Die Oper der Zukunft?
Ein Vorschlag, wie sich die Oper erneuern ließe, die manchen Fans nicht gefallen wird: In Brno und an der Staatsoper zeigten kürzlich zwei Produktionen einen vielversprechenden neuen Ansatz, den es eigentlich immer schon gab.
Wann warst Du eigentlich das letzte Mal in der Oper? Hm, ja, die Oper ist in einer Krise. Falls Du doch letztens mal etwas angeschaut hast, ist das natürlich toll, Du hast aber wahrscheinlich gemerkt, dass es noch leere Plätze gab. Wobei es in Wien noch viel besser läuft als in all den Stadttheatern sonstwo. Eh klar, an sich kriselt das Musiktheater schon immer, seitdem es das Kino (das mittlerweile selbst auch wackelt, thx Netflix…) aus dem Epizentrum der Kultur verdrängt hat. Aber jetzt ist auch noch Krise in der Krise, sozusagen.
Wie weiter?
Traditionalist*innen, wie Wiens (und mein) Chefkritiker, Wilhelm Sinkovicz, fordern eine Abkehr vom Regietheater, Opern sollen verständlich und historisch korrekt inszeniert werden. All die von den wilden Regieeinfällen Verärgerten würden dann wieder in die Oper strömen. Ich glaube kaum, dass das funktionieren würde; in den USA, wo Regietheater kaum stattfindet, ist die Krise gerade noch schlimmer, als hier.
Wie wär’s denn, wenn wir es stattdessen umgekehrt versuchen? Das Regietheater ausweiten, künftig den heiligen Opernstoff, also die Partitur auch aktualisieren? Im Theater werden Stücke schon lange bearbeitet (zumindest im deutschsprachigen Raum, in Frankreich zum Beispiel wäre das ein Sakrileg). Selbst die abgefahrensten Opernregisseure wagen es aber nicht, die Musik anzutasten. Früher waren sogenannte ‚Pasticci‘ dabei gang und gäbe, also aus verschiedenen Werken (auch verschiedener Komponist*innen) zusammengebastelte Stücke.
Ein Hoch auf Pasticci!
So könnte man zum einen vermeiden, dass das Regiekonzept nicht zur Musik, zum ursprünglichen Werk passt, was bei Regietheater leider doch immer wieder passiert. Zum anderen könnte man so mehr zeitgenössische Musik spielen. Natürlich braucht es für so ein Pasticcio eine*n Komponist*in, von der/dem dann auch eigene Musik eingebaut werden könnte, ohne, dass man dabei mit abendfüllender zeitgenössischer Musik den Großteil des Publikums abschrecken würde.
Ganz aus der Luft gegriffen ist dieser unverbindliche Vorschlag nicht. Die erste Neuproduktion der Saison in der Wiener Staatsoper ging in eine ähnliche Richtung. Da kombinierte Regisseur Calixto Bieito Gustav Mahlers frühes Oratorium Das Klagende Lied mit seinen Kindertotenlidern, also Liedern mit Orchesterbegleitung. Die Kritik war nicht wirklich angetan, tatsächlich wirkten die Lieder, die einfach ans Ende gepickt wurden, nicht ganz harmonisch im Gesamtkonzept. Vielleicht hätte Bieito einfach mutiger sein sollen, aus den zwei Werken etwas wirklich Neues erschaffen. Auch so fand ich das Ergebnis deutlich besser, als die werten Kolleg*innen, und auch die müssen zugeben, dass die Inszenierung für Aufregung und Aufmerksamkeit gesorgt hat (für ausverkaufte Abende nicht unbedingt, ganz so einfach ist es mit der Opernrettung nicht…).
Buzz in Brno
Als ich beim heurigen Janáček-Festival auf ein ähnliches Pasticcio-Projekt aufmerksam wurde, musste ich einfach hinfahren. To support the idea, natürlich auch, weil Janáček großartige Musik schreibt. Regisseur Jiří Heřman kombinierte in der langjährigen Wirkungsstätte des Mähren seine letzte Oper Aus einem Totenhaus mit seiner Glagolitischen (also altslawischen) Messe. Allein diese Vermischung zweier Werke machte neugierig. Heřman ging den gleichen Weg wie Bieito, zunächst inszenierte er die volle Oper. Allein das war stark, Janáčeks Vertonung von Dostojewskis Roman über seine Zeit im sibirischen Straflager ist zutiefst menschlich, bewegend und mit Gedanken an Alexey Nawalny oder die Uiguren in China schmerzhaft aktuell. Heřman strotze nur so vor tollen Regieideen (die zwei Pauker des Orchesters saßen links und rechts auf der Vorderbühne in der Uniform des Wachpersonals), die von einer schauspielerisch sehr begabten Truppe mit viel Lebendigkeit umgesetzt wurden.
Die Messe pickte Heřman dann nahtlos ans Ende, führte die Geschichte der Gefangenen auf der Bühne weiter. Die beiden Werke passen dramaturgisch gut zusammen (die Oper ist oratorienhaft, die Messe sehr ausdrucksstark) und teilen sogar manche musikalischen Themen. Ganz stimmig war das so trotzdem nicht. Die abstrakte Bildersprache à la Castellucci während der Messe stellte laut Programmheft eine Erlösung der Gefangenen durch eine Reihe von Frauenfiguren. Dieses Bild ist schon lange überstrapaziert und honestly sexistisch, würde ich mal sagen. Abgesehen davon wirkte die ganze Messe wie ein überlanger Epilog, wie die Kindertotenlieder beim Mahlerprojekt. Also wieder: Mutiger sein, mehr streichen, mehr mischen.
Bitte die Haare nicht gleich ausreißen…
Falls sich nun jemand beim Lesen dieser Zeilen wütend die Haare ausreißt: Natürlich schlage ich nicht vor, normale, von mir aus auch ‚werktreue‘ Inszenierungen abzuschaffen. Ein paar geistreiche und auch musikalisch durchdachte Pasticci würden das (leider oft doch etwas staubige) Opernleben aber eindeutig bereichern. Sowohl in Wien als auch in Brno sorgten zwei solche Produktionen für einen Buzz, den es sonst nur bei Auftritten von Starsänger*innen gibt.
Nach der Vorstellung in Brno fragte ich Jakub Hrůša, den Dirigenten des Abends, der neuerdings als neuer Musikdirektor in London auserkoren wurde, ob er solche Projekte auch in Zukunft dirigieren würde. Er war gedanklich wahrscheinlich schon bei seinem hochverdienten Abendessen und meinte nur zwinkernd: „Who knows.“
Am 26. November kann man den Janáček in Brno nochmal live erleben, Von der Liebe Tod wird an der Staatsoper im Mai wieder gespielt.