Slash vorab; oder wie man über Filme spricht, die man noch nicht gesehen hat
Ein Text über einige Filme aus dem diesjährigen SLASH-Programm… doch wie erstellt man einen Vorbericht über ein Festival, dessen Filme man erst während des Festivals zu sehen bekommt?
Nach dem auslaugenden Filmsommerloch, welches uns nur mit halbherzigen Filmen gequält hat, beginnt ein neuer Filmfrühling, denn Herbst ist auch immer Filmfestivalzeit. Nach dem Queerfilmfestival und vor der Viennale beginnt das alljährliche und schon lange nicht nur bei Genrefans sehr beliebte Horrofilmfestival Slash. Doch wie erstellt man einen Vorbericht über ein Festival, dessen Filme man erst während des Festivals zu sehen bekommt? Ist ein solcher Vorbericht überhaupt legitim oder wäre ein solcher Text näher an KI-Halluzinationen als an einer produktiven Auseinandersetzung mit den zu zeigenden Filmen?
In Pierre Bayards provokantem Werk, dessen Titel: „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“ dreist für die Überschrift dieses Artikels geklaut und minimal abgewandelt wurde, entpuppt sich der Autor als Befürworter des Nicht- bzw. Querlesens von Büchern. Der implizite Zwang ein Buch erst zur Gänze gelesen haben zu müssen, um die Erlaubnis zu erhalten darüber eine Aussage treffen zu dürfen, existiert ebenfalls bei Filmen. Dabei geht man von der fälschlichen Annahme aus, dass es sich bei einem Film um ein abgeschlossenes Werk handelt, welches sich nach einmaligem oder auch wiederholtem Schauen nicht mehr verändern kann.
Dabei ist der Film ein offenes Kunstwerk, das nie auf eine holistische Art und Weise als Ganzes verstanden werden kann. Darüber hinaus existiert der Film auch nie in einem Vakuum, sondern definiert sich auch immer ein Netzwerk an anderen Kunstwerken, mit denen er in Verbindung steht. Der Film ist also immer individuell und kollektiv zu gleich. Schlussendlich wird über die zeitliche Dimension jeder Film zum Fragment; übrigbleiben nur noch bruchstückhafte Erinnerungen an eine Version eines Films, die sich oft auch mit Wunschvorstellungen vermischen. Die im Artikel besprochenen Filme sind ebenfalls nur fragmentarisch in der Form des jeweiligen Trailers gesehen worden. Darauf basierend sind diese kurzen Texte entstanden.
The Substance
Bodyhorror ist eine tragende Säule des Horrorgenres. Das Abjekte, welches vom Körper abgestoßen werden muss, um dessen vermeintliche Einheit wiederherzustellen, spielt dabei eine signifikante Rolle. Das Genre bezieht sich oft auf körperliche Verstümmelungen bzw. Transformationen, die die Dichotomie von Körper und Bewusstsein in Frage stellen. Dabei wird das Publikum gezwungen sich zu der eigenen Körperlichkeit zu positionieren. Transformation spielt auch in dem zweiten Spielfilm von Regisseurin Coralie Fargeat The Substance eine Rolle. Dabei entsteht der Horror nicht mehr aus Folterszenen oder brutalen Experimenten an fremden Körpern, sondern anhand strukturell erzwungener Selbstversuche ausgelöst durch den gesellschaftlichen Schönheitswahn. Das feministische Element des Bodyhorrors – Privatteile sind politisch! – wendet Fargeat in ihrem Erstlingsfilm Revenge (2017) auf das Rape-and-Revenge-Genre an. Dabei ist die Regisseurin kein Fan von Subtilität, die man in The Substance mit seiner knallbunten Farbpalette und in den durch ein Fischaugenobjektiv verzerrten Szenen ebenfalls vermisst. Auch mit der Metaebene in einem Film übers Altern und Verjüngung Demi Moore zu casten lässt Fargeat das Skalpell links liegen und greift lieber zum Vorschlaghammer.
Twilight of the Warriors: Walled In
Die Aura, welche die Stadt Hong Kong ausstrahlt – eine undefinierbare Mischung aus Melancholie und Nostalgie ausgelöst durch eine verlorene Zukunftsvision, die hier als unheimlicher Cyberpunk-Geist die Stadt heimsucht – lässt sich am besten durch das Medium Film transportieren. Zu den beliebtesten Martial-Arts-Filmen der 70er Jahre zählen jene, die in Hong Kong produziert worden sind. Mit Twilight of the Warriors: Walled In kehrt das globalisierte, und dank Filmen wie John Wick 3&4 wieder an Popularität gewinnende, Genre zu seinen geografischen Wurzeln zurück. Actionfilme leben von einer Erweiterung und gleichzeitigen Verkleinerung: Die Actionsequenzen müssen, einer kapitalistischen Logik folgend, immer innovativer und aufwendiger werden – sprich akkumulieren – und der Raum muss sich dabei verkleinern. Der Actionfilm lebt auch von einer Begrenzung des Raumes, wie bei einem Kammerspiel, Theater oder beim Ballett ist die Choreografie räumlich limitiert. Der Trick dabei besteht darin, einen möglichst großen Raum, möglichst abgeschlossen wirken zu lassen: Die Straße beim finalen Schusswechsel in Heat ist riesig, wirkt aber durch die audiovisuellen Stilmittel beengend. Soi Cheangs Film Twilight of the Warriors: Walled In spielt in einem realen, heute nicht mehr existierenden Stadtteil Hong Kongs: der Walled City. Der rechtlich unkontrollierte, völlig chaotisch bebaute Stadtteil, der sich durch seine teils 14-stöckigen Wohnhäuser vom Rest der Stadt abgrenzte, wird filmisch zu einem abgeschlossenen Mikrokosmos. Dass der Regisseur es versteht den urbanen Moloch hyperstilisiert zu inszenieren, hat er schon in seinem Film Limbo (2021) bewiesen. Die erfolgreichen Actionfilme der letzten Jahre schaffen es ihre übertrieben Künstlichkeit mit einer Ernsthaftigkeit zu verbinden, die sich explizit gegen das Meta-Augenzwinkern der Superheldenfilme stellt. Man kann nur drauf hoffen, dass es Twilight of the Warriors: Walled In ebenfalls gelingt.
Strange Darling
Bei einem Twist stellt sich die Frage, ob das Wissen um die Existenz eines Twists, die Überraschung desselbigen zerstört. Entsteht der Twist durch das völlige Unvorbereitet-sein oder wird er durch die Entwicklung des Plots herausgeboren? Braucht es für eine Überraschung eine Erwartungshaltung, zu dessen Inkongruenz man sich dann verhalten kann, sprich überrascht sein kann oder wird die Überraschung ex nihilo geboren? Natürlich führt das Vorwissen um einen Twist dazu, sich während des Films zu fragen, woraus dieser bestehen könnte. Das Erstellen der Theorien und das Hinterfragen des Gezeigten, welches wahrscheinlich durch den Twist pervertiert wird, kann sich positiv oder auch negativ aufs Filmerlebnis auswirken. Strange Darling ist ein Film, der von wenig Vorwissen profitiert. Doch verrät das Vorwissen um die Notwendigkeit für wenig Vorwissen nicht schon den Twist?
Oddity
Der Jumpscare ist in Zeiten des schwammig definierten Elevated-Horror-Genres zu einem verpönten Stilmittel verkommen, auf welches nur noch die basalsten Horrorfilme zurückgreifen. Dabei kann ein effektiv inszenierter Jumpscare einer Mini-Katharsis gleichkommen, indem der kurzfristige Schock ausgelöst durch ein subjektives Empfinden zu einer Freisetzung körperlicher Energie führt. Darüber hinaus löst der Jumpscare auch das Crescendo der angespannten Stimmung in einem explosiven Moment auf und lässt das Publikum dennoch in den Trümmern des Unheimlichen zurück. Zu den Begriffen unheimlich, weird und eerie gehört auch der Ausdruck odd, der eine Verschiebung des Gewohnten bezeichnet. Diese Schwellenbegriffe existieren als verzerrte Wirklichkeit. Lässt sich etwas als odd bezeichnen, muss noch immer eine Spur des Gewohnten erkennbar sein, erst dadurch lässt sich die Perversion nachvollziehen. Dementsprechend ist diese Gleichzeitigkeit von ungewohnt/gewohnt dem Begriff odd eingeschrieben und er oszilliert zwischen diesen Bedeutungen. Oddity lebt von seiner unheimlichen Atmosphäre, die stark an die romantische Schauerliteratur angelehnt ist. Die Gebäude sind dabei auch immer Psychotopografie; eine Reflexion der inneren Zerrüttung, die sich in der Unheimlichkeit bzw. der Heimsuchung des Ge/Bewohnten manifestiert.
Memoir of a Snail
Dass der Animationsfilm als Genre gewertet wird, scheint mir eine fälschliche Annahme zu sein. Die Fülle an Animationsfilmen, die, bis auf die Tatsache, dass keine lebenden Personen auf der Leinwand auftauchen, nichts gemeinsam haben, scheint mir auch Recht zu geben. Trotzdem ist der Animationsfilm oder auch der Stop-Motion-Film mehr als nur ein Stilmittel, da die Substanz der jeweiligen Filme darauf basiert. Der Begriff des Modus scheint mir am produktivsten zu sein, um diese Filme zu kategorisieren, womit die Daseinsweise ausgedrückt wird. Die Stop-Motion-Technik konstituiert das Sein des Stop-Motion-Films und reflektiert auch Aussage und Plot des Films: Der Modus ist die Message! Adam Elliot rückt in seinen Filmen die Peripherien, örtliche wie gesellschaftliche, ins Zentrum des Geschehens. Es sind die Lebensgeschichten der Randständigen. Er verleiht der Oberfläche und der Textur des Materials eine Menschlichkeit, die durch den grauen Alltag des Films durchscheint.
Das SLASH Festival läuft bis zum 29. September im Filmcasino, im Metro Kinokulturhaus - und anderorts.
Info: https://slashfilmfestival.com/