiten Versuch mach‘ ich auf jeden Fall. Also los, frag schon!

Ja wie war’s im Konzerthaus gestern?

Fragst du eigentlich so unmotiviert, weil ich so wenig Lust zum Schreiben habe?

Hättest du mal ein bisschen weniger gegessen, mit vollem Magen schreibt niemand gern. Aber bitte, hier eine konkretere Frage. Warum ist der Orozco-Estrada so unbeliebt?

So unbeliebt ist er dann auch nicht. In der Presse hat er aber einen schweren Stand. Das empörte „Wie lang noch?“ am Ende einer Gürtelschmied-Kritik im Herbst fasst es gut zusammen.

Ach WaGü, er ist doch einfach ein Grantler...

Das vielleicht auch, andere kritisier(t)en ihn aber auch gern. Also hörte ich diesmal noch genauer hin. Mendelssohns Schöne Melusine plätscherte tatsächlich zunächst etwas dahin. Als es dann im Stück mehr zur Sache ging, trieb AOE seine Symphoniker aber so richtig an, das war gleich viel besser.

Die Frage ist natürlich, wie viel von dem ankommt, was er da am Pult vorhat. Dass er ein quirliger Dirigent ist, reicht ja nicht unbedingt.

In der Tat. Vielleicht liegt der Hund genau da begraben: Ich saß so, dass ich die hinteren Reihen der ersten Geige genau im Blick hatte. Die saßen doch immer wieder recht gemütlich da, ohne ihren Chefdirigenten eines Blicks zu würdigen. Denken die Symphoniker*innen vielleicht auch, er könne es nicht gut genug und machen lieber einfach ihr Ding? Dann kann er natürlich so gute Ideen haben, wie er will, im Publikum ankommen wird das nie...

Schön gegendert!

Jetzt lenkst du ab. Ich könnte mir ehrlich gesagt vorstellen, dass hier tiefliegende Klischees das Problem sind.

Du meinst, dass er klein ist und deswegen nicht respektiert wird?

Banal ausgedrückt. Und, dass ihm als Südamerikaner das ‘große deutsche Fach’ nicht zugemutet wird. Beides nur vage Vermutungen, falls sie stimmen, sollten wir uns jedenfalls alle schämen.

Jetzt aber schleunigst zurück zur Musik, anstatt hier heikle Sachen zu mutmaßen. Wie war denn die Uraufführung?

Wirklich spannend! Johannes Maria Staud vertonte sechs recht moderne Gedichte von William Carlos Williams. Seine Klangsprache erinnerte teilweise an frühe moderne Musik (ich meine Strawinsky und Co), bot aber auch Windgeräusche und Schräges. Neue Musik zum ersten Mal hören und dann zu bewerten ist eigentlich recht unprofessionell.

Du musst sie ja nicht bewerten...

Tatsache. Es hat mir jedenfalls gefallen. Es half, dass man immerhin die Gedichte als Stütze hatte. Englisch verstehe ich um Welten besser als die musikalische Sprache Stauds.

Gib’s zu, die Gedichte gefielen dir besser.

Na ja, ich verstand sie eben einfacher. Dabei sind sie auch nicht ohne:

splash of a half purple, half

naked woman’s body whose jeweled

guts the cars drag up and down –

No house but has its brains

blown off by the dark!

Ganz schön dicht. Konnte die Sängerin überzeugen?

Yaree Suh sprang recht kurzfristig Andrea Carroll ein. Wirklich Chapeau, so etwas Schweres so schnell zu lernen! Klar, sie hat schon abgelesen und hätte mit mehr Vorlauf wahrscheinlich noch mehr us der Sache geholt. Das wäre vielleicht auch ein guter Grund gewesen, mehr zu applaudieren. Das Haus war fast voll, man klatschte trotzdem seeeehr vorsichtig.

Wir Wiener*innen san halt konservativ...

Dann hättet ihr zumindest für Also Sprach Zarathustra ordentlicher applaudieren können. Verglichen damit, wie bombastisch dieses Werk ist und dass hier auch die Hinterbänkler*innen viel besser bei der Sache waren, als bei Mendelssohn, war es am Ende wieder recht leise.

Bist du also überzeugt von Orozco-Estrada? So richtig hast du dich ja nicht positioniert...

Ich muss zugeben, wenn er etwas chaplinesque herumspringt, ist man doch verleitet, ihn abzuschreiben. Aber mir gefiel, was er auf den Tisch legte. Auch bei Staud, was mindestens so schwer ist, wie große Werke, die alle kennen und genauso hören wollen, wie von Karajan oder Kleiber. Ich würde wirklich gerne wissen, wie die Stimmung im Orchester ist, ob ich auch nur ein wenig richtig liege damit, dass er nicht von allen ernstgenommen wird. Es war aber wohl keine einfache Aufgabe, die Nachfolge vom so beliebten Philippe Jordan anzutreten...

Ich fand deinen ersten Versuch mit dieser seltsamen Dialogkritik übrigens immer noch besser, als diesen...

Na danke. Mir ist übrigens noch eine Inspirationsquelle eingefallen. Nicht, dass ich mein bescheidenes Geschreibsel mit Qualtinger und Bronner vergleichen würde, ihre Travnicek-Dialoge habe ich aber letzter Zeit alle durchgehört. Legendär.

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