Überdosis in der Wonne-Wanne

Ein Traumpaar der klassischen Musik, zwei Lieblingskomponisten und eine hörbare Currentzis-Connection - Sabine Devieilhe mit Raphaël Pichon und seinem Ensemble Pygmalion im Konzerthaus.

Raphaël Pichon und Sabine Devieilhe /// Molina, Erato (c)

Bach und Händel: Zwei sehr alte, sehr weiße Männer (jung waren sie immerhin mal...), die zu meinen wichtigsten Helden zählen. Nein, nein, Bach für den Allergrößten zu halten, ist unter Musikliebenden wirklich nichts Außerordentliches. Zu diesem Mainstream gehöre auch ich. Warum? Wenn du dir die ersten sieben Minuten von der folgenden Kantate anhörst, wirst du es wissen. I realise, Kantate klingt nach kalten Kirchensonntagen, nicht aber diese. Die eröffnende Sinfonia ist ein erhebendes, energisierendes Stimmengewebe der ganz exquisiten Art. Bach selbst war wohl auch recht angetan von seinem Werk, er recycelte die Sinfonia später für ein Solokonzert, das mich zunächst in der (höchst antiquierten) Version von Zoltán Kocsis schon in frühen Teenagertagen begeisterte.

Diese Sinfonia setzte der fesche Franzose Raphaël Pichon aus dem obigen Video an den Anfang seines Bach-Händel-Programms. Beziehungsweise nicht ganz, noch davor bekamen wir Händels Un pensiero nemico di pace. für ein derart hektisches Stück direkt am Anfang braucht es viel Vertrauen zwischen den Musizierenden. Traumsopranistin Sabine Devieilhe ist (meines Wissens) mit Pichon verheiratet, sowas hilft…

Ein Bach-Stromschlag

So richtig ins Konzert startete ich aber dann erst mit Bach. Die sonst nur begleitende Orgel war als Soloinstrument logischerweise etwas zu leise, aber auch so schwirrte das Stück durch meine Adern, wie Strom. Pichons Tempo war haarscharf unter der Grenze von ‚zu schnell‘, überschritt sie aber nie. Diese straff-intensive Exzellenz und das stehende Orchester hatten etwas currentzisesques. Nicht von ungefähr: Pichon durfte schon MusicAeterna dirigieren. Die Stelle ab 6:11 mit den wilden Zweiunddreißigsteln war vor Ort noch zwingender, fast wie ein Drop im Club. Bach, you are my man!

Obwohl die folgende Kantate in der gleichen Tonart stand, war der Übergang nicht so richtig harmonisch. Nach der aufbauenden Sinfonia war die Stimmung zu bitter-traurig. Nach dem ersten Rezitativ konnte ich dem innigst musizierendem Ensemble Pygmalion dann ganz in die religiös-depressive Stimmungswolke folgen. Die erste Arie, Stumme Seufzer, stille Klagen traf mich dann mitten im Herz. Als Devieilhe am Ende zum Da Capo ansetzte (4:54), war ihr Pianissimo so rührend zart, dass ich in Tränen ausgebrochen wäre, wären meine Tränensäcke nicht vom Zwiebelschneiden völlig entleert gewesen.

Obwohl die Aufnahme auch exzellent ist, vermag sie mich nicht ansatzweise so zu bewegen, wie das Devieilhe in kurzer Zeit schon zum zweiten Mal schaffte. Man müsste wahrlich ein echter Poet sein, um ihre zierliche, aber doch so starke Stimme beschreiben zu können. Nach dieser Arie hätte man eigentlich ohne weiteres nach Hause gehen können: Ich wurde von der Sinfonia durchgerüttelt und von der Arie zutiefst gerührt. Was kann man noch von einem Konzert erwarten?

Problem posed, problem solved

War aber erst der Anfang. Weitere Höhepunkte waren die Gambistin Salomé Gasselin, die im Choral ohne Chor die Show von Devieilhe stahl und die freudige Schlussarie, die all die Gram der vorigen Nummern vergessen ließ. Vielleicht ist Barockmusik oft deswegen so befreiend, weil die besungenen Probleme der Welt zum Schluss gerne einfach weggeträllert werden. Und dann noch Se pietà di me non senti, einer von Händels absoluten Tophits.

Wieder bei Bach angekommen, sang Devieilhe die Arie Ich habe genug und fand damit nicht nur bei meinem durchgesessenen Hinterteil Resonanz (ich mag Pausen, diesmal gab’s keine), generell füllte ich mich schon gesättigt von dem ständigen Planschen in der Wonne-Wanne. Man kann auch nicht stundenlang Torten essen. Der Schluss war aber dann so phänomenal, dass ich wieder Lust auf mehr bekam: Mit Händels Tu del Ciel ministero eletto endete das Konzert im andachtsvollen Pianissimo. Gibt’s zu selten... Trotz viel Jubel war das musikalische Traumpaar nicht zu einer Zugabe zu bewegen. Wird Ihnen verziehen, Madame Devieilhe, aber nur, wenn Sie zeitnah nach Wien zurückkehren. TAW, Staatsoper, ihr seid gemeint!

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