Tabsodie in Blue: Grosze Klappe 5

Gaza, ungelesene Nachrichten, Haarausfall, Instagram, alles auf einmal. Eine Kolumne über den Tod durch die erdrückende Last der Gleichzeitigkeit. Und trotzdem: offiziell glücklich.

Ich weiß schon, wie wir aussterben werden, als Spezies. Erschöpfung durch Überonanie ist zwar auch ein heißer Anwärter, erst recht, wenn bald auch in der virtuellen Realität eifrig gewichst wird. Ebenso der langweilige Favorit, auf den die meisten von euch wohl setzen: Ein apokalyptischer Weltkrieg um Ressourcen. Aber bis dahin wird es gar nicht kommen, meint Papa Grosz, der natürlich alles besser weiß. Wenn wir so weitermachen, werden irgendwann so viele Leute nicht mehr einschlafen können, dass die schlaflosen Zombies irgendwann den Rest zerfleischen, um dann durch Erschöpfung zu sterben.

Es ist ja auch absurd zu erwarten, dass man sich am Ende jedes verdammten Tages so sehr beruhigt, dass einem die Augen zufallen. Ich kann jedenfalls nur einschlafen, wenn ich einigermaßen entspannt bin, meine Sorgen loslassen kann. Aber wie soll ich bitte sehr in dieser abgefuckten Welt voller Irritationen, Krisen und Drogen aller Art entspannen?

Und zwar fucking jeden Tag?

Wie ich älter werde, fällt mir das Entspannen überhaupt immer schwerer. Kein Wunder, auf Instagram bin ich erst seit zwei Jahren, auf WhatsApp sieben, Nachrichtensüchtig sicher seit 10, Mails schreibe ich seit über 15 Jahren. Und jetzt mache ich all das gleichzeitig. Auf dem PC lese ich den Guardian, Telex und den ORF auf einmal, während ich in einem anderen Tab gerade eine Interviewanfrage verschicke, gleichzeitig chatte ich auf dem Handy und scrolle natürlich auf Instagram. Ich muss ja jede Millisekunde an Leere füllen, sonst käme ich vielleicht in Versuchung, ganz kurz nachzudenken.

Und dann liegst du am Ende des Tages da, voll high auf Informationen, denkst irgendwo im Hinterkopf an die Ukraine, jetzt auch noch an Gaza, an die Arbeit, an die Freundin, an die lustigen Reels die du bis zum letzten Moment mit der Nase im Bett gescrollt hast und kannst nicht abschalten. How surprising. 

Überhaupt, diese ständige Gleichzeitigkeit. Ich kann das nicht mehr vertragen! Hat es euch auch so verwirrt, als in Chrome auf dem Handy diese Tabs in Gruppe eingeführt wurden? Wenn ich einen Artikel lesen möchte, öffne ich ihn in einem neuen Tab. Ich verirre mich aber auch nach all der Zeit immer noch zwischen all den Ebenen. Die Apps, die offen sind, die normalen Tabs, die Tabs in der Gruppe, im schlimmsten Fall auch noch ein Inkognito-Tab für shady Angelegenheiten. Dann noch 20 Tabs auf dem PC, was natürlich auch offen vor mir steht, ein Fenster zum Rausschauen, Gedanken ans Scheitern, an To Dos, an Essen.

Ich werde wahrscheinlich eher verrückt, als dass ich von all der Strahlung Krebs bekomme.

Aber mit dieser Verrücktheit aufhören, das schaffe ich auch nicht. Im Gegenteil mein Gehirn operiert jetzt auch mit Tabs. Ständig fällt mir ein anderes Thema ein, denke an was anderes, während ich was mache. Es fällt mir immer schwerer, einen Film zu schauen, ohne auch auf dem Handy zu surfen. Im Kino oder im Konzert zwingt mich die Umgebung dazu, neue Tabs nur im Kopf zu öffnen, das ist aber auch schon dumm genug. Zuhause, wenn niemand zuschaut, dann wird’s traurig.

Jetzt zum Beispiel ist in meinem Kopf ein Tab aufgegangen: Wie steht’s eigentlich bei den ATP-Finals? Und zack, schon lasse ich diese Misere hinter mir und schaue 10 Minuten vom Match. Und wenn ich schon dabei bin, checke ich auch Kurz Instagram, antworte ein paar Leuten auf Whatsapp (ein paar Chats ignoriere ich, ein bisschen Druck muss ja auch bleiben) und wundere mich dann, warum mein Artikel so sehr den Flow vermisst.

Werden wir mal etwas Positives aus diesem Wahnsinn haben? Hilft uns das vielleicht bei irgendetwas? As if, das war nur mein Pflichtbewusstsein, irgendetwas optimistisches in diese Kolumne zu bringen. Jetzt muss ich noch den genauen Song googeln, sehr gefährlich. Ob ich irgendwo steckengeblieben bin? Aber klar, wieder ein paar Minuten Tennis. Jetzt habe ich aber den Song, von Paula Carolina. Brandneu.

Ist das nicht geil? Nagelneue Musik gut zu finden? Ihr kennt das alles natürlich schon, ich bin mit Simon & Garfunkel und Bach aufgewachsen. Da war nix mit folgen auf Spotify und plötzlich mit neuen Hits überrascht werden. Sie kommt übrigens am 25. November nach Wien. Flex, ausverkauft. Vielleicht könnt ihr euch trotzdem irgendwie reinbetteln, einen besseren Kulturtipp gibt’s von mir jedenfalls nicht. Hab‘ eh keine Zeit mehr zu schreiben, meine Tabs rufen.

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