The Whale
Brandon Frasers erste Hauptrolle seit Ewigkeiten. Ein unter Bergen an Make-Up, Prothesen und Effekten verstecktes Melodrama – effektiv, manipulativ, allegorisch.
Darren Aronofsky inszeniert ein für ihn erstaunlich zurückhaltendes und menschliches Drama, über einen stark übergewichtigen Mann, der langsam aber doch seinem nahenden Ende entgegentreten muss. Charlie (Brandon Fraser) lebt zurückgezogen in seinem kleinen Apartment. Seine einzigen Besucher sind sein Essenslieferant – den er aber nie zu Gesicht bekommt – und seine Pflegerin Liz (Hong Chau). Sein Geld verdient er per Online College-Kursen. Seine Kamera hat er dabei immer ausgeschalten. Ein junger Anhänger einer christlichen Sekte hilft ihm im letzten Moment bei einem Herzanfall. Liz drängt ihn, ins Krankenhaus zu fahren – ansonsten würde er wohl innerhalb einer Woche tot sein. Charlie sträubt sich dagegen. Aber eines will er dennoch tun: nach jahrelanger Abwesenheit endlich wieder Kontakt mit seiner jugendlichen Tochter Ellie (Sadie Sink) aufnehmen.
For there is no folly of the beast of the earth which is not infinitely outdone by the madness of men
Diese Art von Geschichte hält naturgemäß viel Potenzial für zwischenmenschliches Drama bereit. Und das wird auch voll ausgenutzt. Meist sehr zufriedenstellend und effektiv wirkend. Den melodramatischen Faktor wird der aber Film nie ganz los. Dafür sind viele der Konflikte gar sehr hochgeschaukelt und mag für manche etwas an der Authentizität kratzen – aber im Inneren bleibt der Film stets zutiefst menschlich und herzlich. Viele der Auf- und Abtritte des kleinen Ensembles mögen theatral wirken. Was dem Umstand geschuldet ist, dass ein Theaterstück als Grundlage dient.
Das Hauptaugenmerk liegt vermutlich allgemein auf Brandon Frasers Figur, vor allem körperlich. In der Tat ist Charlie eine massige Gestalt. Teilweise ist es durchaus unappetitlich, ihm zuzusehen. Aber der Film entmenschlicht Charlie nie aufgrund seines Gewichts allein. Negative Wertungen von Charakteren über sein Gewicht werden vom Film selbst verurteilt. Nur seiner Pflegerin ist es gestattet, Witze über ihn zu reißen und die allgemeine Stimmung des Films etwas aufzulockern. Sie und Charlie verbindet aber auch ein besonderes Vertrauensverhältnis. So manche Essenszene ist zwar abstoßender inszeniert, als wie sie es normalerweise wäre, verweist dabei aber auf den krankhaften Charakter dieser Fresssucht. Sie tritt nur in bestimmten Momenten, an Charlies tiefsten Punkten, zutage. Es ist mehr eine Projektion seines inneren Tumults, als eine Wertung seiner tatsächlichen physischen Beschaffenheit. Die Sympathie des Films liegt stets bei ihm, selbst dann, wenn sich seine Schattenseiten offenbaren. Denn Charlie ist nicht bloß Opfer in seiner Geschichte, sondern jemand, der den Menschen in seinem Umfeld oftmals viel Leid verursacht hat.
„Who would want me to be part of their life?”
Manchmal geht dieses Level an Sympathie vielleicht etwas zu weit. Zwar wird Charlie des Öfteren Mal wegen seines Verhaltens konfrontiert – und das auch zu Recht. Abgeschwächt wird dies aber meist mit einem Gegenschuss zu den traurigen Welpenaugen Charlies. Das mag eine persönliche Präferenz sein, aber es fühlt sich immer etwas seltsam an, wenn in Geschichten wie diese, die verlassene Tochter wie eine aggressive Furie dargestellt wird. Sie konfrontiert ihren Vater, hegt Frust und Wut auf ihn in sich, und liegt dabei meist voll im Recht. Nur ist die Darstellung meist so überdreht, die Tochter gefühlsmäßig übertrieben gemein und bösartig, dass sich die dargestellte Sympathie sofort wieder der Vaterfigur zuneigt. Das war in Rimini schon so, und ist auch hier so. Zwar wird die Vaterfigur als problematisch, schwach oder gar erbärmlich dargestellt, und die Tochter grundsätzlich im Recht – doch die Art der Darstellung positioniert den Vater sattelfest als Sympathieträger.
Es ist schwierig, über diesen Film zufriedenstellend zu reflektieren. Einerseits ist er ein wirklich menschliches sowie emotionales Drama. Auf der anderen Seite tut man sich mit der Darstellung dieser Art von Geschichte oftmals schwer. Ist doch dieses Suchen nach Erlösung in seinen letzten Tagen ein zutiefst manipulativer und egoistischer Akt.
I yelled for captain Ahab, I have you understand
Natürlich funktioniert dieser Film auf einer stark allegorischen Ebene. Es handelt sich schließlich um Darren Aronofsky. Religion, Schuld, Erlösung, jemand anderes oder sich selbst retten. Neben der Bibel und dem Charakter des jungen Missionars ist Moby Dick ein zentrales Thema, auf das sich der Film hier bezieht. Hier mehr ins Detail zu gehen, setzt eine Analyse des gesamten Films inklusive Spoiler voraus. An dieser Stelle sei nur eins angemerkt: Es ist mit Sicherheit zu kurz gegriffen, den Titel des Films allein auf die physischen Attribute des Protagonisten zu beziehen.