Das Verborgene im Dunkeln
Glamour, Networking und eine krasse Show im Volkstheater: Ultima Vez führt beim diesjährigen ImPulsTanz-Festival in einen Untergrund aus Lehm, Okkultismus und in Flammen stehenden Körpern.
Schöne Menschen warten vor dem Volkstheater bei ungefähr 35 Grad darauf, ihren Platz einnehmen zu können. Großer prunkvoller Saal, Designer-Teile werden lässig kombiniert. In die verschwitzten Gesichter wehende Programme.
Man sitzt in der dritten Reihe, weil man eingeladen wurde und schaut ins Licht.
Ultima Vez hatte mit der Premiere von Hands do not touch your precious me andere Pläne. Wer am 22. Juli zum Impulstanz-Festival schlenderte, fand sich kurzerhand in einem Blick in den bodenlosen Abgrund gefangen – hinten der Stuck, vorne das Fenster zu einem dunklen Traum. Über dem Gezeigten liegt die Geschichte der sumerischen Göttin Inanna, ihr Weg in die Unterwelt und der Text einer vor 4000 Jahren lebenden Priesterin an sie.
Ein folgenreiches Spiel
Die Bühne wird von kühlem Licht erleuchtet. Es liegt ein Berg Lehm in der einen, und etwas, das Stroh oder Fell gleicht, in der anderen Ecke. Zwischen Horrorfilm und Ekstase bewegen sich unglaublich professionelle Tänzer*innen mit ins Detail perfektionierten, energiegeladenen Bewegungen. Bis sie diese plötzlich zu verlieren scheinen, und wie ferngesteuert mit starrem Blick herumirren.
Mit einer Mischung aus impulsgesteuerten Abläufen und kampfsportähnlichen Begegnungen der Tänzer*innen lässt sich eine fast gewaltvolle Körperstudie beobachten, die sich in die Geschichte von Inanna und einem Spiel mit dem Übernatürlichen einreiht.
Über allem thront ein Sound, der in einer unberührten Umgebung aussetzt: fanatische Stimmfetzen, Naturgeräusche, Ruhe, Hitze. „Hands do not touch your precious me, precious, precious” sagt irgendwann eine Stimme, und man ist sich dessen nicht mehr wirklich sicher.
Wo sich die Kunst trifft
Wim Vandekeybus und Ultima Vez arbeiteten für Hands do not touch your precious me mit der Musikerin Charo Calvo, und dem Künstler Olivier de Sagazan zusammen. Nicht nur sorgt Calvos Musik und Geräuschkulisse für den Zusammenhalt des Ganzen, sie formt es ebenso. Mit jedem Wechsel sinkt man eine Ebene tiefer in die Transformationen, die auf der Bühne stattfinden.
Die Aufführung schwingt dabei wie ein Pendel von einem Extrem ins Nächste - und wieder zurück ins Nichts. Als würden die Performer*innen sich in Ritualen austesten, finden sie sich im Kreis um eine Kerze zusammen, tragen diese auf ihren Köpfen und schwingen meterlange Stöcke vor sich.
Wim Vandekeybus begleitet diese teilweise als Tänzer, und später mit einer Live-Kamera, die Momente des Geschehens einfriert oder ins Leere schauen lässt. Dabei fügen sich schrittweise Sagazans lehmbeschmierte Figuren in diese Tanzrituale ein. Der Ablauf ist einfach: Ein Mann beginnt die Aufführung damit, sich mit Lehm zu beschmieren – Kopf und Hände hinein, ohne Rücksicht auf den Rest.
Er formt eine Figur, die er mit roter und schwarzer Farbe bemalt und formt sich schließlich selbst zu dieser Figur. Bis zur Unkenntlichkeit gibt die graue Masse ihm einen neuen Körper, mal mit spitzem Mausgesicht und triefenden Farb-Augen, mal mit Stroh und Fell vermischter Masse in Flammen stehend. Wimmernd, bis man sich Sorgen macht, lässt er das Feuer brennen.
Nach und nach zieht sich diese Figur gewaltvoll ein neues Opfer aus den Reihen der Tänzer_innen und befreit sie mit Lehm und Farbe von ihrem bisherigen Körper. Es führt zu Rivalitäten, unterbrochener Kommunikation und übersinnlicher Erfahrung.
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Das gesamte Spektakel beobachtet man mit einer Mischung aus Furcht und der plötzlichen Erfahrung von Verletzlichkeit. Auf dem schmalen Grat hinüber zu Mainstream-Horrorfilm und Aleister Crowley-Kink schafft es Ultima Vez eine Geschichte von Entkörperlichung und dem Übernatürlichen zu erzählen, die mit Wucht ins eigene Bewusstsein trifft. Eine willkommene Abwechslung in einer Umgebung aus Glamour und Networking, wenn auch keine leichte Kost an einem Sommerabend.