Nachts im Museum, aber mit Arnold

Willkommen in einen Hollywood-Blockbuster der Nullerjahre in der Secession:  Manos Tsangaris‘ Schönberg-Musiktheater bei Wien Modern ist eindeutig ein Festival-Highlight.

Schönberg liest aus dem Falter /// Markus Sepperer ©

Könnt ihr euch an die Kultkomödie ‚Nachts im Museum‘ erinnern? Das ist die, in der Ben Stiller als Nachtwächter entdeckt, dass die Exponate des New Yorker Naturkundemuseums nachts zum Leben erwachen. Manos Tsangaris‘ ‚Blicke‘ mimt diesen Klassiker, in der Secession ist das Publikum aber gleichzeitig staunender Wächter und lebendig gewordene Kunst. Der Komponist inkludierte die Zuhörenden bewusst in sein ‚Stationentheater für Stimmen, Darsteller:innen, Ensemble, Licht und frei wandelndes Publikum‘. Statt über die pompöse Eingangstreppe mussten wir diebisch durch den Hintereingang ins Museum schleichen, that sets the mood. Heimelig, wie Hausgeister, irgendwie verboten.

Frei nach Schönberg (zum Glück)

Die erste von sechs Stationen erwartet einen aber schon draußen: Ein Lastenaufzug fährt aus dem Boden, darin ein gemütlich eingerichtetes Zimmer und ein spielender Flötist, der dann heraustritt, um ein Gedicht zu rezitieren. Das Surreale ist einer der roten Fäden, die diese außergewöhnliche Museumsnacht zusammenhalten. In der zweiten Station gruselt man sich mit Sopranistin Friederike Kühl und einem Waldteufel in einem winzigen Kammerl im Untergeschoss. Er ist offensichtlich ein Alter Ego Schönbergs, verzieht sein Gesicht, als ihm Schumann vorgeschlagen wird, Mahler mag er mehr. Blicke ist der erste Teil von Tsangaris‘ Schönberg Trilogie Arnold Elevators, komplettiert durch Schönes Wetter in Gmunden und Double Portrait with Arnold (beide ab dem 19.11.). Sie kreisen allesamt um die Affäre zwischen Mathilde Schönberg und dem Maler Richard Gerstl, der sich nach Mathildes Rückkehr zu Arnold erdolchte und zur Sicherheit auch noch erhängte. Tsangaris hat in seinem Libretto etliche Briefe Schönbergs inkludiert, statt nachgekauter Vertonung ist sein Kunstwerk aber zum Glück ein abstraktes Erlebnis, indem Schönberg trotzdem spürbar präsent ist.

Am stärksten blieben die letzten zwei Stationen in Erinnerung: Über dem Glasdach des großen Ausstellungsraums (wo man sonst kaum hinkommt) fahren ein Ensemble von Studio Dan (das alle Musiker stellt) und zwei Schauspieler*innen in elektrischen Reinigungswägen vor und zurück, Schönberg liest aus dem Falter (kleiner Fehler, eigentlich war er trotz seiner Innovationen ein konservativer Monarchist und hätte heute eher den Kurier lesen…) über die Sehnsucht nach einem Platz für die Neue Musik in der Gesellschaft der Zukunft.

Und zum Schluss schaut das Publikum aus der Bibliothek auf die nächtliche Wienzeile, wo zwei Straßenmusiker*innen vergeblich um die Gunst der vorbeilaufenden Frierenden buhlen und ein Schauspieler als Arnold ahnungslose Passanten interviewt. Dabei geht es um unsere voyeuristischen Blicke, man fühlt aber auch hautnah nach, wie es Schönberg und Co geht, wenn die Gesellschaft die eigene Musik ablehnt. „Das offene Ohr ist frei von elitärem Habitus“, predigt Arnold auf der nächtlichen Straße, während wir wortwörtlich aus einem beheizten Elfenbeinturm zuschauen. Vom elitären Habitus sind wir auch 100 Jahre später nicht viel weiter gekommen...

Nachts hört man anders, noch ein Positivum der Produktion

„Wo sind wir eigentlich“, fragt Manos im Programmheft, die Antwort bleibt herrlich unklar: Nachts zwischen zeitgenössischen Kunstwerken in der Secession? Auf der Wienzeile bei den Straßenmusikern? Bei Arnold, Richard und Mathilde in der Ehekrise? Inmitten eines grenzgenialen Theaterstücks, das auch ohne Schönberg-Kenntnisse funktioniert? Mit Ben Stiller in New York? Im ersten Teil eines Gesamtkunstwerks, das wie Schönbergs Werk und Wesen zu groß ist, um es als Ganzes wahrzunehmen? Ja, lautet die simple Antwort. Danach ist man jedenfalls in der Kellerbar mit lauten begeisterten Festivalgästen und dem Intendanten und Dramaturgen des Abends Bernhard Günther, der irgendwas on the Rocks schlürft. Er kann zufrieden sein, mit Blicke hat er eine Sensation im Programm, die Spaß macht, berührt, zum Forschen über Schönberg einlädt und so den Platz in der Gesellschaft einnimmt, den sich Schönberg gewünscht hatte.

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