Paula Carolina: „Ich bin keine Turbo-Remix-Paula“

Paula Carolina über den Joke mit Marti Fischer, der zu ihrem größten Hit wurde, ihre Rolle als Vorkämpferin und schnacksende Nachbar*innen als Inspiration: Der Star der Neuesten Deutschen Retrowelle im Interview.

Paula Carolina (c) Aleksandra Timofeeva, Bohema mag.

Irgendein Frühlingsmorgen 2023, der Radiowecker weckt mich mit einer frechen Frauenstimme: „Haben Sie ein bisschen Kleingeld für 'nen Sechserträger Pepsi Light?“ Was danach kommt, ist eine Energiebombe à la Neueste Deutsche Welle, ein Song, der einen aufpäppelt, diese miese Welt vergessen lässt. Paula Carolinas Megahit Schreien! läuft nach wie vor auf WG-Partys und in Clubs rauf und runter. Oft im Original, noch öfter in der Turbo-Remix-Version von Marti Fischer. Ja, das ist der mit Barbaras Rhabarberkuchen.

„Eigentlich war der Remix nur ein Joke“

„Wir haben den Marti eher so aus Witz gefragt, ob er aus dem Song was machen würde. Er hat sich zwei Wochen erst gar nicht gemeldet, ich war gerade auf einer Hochzeit, als er mir den Remix geschickt hat. Wir haben ihn gleich auf der Hochzeit über Lautsprecher angemacht und alle haben übelst getobt. Und dann ist das komplett viral gegangen. Das war komplett random, hat uns aber einige Türen geöffnet. Der Song wurde gerade auch für viele nichtdeutschsprachige Leute irgendwie zur Berlin-Hymne von 2023.“

Die Türen, die sich durch ihren Erfolg geöffnet haben, führten Paula Carolina in eine leider nach wie vor männlich dominierte Welt: „Backstage ist es meist eine riesige Würstchenparty, als Frau bist du in der Szene eigentlich immer allein. Ich versuche gerade händeringend alle offenen Positionen weiblich zu besetzen, aber es ist gar nicht so leicht. Die, die es gibt, sind unfassbar begehrt. Es gibt immer noch jede Menge Vorurteile, eine Technikerin muss sich die ganze Zeit anhören, was sie nicht wissen könnte. Von einer Lichtlerin denken die Leute andauernd, sie würde Tour-Management machen. Es gibt zu wenig weibliche Vorbilder, ich schau deswegen ganz bewusst, dass ich weibliche Support-Acts mitnehme.“

„Für Veränderung können wir nur gemeinsam sorgen.“

Wie viele weibliche Acts hast du in der Playlist? „Man kann nicht sagen, nur die Booker*innen sind schuld, sie buchen, was erfolgreich ist. Da muss man sich auch an die eigene Nase fassen. Es gibt auch zu wenig weibliche Acts, die von der Energie her einen späten Spot bei einem großen Festival füllen können. Einige Musikerinnen passen mit ihrer traurigen, ruhigen Musik da einfach nicht so gut rein. Deswegen mache ich meine Musik auch so gern, weil das vielleicht auch ein Vorbild für andere Künstlerinnen ist, wieder ein bisschen lauter zu werden.“

Paula Carolina mit Dávid Gajdos (c) Aleksandra Timofeeva

Zur Eröffnung der Festwochen wurde sie nach Wien geholt, weil sie eine politische Künstlerin ist, meint sie. „Scheinbar bin ich das, ich finde es aber schwierig, das so eindeutig zu sagen. Ich bin eine Künstlerin, die sich sehr viele Gedanken über unsere Gesellschaft macht. Ich glaube, die Leute labeln mich gerne als politische Künstlerin, weil es leider gerade in der weiblichen Ecke momentan nicht so viele andere gibt. Ich habe Politik studiert und kann schon etwas dazu sagen. Gleichzeitig bin ich aber mehr als das, es gibt Momente, da habe ich keinen Bock darauf. Musik ist am Ende aber ein Abbild unserer Zeit und gerade passiert echt viel.“

Zur Musik ist Paula Carolina übers Schreiben gekommen, sie hatte vor der Band einen Gedichtpodcast, den man jetzt aber nirgendwo mehr finden würde, versichert sie lachend. Der Text steht bei ihr immer noch im Zentrum: „Für mich ist die Musik wichtig, aber die Aussage noch wichtiger. Es passiert mir selten, dass ich meine Musik auch ohne Text mag.“ Ihre Texte sammelt sie teils im öffentlichen Raum, in der U-Bahn oder auf der Raststätte zwischen zwei Shows. Sie teilt mit uns ihren letzten Eintrag aus ihren Handynotizen: „‚Deine Bedürfnisse sind mir am Allerwertesten‘. Ich mag das mit der Doppelbedeutung von ‚Allerwertesten‘.“

Die angekündigten Schnackselnachbar*innen…

Es ist aber auch sehr viel Persönliches in ihren Liedern: „Die Line ‚Ich schlaf seit Wochen nicht mehr durch, weil meine Nachbarn zu laut bumsen‘ ist mir zum Beispiel in Berlin passiert. In einer besonders stressigen Studio-Woche haben meine Nachbar*innen wirklich jede Nacht mega laut geschnackselt (lacht). Das hat mich richtig sauer gemacht und dann kam das als erste Line von Offiziell Glücklich.

„Als Teenagerin fand ich deutsche Musik noch peinlich.“

„Lieder auf Deutsch fand ich einfach schnulzig. Wenn ich Liebeslieder schreibe, wirken sie für mich immer noch oft schlageresque. Deswegen versuche ich, mit dem Text kantig zu sein. Wenn ich daran denke, dass es Udo Lindenberg wegen der Konnotation von deutschen Volkshymnen mit der NS-Zeit noch schwer hatte, auf Deutsch zu singen, ist es irgendwie geil, dass wir jetzt Musik in unserer Sprache machen können.“ Trotzdem mal auf Englisch singen? „Ich habe Englisch studiert, aber ich schreibe sehr aus meinem Kopf. Das wäre dann nicht mehr das, was ich denke, nur noch ein Googeln.“

Eine Sache nervt sie an deutscher Musik, oder eher am Publikum: „Die Leute erwarten auf Deutsch so krass, dass der Text so sein muss, wie wenn man redet. Jeremias und Provinz machen das oft exakt so, mit kleinen Floskeln, ja-s und aber-s. In meinen Songs gibt es viele Lines, die aneinandergereiht erstmal überhaupt keinen Sinn ergeben. Dann kommt voll oft auf Social Media, ‚ey, habt ihr euch den Text auf Wish bestellt?‘. Das ist das Geile am Englischen und ich finde das muss auf deutsch auch wieder kommen, zu schreiben, wie es in unserem Kopf abgeht. Hier ein Gefühl, da ein Gedanke. Bilderbuch macht es oft so. Die Deutschen sind da aber leider oft engstirnig“

Es läuft prima

Ihr Studium hat sie erst vor knapp zwei Jahren, nach ihrem ersten Plattenvertrag geschmissen. „Da habe ich gesagt, ich mach’s anderthalb Jahre und schaue was kommt. Es ist auf jeden Fall genug passiert.“ Sie lacht befreit und hat auch gute Gründe, die Millionen Streams auf Spotify und all die fetten Festival-Auftritte sprechen für sich. „Bei einem Festival in Konstanz vor kurzem war backstage wie ein großes Klassentreffen. Es ist so schön, die Bands persönlich zu kennen, die man früher bewundert hat. Musikalisch bewundere ich sie immer noch, aber ohne diesen Fan-Moment. Manchmal habe ich das noch, letztens stand plötzlich Casper neben mir, aber wir haben schnell gemerkt, dass wir über eine Ecke befreundet sind.“

Das letzte Jahr war das erste ‚richtig krasse Jahr‘, wie sie selbst sagt: „Ich habe letztes Jahr für meine Steuererklärung ausgerechnet, dass ich 229 Tage weg war.“ Wie überlebt man sowas? „Die meiste Zeit bin ich ziemlich energized. Kunst ist eine Sucht. Solange du das machst, was du liebst und die Anerkennung bekommst, die du brauchst, drückt dich die Droge Kunst immer weiter. Die Frage ist irgendwann: brennst du noch oder brennst du aus? Wenn du Musik liebst, machst du ständig weiter und gehst daran kaputt. Aber du wärst auch kaputt, wenn du es nicht machen würdest. Ich habe aber gerade die meiste Zeit schon ziemlich Spaß. Ich mag meine Musik, sie ist lustig, man hat einen Grund zum Grinsen, zum Tanzen.“

Der Erfolg hat mehrere Kehrseiten: „Wenn ich jetzt durch Berlin laufe, ist es ganz wild, ich mach‘s auch nicht mehr alleine. Letztens wollte sich in einem Café ein sehr ungeduschter, älterer Typ mit mir unterhalten. Irgendwann habe ich ihm nach dem Motto ‚Tschüss‘ einen schönen Tag gewünscht. Er kam 15 Minuten später wieder und hat mich einfach angestarrt. Aber generell erkennen mich meist sehr aufgeschlossene, kreative Leute aus meiner Bubble. Instagram macht sie immer noch selbst: „Ich find‘s geil, dass man sich da selbst erzählen kann. Früher waren das Promoagenturen, ich bin direkt bei den Fans. Da ist nur noch so ein blöder Algorithmus dazwischen. Und ich bin sooo abhängig davon (lacht).“

Turbo-Paula? Jein

Das nächste Album ist schon in der Röhre, am 27. September wird’s veröffentlicht. „Die Songs sind fertig geschrieben, wir müssen sie aber noch teilweise im Studio fertigmachen. Das ist der Moment, wo ich immer Angst habe, sie zu zerdenken. Die Tour ist schon im Verkauf, jetzt muss ich liefern.“ Ob es wieder einen Turbo-Song geben wird? „Wir wussten nach dem Remix-Erfolg erst nicht, ob wir mehr in die Richtung machen sollten. Aber ich bin einfach keine Turbo-Remix-Paula. Also machen wir so weiter, wie davor. Es wäre schon schön, auch mal einen Originalsong als Nummer eins auf Spotify zu haben, aber ich bin voll dankbar dafür, was der Remix gemacht hat.“ Einen ersten Vorgeschmack auf die neuen Lieder gibt ihre neueste Single Extra. Am Ende hat ihn Marti Fischer doch wieder remixed. Dreimal

Paula Carolina spielt das nächste Mal am 11. Oktober in Wien, Tickets gibt’s hier.

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