From Russia with Intensity
Die russische Pianistin Yulianna Avdeeva verzückte bei ihrem eindrücklichen Solodebüt im Konzerthaus das Publikum mit einem klugen Programm der Moderne.
Dass Yulianna Avdeeva im Wiener Konzertleben bisher nicht allzu präsent war, mag verwundern. Schließlich gewann sie bereits 2010 den berühmten Chopin-Klavierwettbewerb, der schon Größen wie Pollini oder Argerich als Ausgangspunkt ihrer Weltkarrieren diente. Avdeeva ist keine, die eine große Show macht. Schwarz gekleidet und dezent im Auftreten nimmt sie ihre Person zurück und stellt sich stets in den Dienst der Musik, ohne jedoch in priesterlich-andächtige Frömmigkeit zu versinken.
Zwei tolle polnische Stücke zum ersten Mal im Konzerthaus
Logisch war es jedenfalls, die erste Hälfte des Abends mit dem wohl bekanntesten aller polnischen Komponisten, mit Chopin, zu beginnen. Die Polonaise-Fantaisie As-Dur präsentierte sie solide, klar und doch auch schwelgerisch. Das wahre Highlight des Konzertes waren allerdings die beiden vor der Pause noch folgenden Stücke - beide ebenfalls von polnischen Komponisten, jedoch noch nie im Konzerthaus aufgeführt.
Władysław Szpilman ist spätestens seit Roman Polanskis Verfilmung seiner Memoiren unter dem Titel Der Pianist (er wurde darin von Adrien Brody verkörpert) als Pianist und vor allem für sein mirakulöses Überleben im Warschauer Ghetto bekannt. Dass er auch Leiter der Musikabteilung des polnischen Radios, Kammermusikpartner bekannter Solisten und Komponist vieler Werke der E- und U-Musik war und in Sopot Polens größtes Populärmusikfestival gründete, geht in der kollektiven Erinnerung gerne unter. Yulianna Avdeeva wählte aus Szpilmans Schaffen eines seiner frühesten Werke. Die nur sechsminütige Suite Das Leben der Maschinen komponierte Szpilman, als er mit 22 Jahren bei Franz Schreker in Berlin Komposition studierte.
In der Zwischenkriegszeit hatte die Darstellung der technischen Errungenschaften der Industriellen Revolution jedenfalls auch in der Musik Einzug gehalten, und so entschied sich auch Szpilman dafür, ein Stück im sogenannten Maschinenstil zu schreiben. Die schnellen Tonrepetitionen und reibenden Intervalle, die diese musikalische Richtung so charakterisieren, arbeitete Avdeeva so glaubhaft heraus, dass man dachte, am Podium stünde kein Steinway mehr, sondern eine schnaufende Dampfmaschine, und sich im Maschinen im Ruhezustand betitelten Mittelteil durch eine gespenstisch leere Fabrikhalle wandeln glaubte.
Auch in Mieczysław Weinbergs Klaviersonate Nr. 4 in h-Moll wusste Avdeeva ihrem gesamten pianistischen Spektrum Ausdruck zu verleihen und so in die spezifische Charakteristik jedes Satzes der vielseitigen Sonate einzutauchen. Die großen Akkorde des ersten Satzes, das fast Tänzerische des zweiten, der sinnlich-lyrische dritte, all das bekam bei Avdeeva ein eigenes Gesicht, bevor sie das intrikate Motiv des Schlusssatzes zu fast symphonischer Klangfülle ausbreitete.
Nach der Pause wechselte Avdeeva nach Russland und bot Prokofjews Sonate Nr. 8 in B-Dur dar. Auch hier beeindruckte die Wandelbarkeit, der fein ausdifferenzierte Anschlag und die Durchdringlichkeit in ihrem Spiel. So nervös das Werk auch sein mag, hier lag es glasklar am Präsentierteller. In einem Moment bearbeitete Avdeeva die Klaviatur noch intensiv mit einzelnen Fingern, dem Handrücken oder der ganzen Faust, im anderen servierte sie im delikaten Andante sognando tänzerische Leichtigkeit, Melancholie und Wehmut.
Chopin - Szpilman - Avdeeva
Aus dem Publikum freudiges Klatschen vermischt mit einigen Bravi. Genug also, um Yulianna Avdeeva zu einer Zugabe zu bewegen. Und hier wählte sie mit Chopins posthumer Nocturne in cis-Moll nicht nur das Stück, das Adrien Brody alias Władysław Szpilman in Der Pianist live im Radio spielt, als die deutschen Truppen das Warschauer Gebäude bombardieren und das mit Szpilman assoziiert wird wie kein zweites Stück, sondern demonstrierte auch, warum sie 2010 den Chopin-Wettbewerb gewonnen hat. Himmlisch.