Red Rocket – Warme Schale, kalter Kern

Sean Baker greift in seinem neuesten Werk auf Versatzstücke seines bisherigen Œuvres zurück und kreiert ein angenehmes Komödiendrama mit tragischem Inhalt. 

A24 (c)

Sean Baker ist wohl einer der derzeit heißesten Regie-sterne am Filmhorizont. Dies wurde mir jetzt erneut verdeutlicht, als ich ganz entspannt in das Gartenbaukino schlenderte und mit einer ungeheuren Masse an Filmliebhabenden konfrontiert wurde, die die Hallen und Gänge des Lichtspielhauses zu einer undurchlässigen Wand aus Menschenkörpern verwandelten. Sein neuster Film war nämlich ausverkauft… Mit Werken wie Tangerine und The Florida Project profilierte sich der Amerikaner in den 2010er-Jahren als Regisseur, der kritische Sozialdramen in einer einzigartig warmen, witzigen und wunderschönen Form auf die Leinwand bringt. Eine Formel, die sich auch in seinem frischesten Film Red Rocket wiederfinden lässt. 

Wir befinden uns in einer kleinen texanischen Stadt während des amerikanischen Wahlkampfs 2016. Der Pornodarsteller Mikey (Simon Rex) ist finanziell am Boden und kehrt desillusioniert aus Los Angeles in seine provinzielle Heimat zurück. Hier versucht er wieder neuen Kontakt zu seiner (eigentlich von ihm getrennten) Ehefrau Lexi (Bree Elrod) und deren Mutter Lil (Brenda Deiss) aufzunehmen, in einer Nachbarschaft, die von Armut und Drogen geprägt ist. Zunächst stößt er auf Widerstand seines Umfelds, aber es gelingt ihm schließlich, Unterschlupf bei seiner kaputten Familie zu finden und sich doch irgendwie wieder etwas einzuleben. Und dann lernt er die 17-jährige Donut Verkäuferin Strawberry (Suzanna Son) kennen. 

Ein Golden Retriever hat auch Schattenseiten 

Red Rocket beginnt mit einer Szene, wie sie schöner nicht sein könnte. Wir sehen auf atemberaubend nostalgischem 16-mm-Film den Protagonisten, wie er während einer wackeligen Busfahrt ruht, und im Hintergrund NSYNCs Megahit Bye Bye Bye ertönt. Mikey ist eine Figur wie ein Golden Retriever. Er ist charismatisch, meist in guter Stimmung und lässt sich schon vom einfachen Erblicken einer Libelle im Garten begeistern. Die Figur, die von Simon Rex (der selbst in der Pornoindustrie tätig war) verkörpert wird, ist die treibende Kraft in Red Rocket. Unzählige witzige Dialoge und zum Schmunzeln anregende Situationen halten unser Wohlbefinden stets auf einer sehr hohen kuscheligen Stufe.

Doch Baker zeichnet seinen Protagonisten ambivalent. Ein Golden Retriever mag zwar erst einmal einen süßen Blick draufhaben und sich auf Familientreffen zur geselligen Hauptattraktion entwickeln, doch wenn man ihn aus den Augen verliert, kann er auch ganz schnell das Sofa zerlegen und sich mit fremden Vierbeinern paaren. So ist es auch mit Mikey. Denn bald wird klar, dass er dezent misogyn ist und vor allem im Umgang mit der minderjährigen Strawberry ziemlich manipulatives Verhalten an den Tag legt.  

Ein dunkles Bild der Familie 

Auch im provisorischen Haushalt von Mikeys zerbrochenen Familie versteckt Baker ein dunkles Bild hinter der warmen Inszenierung. Verdrängte Vergangenheiten und der Geruch von Drogen liegen immer in der Luft der kleinen Wohngemeinschaft, die wie so oft bei Baker innerhalb der weißen Unterschicht zu verorten ist. Sympathien und Antipathien werden hier stets vom finanziellen Nutzen abhängig gemacht, die man dem Gegenüber zutraut. Wer Geld hat, wird freundlich empfangen, wer keines hat, wird zum Ausgang begleitet. 

Vielleicht speziell interessant für Wiener Student*innen 

In seinen oftmals tragischen Situationen lässt er lustigerweise auch gerade für Studierende (also wahrscheinlich die meisten von euch) viele nachvollziehbare Situationen auf die Leinwand projizieren. So sehen wir zum Beispiel den Hauptdarsteller, wie er bei der Jobsuche mit einer viel zu hohen praktischen Berufserfahrung als Voraussetzung konfrontiert wird.

Auch lassen sich Auseinandersetzungen über den Konflikt zwischen der kleinstädtischen Herkunft und dem Ausreißen in die Großstadt finden. Die Entfremdung vom Ort, in dem man sozialisiert wurde, geht hier sogar so weit, dass Mikey seinen Akzent, mit dem er aufwuchs, ablegte, um sich in Los Angeles zu integrieren. Vielleicht lassen sich bei einigen Studierenden, die vielleicht aus der Kleinstadt nach Wien gekommen sind, einige Funken für eine nette kleine Selbstreflexion entzünden. 

Trister Kern mit bunter Hülle 

Besonders gelungen ist Baker die Inszenierung von Außen- und Innenräumen. Wie man meinem vorherigen Schwärmen über den warmen Stil des Regisseurs entnehmen kann, sind die Außenaufnahmen der texanischen Provinz immer von einer immensen Wärme, einer starken farblichen Sättigung und weiten bunten Örtlichkeiten geprägt. Stilistisch bewegt sich der Film dabei irgendwo zwischen Hollywoodglanz und Coca-Cola-Werbung.  

Die Innenaufnahmen (der Wohnungen) hingegen sehen ganz anders aus. Hier sehen wir dunkle, ungesättigte und von chaotischer Unordnung geprägte Räume auf kleinstem Raum. Ähnlich verhält es sich auch mit Mikey. Nach außen hin malt er das Bild des erfolgreichen, charismatischen Pornostars, wohingegen er in seinem Inneren eine tragische Figur ist – eine gebrochene, in die Armut getriebene, manipulative und unmoralische gescheiterte Existenz.

Es ist klar, dass uns Baker hier den Kontrast zwischen einem idealisierten, nach außen gerichteten Bild der USA und gesellschaftlichen Realitäten, die von Ungerechtigkeit gezeichnet sind, vermitteln will. Nach außen hin sieht ein Schmetterling schön aus, aber wenn man ihn mit einer Lupe betrachtet, ist sein Gesicht doch ganz schön furchterregend. Dieser Kontrast gelingt Baker hier sehr gut, doch hat er das gleiche Konzept schon in anderen Filmen verwendet. In The Florida Project trieb er diesen Widerspruch auf einen absoluten Höhepunkt, indem er uns eine vernachlässigte, vom Schicksal geplagte Familie zeigte, die in einer prekären Unterkunft lebt, die jedoch nach außen hin wie ein riesiges rosa Schloss scheint.  

Angenehme Tragik à la Sean Baker

Sean Baker beweist auf ein Neues, dass er perfekt weiß, wie man tragische Geschichten in eine warme, witzige und leichte Form überträgt. Ihm gelingt hier ein wunderschönes Komödien-drama, das gerade durch seinen Kontrast zwischen unglaublicher Anmut der Inszenierung und bedrückender 

Realität des Inhaltes besticht. Es ist jedoch leider festzustellen, dass er besagten Kontrast schon in The Florida Project auf einem noch höheren Level darstellte, und auch die Erzählung über das schwierige Leben eines Pornosternchens war in Starlet berührender – wenn auch nicht so lustig. Was soll man da sagen? Baker macht einen für ihn typischen Film und das funktioniert sehr gut, auch wenn er manche Konzepte schon noch schöner ausgearbeitet hat. Der Baker bleibt nun mal bei seinem altbewährten warmen Brot. 

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