Una serata a Milano

Was Fußball und Oper gemeinsam haben oder: Wie ich auf meiner Lockdownflucht das schickste Event meines Lebens erlebte.

Anna Netrebko, zaubern kann sie auch /// Teatro alla Scala, Brescia e Amisano (c)

Die feierliche Saisoneröffnung der Mailänder Scala, des wahrscheinlich berühmtesten Opernhauses dieses Planeten, die jedes Jahr am 7. Dezember, Tag des Mailänder Stadtpatrons Ambrosius, stattfindet, ist neben dem Neujahrskonzert in Wien das wohl wichtigste Ereignis der klassischen Musikszene des Jahres. Und während das Neujahrskonzert zwar international in mehr Länder übertragen wird, ist die Inaugurazione als Event der Stars sicher das noblere Ereignis. Die Kartenpreise gehen bis weit über 3000€...

Zum Glück bemüht sich aber nicht nur die Wiener Staatsoper hierzulande um junges Publikum, sondern auch das weltberühmte Teatro alla Scala. Und so trug es sich zu, dass ich just in dem Zeitraum auf Besuch bei einem alten Schulfreund in Mailand war, als am 4. Dezember die Voraufführung der Saisonpremiere für die U30-Generation stattfand. Das allererste Mal also, dass sich die Künstler in einer neuen Saison dem Publikum präsentieren.

 San Siro vs santa Scala

Doch wer sich in Italien generell, speziell aber in Mailand, nur der sogenannten Hochkultur hingibt, verpasst was - das war auch mir als Klassiknerd bewusst. Denn schließlich besitzt die Stadt mit Inter Mailand und AC Milan zwei der absoluten Topklubs der Welt, die sich überdies noch ein Stadion, das altehrwürdige San Siro, teilen. Und so war recht schnell die Idee für unser Tagesprogramm geboren: Um 15 Uhr zuerst ins San Siro (Die AC Milan trat gegen den Tabellenletzten Salernitana an.) und anschließend um 18 Uhr zur Vorpremiere in die Scala. Wie groß wohl die Schnittmenge des Publikums der beiden Veranstaltungen sein würde, fragte ich mich.

Das Spiel an sich war dann zwar leider eher enttäuschend. Die Salernitana schien sich irgendwie mit ihrer Rolle als Underdog abgefunden zu haben und leistete wenig Gegenwehr, da half auch Franck Ribéry als Kapitän nichts. So erzielte Milan schnell zwei Tore, danach zog sich das Spiel relativ unmotiviert hin. Das Vergnügen, die lebende Legende Zlatan Ibrahimović auflaufen zu sehen, blieb uns leider auch verwehrt, denn der war von Trainer Stefano Pioli zum Banksitzen verdammt.

Parallelen zur Oper

Dennoch konnte ich insgesamt ein paar Parallelen zu einem Opernbesuch feststellen - gibt es bei beidem doch soziale Codes, die zu beachten sind und Verhaltensweisen, die man beherrschen muss. Beginnend mit dem Dresscode (Fanschal statt Anzug), dem Wissen, wann man zu jubeln und wann zu buhen habe, bis zu diversen Fangesängen, die mitzusingen wären. 

Nach Abpfiff dann jedenfalls schnell in die Scala, Karten abholen. Und schon beim Anstellen zum Einlass wurde mir eines bewusst: So overdressed wir uns im Fußballstadion auch fühlen mochten, so underdressed waren wir im Opernhaus. Das durchschnittliche Kleidungsniveau war so hoch, wie ich es in Wien noch bei keiner einzigen Kulturveranstaltung je erlebt hatte - von den U27-Veranstaltungen ganz zu schweigen. Die jungen Damen durchwegs im Abendkleid, Herren unter anderem in dunkelgrünen Samtsmokings über Rollkragenpullovern - so nonchalant können Eleganz einfach nur die Italierner.

Als wäre die Oper ein Laufsteg der neusten Gucci-, Armani- und Prada-Kollektionen

Im Saal fragte ich mich dann lange Zeit, warum es so süßlich roch - war vielleicht irgendwo ein Schokobrunnen versteckt? Bis mir dämmerte, dass es sich bei dem olfaktorischen Nebel um das Gemisch sämtlicher Parfums der Besucher handeln musste, was auf mich eine leicht einschläfernde Wirkung hatte. Um aufs Gehalt der Elterngeneration der jungen Opernbesucher*innen zu schließen, brauchte man allerdings keinen Doktortitel. Leider musste ich auch beobachten, dass einige Leute eher aufs Sehen und Gesehenwerden aus waren, oder überhaupt von ihren Eltern zum Besuch verpflichtet, als am tatsächlichen Operngeschehen interessiert. Meine beiden Nachbarn waren fast durchgehend mit WhatsApp und dem Posten von Instagram Stories beschäftigt.

Luca Salsi und Superdiva Anna Netrebko /// Teatro alla Scala, Brescia e Amisano (c)

Um es ihnen aber nun nicht gleichzutun und das Künstlerische gänzlich außen vorzulassen, hier ein paar Worte zur Sache (ich muss ja schließlich auch meinem Bildungsauftrag bei Bohema gerecht werden): Musikdirektor Riccardo Chailly am Pult, die Netrebko und Luca Salsi in den Hauptrollen – alle vorzüglich! Auch die weiteren Sänger*innen sowie der Chor der Scala erste Klasse. Die Inszenierung allerdings wirkte mir ziemlich over the top. Eine technisch derart aufwendige Regiearbeit habe ich noch selten (ich bin versucht zu sagen „nie“) gesehen.

Aufwendige Inszenierung: Geld spielt keine Rolle

Da wurden monumentale Bühnenbilder aus der Tiefe gehoben, zur Seite geschoben und in die Höhe gezogen, und das, obwohl sie oft nicht länger als zwei, drei Minuten auf der Bühne zu sehen waren. Da waren für die heute ja fast obligatorischen Projektionen eigens Szenen einer dystopischen Welt computeranimiert worden. Da kam das Ballett zum Einsatz, obwohl das in der Oper keineswegs nötig wäre. Es kam mir so vor, als wollte da jemand zeigen, wozu die Scala auch trotz Corona imstande sei, und alle künstlerischen Abteilungen des Hauses mit einbinden. Ob dies alles nötig gewesen wäre, wenn mir in dieser Monsterinszenierung schon gar nicht unbedingt klar war, wer jetzt wer sein sollte und warum er den anderen umbrachte, sei dahingestellt.

Wow /// Teatro alla Scala, Brescia e Amisano (c)

Nach dem Schluss jedenfalls frenetischer Beifall von allen Seiten, die Sänger*innen wurden zig mal vor den Vorhang gerufen. Ich dachte mir, wahrscheinlich waren wir doch die einzigen, die sich Fußball und Oper am selben Tag gönnten. Und aja, es wurde Macbeth gegeben...

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