“Godzilla Minus One”: Traumatherapie mit Riesenechse

Als eine Art Einleitung zum 70. Geburtstags eines der größten Kinostars aller Zeiten lässt Toho die Riesenechse Godzilla auf das Japan der Nachkriegszeit los. Dabei verliert der Film nie den Fokus auf seine menschlichen Figuren.

Godzilla wird 70 /// (c) Toho

Japan, am Ende des 2. Weltkrieges: Das Land ist in Schutt und Asche gelegt. Nach dem verheerenden Kriegsende versuchen die Bewohner*innen, das Land und die Städte wieder aufzubauen. Doch da erscheint Godzilla, ein durch Radioaktivität mutierter Riesendinosaurier, auf der Bildfläche und legt erneut alles in Schutt und Asche. Der dessertierte Kamikazeflieger Koichi Shikishima (Ryunosuke Kamiki), der mittlerweile für den maritimen Minenräumungsdienst arbeitet, versucht alles, um die fleischgewordene Naturgewalt aufzuhalten. Doch was kann ein Mensch alleine gegen einen monströsen Gott wie Godzilla überhaupt ausrichten?

Der Zorn Gott(zillas)

Der Titel Godzilla Minus One wirkt ein wenig seltsam, hat aber eine schöne Doppelbedeutung. Zum einen kann das „-1“ als Ordnungszahl für Filmreihen angewendet werden, sodass es als metaphorisches Prequel zum originalen Film von 1954 gesehen werden kann. Metaphorisch deshalb, weil die beiden Filme nicht zusammengehören. Außer, dass es der 33. Toho-Film der Godzilla-Reihe ist, sind die beiden nicht in derselben Kontinuität ansässig. Ebenso wie Shin Godzilla aus dem Jahr 2016 ist Godzilla Minus One ein harter Reboot der Reihe.

Die weitaus passendere Bedeutung des Titels kann schon im Trailer erahnt werden: Japan hat am Ende des Krieges alles verloren. Bombardierungen von Großstädten, die Atombombe, Niederlagen etc. Das Kaiserreich ist am Ende, muss also quasi bei 0 anfangen. Und dann kommt Godzilla, legt noch eines drauf und nimmt den Menschen noch den Rest weg. Daher der Titel.

Koichi (Ryunosuke Kamiki) hat im Krieg alles verloren. Und jetzt noch mehr /// (c) Toho

Es ist auch das erste Mal, dass Godzilla tatsächlich ein „Period Piece“ ist, ein Film, der in der Vergangenheit spielt. Alle anderen Filme der Reihe spielen fast ausschließlich in der filmischen Gegenwart, ein paar sind auch in der nahen Zukunft angesiedelt. Das historische Tokyo wurde sehr gut als Trümmerstadt rekonstruiert, und auch die Kostüme passen gut ins Zeitbild.

Apropos Kostüme: Wie schon in Shin Godzilla ist der Kaiju kein Mensch im Gummianzug mehr, sondern wurde digital am Computer erschaffen. Godzilla sieht dabei fantastisch aus. Zunächst wirkt er in seiner „Dinoform“ vergleichsweise noch klein, doch nach den Atomtests auf den Bikini-Inseln mutiert er zu gigantischer Größe heran. Er ist eine Naturgewalt mit der Entschlossenheit eines Jägers, ein zorniger Gott. Auffallend hierbei sind seine menschlichen Augen. Als Rachegott hat Godzilla in diesem Film ein durchaus gruseliges Auftreten. Er hat zwar nicht so ein dämonisches Aussehen wie sein Pendant in Shin Godzilla oder Godzilla, Mothra and King Ghidorah: Giant Monsters All-Out Attack (2001), dennoch ist er mit einem boshaften Grinsen behaftet, und strahlt ebenso das pure Böse aus. Wortwörtlich, denn sein mächtiger Hitzestrahl erinnert sehr an den Todesstern aus Gareth Edwards’ Rogue One.

Godzilla Minus One borgt sich übrigens einige visuelle Kniffe aus Edwards Godzilla von 2014: Die Silhouette des Monsters taucht aus dem Rauch auf, Papier-Kraniche hängen über dem Gesicht einer Figur, und aus der Vogelperspektive Godzilla unter einem Kriegsschiff schwimmend. Auch sonst sind die Bilder verschreckend schön: Die Druckwelle, die einen Stadtteil von Tokyo zerstört; ein vertikaler Schwenk, um die Größe des Ungetüms einzufangen oder das Monster, dass einem Boot hinterherjagt. Gerade diese – überaus spannende - Verfolgungsjagd erinnert stark an den Der weisse Hai, nämlich, als Godzilla aus den Wellen hervorbricht und fässerartige Gefäße abgeworfen werden, um ihn abzulenken. Es darf sogar etwas im Maul der Bestie explodieren, nur um dann doch - metaphorisch - zu sagen: „This ain’t Jaws, man“.

Es ist ein Film mit ernster Thematik. Gerade deshalb scheint es zunächst undenkbar, dass die berühmte Godzilla-Fanfare vorkommen könnte. Als das Thema dennoch erklingt, hat es sich die Szene und der Film wirklich verdient.

Godzilla hat Boote zum Fressen gern /// (c) Toho

„Oppenheimer“ ist das Prequel

Im Herzen des Filmes stehen aber die menschlichen Figuren und das Nachkriegstrauma. Dadurch kommt es vermutlich zum ersten Mal seit dem Original vor, dass ein Godzilla-Film die Figuren in den Vordergrund stellt. Genau genommen könnte man Godzilla ganz aus dem Film nehmen, und man hätte ein wunderschönes Drama um PTSD und Survivor’s Guilt im Japan der 40er Jahre. Das schlechte Gewissen um den Tod seiner Kameraden und seiner Eltern lastet schwer auf Koichis Schultern, sodass er sich weigert, wirklich zu leben. Und das, obwohl ihm das Schicksal mit Noriko (Minami Hamabe) und Akiko eine neue Familie gönnen würde. Es ist ein menschliches Drama um Schuld und Sühne, das sich hier mit exzellenten Darstellungen abspielt. Das allein wäre bereits ein großartiger Film; und dann kommt noch Godzilla hinzu.

Die Tragödie um Hiroshima und Nagasaki wird nicht explizit erwähnt, könnte aber in der Diegese der Geschichte durchaus passiert sein. Jedenfalls dient Godzillas Angriff auf Tokyo als Platzhalter, mitsamt allerlei Referenzen wie schwarzer Ascheregen oder „Shinichis Dreirad“. Man kann ihn daher als Komplementär-Film zu Oppenheimer sehen und damit Lücken um den Abwurf der Atombomben über Japan füllen.

Aus diesem Abgrund erhebt sich schließlich die japanische Zivilbevölkerung, und stellt sich durch Zusammenhalt der Manifestation ihres Traumas. Nicht die Regierung, nicht das Militär, sondern Veteranen, Mechaniker*innen, Wissenschaftler*innen und einfache Bewohner*innen denken sich einen Plan aus, um Godzilla zu besiegen. Ein Plan, der keine Technologie der Zerstörung wie den berühmten „Oxygen-Destroyer“ aus dem Original, sondern dessen Gegenteil verwendet. Es ist eine wunderbare Botschaft, der man sogar einige kitschige Elemente am Ende verzeiht.

Fazit: Godzilla – 1 = Kinohighlight 2023

Es mag fast wie Gotteslästerung klingen, aber Godzilla Minus One ist tatsächlich der beste Film der Filmlegende. Er macht alles richtig, und bietet durch seine menschlichen Figuren ein wahrlich komplexes und spannendes Drama abseits der Riesenechse, die Tokyo zerstören will. Für manche Leute möge der Titel ‘Bester Godzilla-Film aller Zeiten’ wenig versprechen, aber es wäre nicht überraschend, wenn der Film auch in so mancher Top-10 seinen verdienten Platz einnehmen wird.

Begriffserklärung

Kaiju: Japanischer Begriff für fremdartige Wesen, hauptsächlich für Riesenmonster wie Godzilla, Gamera, Mothra udn den Aliens aus Pacific Rim verwendet. Filme mit diesen Wesen werden “Kaiju Eiga“ (Monsterfilme) genannt.

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