Im Wasser: Die Präzision der Unschärfe

Hong Sang-soos Film Im Wasser malt mit verschwommen Einstellungen, ohne dabei den Fokus zu verlieren.

(c) Filmgarten

Hong ist ein Filmemacher der Konstanten und der Repetition. Es sind stets unangenehme Männer, meistens Schriftsteller oder Regisseure, die abweisende Frauen begehren und unbeholfen, während Soju-getränkter Abende mit ihnen flirten. Zu seinen Stilmitteln gehört die lange ungeschnittene Aufnahme, die jedoch nicht wie bei anderen Regisseuren durch komplizierte, scheinbar unmögliche Kamerafahrten Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern festverankert an einer Stelle sich, von einigen langsamen Schwenks abgesehen, kaum mehr bewegt. In den häufigsten Einstellungen sieht man mehrere Personen an einem Tisch sitzen und Konversation betreiben. Zu diesem anachronistischen Stilmittel gesellt sich eine weitere als antiquiert geltende Technik hinzu: der Zoom. Der digitale Zoom gehört zu den künstlichsten filmischen Mitteln, da er die Gemachtheit des Films ausstellt und damit diametral zur vermeintlich realistischen Ästhetik Hongs steht.

Diese sich ständig wiederholenden Elemente führen dazu, dass die einzelnen Filme miteinander verschmelzen und man diese nicht individuell, sondern im Kollektiv betrachten sollte. ‘Hong-Heads‘ (kein offizieller Titel der Hong-Sang-soo-Fans) sprechen von einem ‘Hong-Verse‘, in dem seine Filme rhizomatisch ein großangelegtes Kunstwerk bilden, welches sich ohne Zentrum ausbreitet. Durch die ständige Wiederholung könnte man dem klassischen Trugschluss des ‚kennt man einen, kennt man alle‘ erliegen, doch es ist genau jene subtile Varianz, die die Filme so sehenswert macht. Trotz seines Erfolgs bei KritikerInnen bleibt Hongs Kino ein Kino der Insider. Jeder neue Film bekräftigt das Gefühl zu den Eingeweihten zu gehören; zu den Eingeladenen, die wieder ein vertrautes Terrain betreten. Hongs Film sind wie alte Freunde, die einen jedoch immer wieder überraschen können.

In seinem neusten Film Im Wasser, der zweite der 2024 erscheint, begleiten eine Schauspielerin Nam-Hee und der Kameramann Sang-guk, den jungen Regisseur Seoung-mo. Dieser sucht nach Inspiration für einen Film, den er auf der Ferieninsel Jeju drehen möchte. So weit, so Hong, möchte man sagen, doch wird das Publikum mit der, wie es von Hong heißt spontanen, stilistischen Entscheidung konfrontiert, dass alle Einstellungen des Films unscharf sind. Die kontinuierliche Reduktion, die Hong über die Jahrzehnte bei seinen Filmen betrieben hat, endet in einer bildlichen Abstraktion. Hong ist nie ein expressiver Filmemacher gewesen, so dass das Verschwimmen von Details in der Unschärfe – die Mimik, sprich die Expression der SchauspielerInnen, ist nicht zu erkennen – wie eine logische Konsequenz aus seiner ästhetischen Methode wirkt.

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Gleichzeitig soll sich das Publikum auch zu dieser ästhetischen Entscheidung verhalten und auch hinterfragen, ob es sich dabei nicht doch nur um ein Gimmick bzw. eine platte Metapher handelt. Die Unschärfe des Bildes spiegelt die Unschlüssigkeit und Unsicherheit des künstlerischen Schaffens wider, unter der der junge Regisseur leidet. Ohne einen Plan und ein wirkliches Skript, Hongs eigenen Prozess referenzierend, muss sich Seoung-mo unangenehmen Fragen der Planung und Organisation seitens seiner kleinen Crew stellen. Die verschwommenen Bilder metaphorisieren auch eine Ästhetik der Erinnerung. In einer kurzen, beinahe beiläufigen Szene telefoniert der Regisseur mit einer wahrscheinlich ehemaligen Geliebten, um diese nach Erlaubnis zu fragen, ein von ihm für sie selbstkomponiertes Lied in seinem Film verwenden zu dürfen. Kurze Ausschnitte des Lieds sind schon vorher im Film zu hören, doch erst jetzt wird dem Publikum klar, dass es sich dabei nicht um eine extra- sondern intradiegetische Melodie handelt. Diese kurze Konversation ist voller opaker Melancholie. Ob Gimmick oder nicht (und ich plädiere sehr stark für letzteres) die impressionistischen Aufnahmen – es scheint nicht verwunderlich, dass der Impressionist und Proto-Kubist Paul Cézanne zu Hongs wichtigsten Inspirationen zählt – des Meeres und der Hügel und des Trios wie es mäandernd durch die Landschaft wandert, gehören zu den schönsten Aufnahmen des Regisseurs.

Im Wasser stellt in doppelter Hinsicht den Film als Film aus, indem er einerseits auf der ästhetischen Ebene durch seine Unschärfe das Publikum darauf aufmerksam macht und andererseits indem er auf der ‘Plotebene‘ – sofern man überhaupt von einem Plot sprechen kann – den Prozess des Filmemachens darstellt. Im Vergleich zu Hongs anderen Filmen, die sich eher mit der Pre-production oder dem schon fertigen Film auseinandersetzen, setzt sich Im Wasser explizit mit dem Filmemachen auseinander und mit all den damit verbundenen künstlerischen wie ökonomischen und auch logistischen Herausforderungen. Hongs Selbstreflexion ist immer auch ein Meta-Spiel mit dem Autobiografischen. Hier scheint er eine Potenzierung der Metaebenen zu vollziehen, indem der Film Seoung-mos die Nachstellung einer im Film zufälligen Begegnung ist und damit der Film, den das Publikum zu sehen bekommt, die Produktion eines Filmes zeigt, die auf einem diegetisch realen Ereignis basiert. Diese ostentative Zuschaustellung des Mediums Film spricht auch immer für eine gewisse Hybris, indem sie radikal mit den Konventionen bricht. Es ist auch eine jugendliche Hybris, die den Regisseur motiviert Filme zu drehen, da er sich nicht kommerziellen Erfolg, sondern Ehre davon erhofft. Mit der ruhigen Art des Films scheint der alternde Hong seinem vergangenen Ich jedoch behutsam seine Hand auf die Schulter zu legen und ihm zuzuflüstern: „Gib nicht auf. Kunst braucht Zeit und Geduld.“





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