Barries Bacchanal

Ein Alptraum? Eine Fabel? Oder doch ein wilder Drogentrip? Über die Onlinepremiere von Barrie Koskys Don Giovanni an der Staatsoper.

Angeknabert: Peter Kellner, Kyle Ketelsen und Patricia Nolz /// Wiener Staatsoper, Michael Pöhn (c)

Was für ein Fest! Kompars*innen tanzten mit wildem Blumenschmuck auf dem Kopf um undefinierbar-phantastische Riesensträucher, die in der bis dahin kargen Mondlandschaft erschienen sind. Die Feier, die Don Giovanni schmiss, um die frischverlobte Zerlina zu entführen, ist in Barrie Koskys neuen Inszenierung an der Staatsoper ein wahres Bacchanal. An einem Punkt umringten die ekstatisch feiernden Floras mit ihren buntbemalten Gesichtern die singenden Haupdtarsteller*innen und vernaschten sie fast: Endlich war etwas los auf der Bühne!

Billige Felsen

Sonst war der erste Akt düster und minimalistisch. Das Bühnenbild: eine felsige Mondlandschaft, sonst nichts. Ein Abbild des kargen Innenlebens von Don Giovanni? Leider sah sie auf den Nahaufnahmen etwas fake aus, andererseits war die Kameranähe aber ein Segen, so konnte man die durch die Bank solide bis sehr gute Schauspielkunst der Sänger*innen genießen. Das wird vor Ort aus der Ferne schwieriger nächste Woche, so könnte Teil eins optisch ein wenig langweilig sein.

Unanständig: Patrizia Nolz und Kyle Ketelsen /// Wiener Staatsoper, Michael Pöhn (c)

Kosky lockte aus Kyle Ketelsen in der Titelrolle einen animalischen Frauenhelden: Er rannte nach wie ein Pitbull seiner Nase quer durch die Bühne, als er Donna Elviras Duft vernahm. Eine willkommene Überzeichnung dieses manischen Biests. Kate Lindseys Elvira war ein Ohrenschmaus, ihr ambivalentes Verhältnis zum Don, ihrem Ex-Lover, erinnerte mich an Hetero-Frauen meiner Generation, wie sie zu Männern überhaupt stehen: Sie ist voller (berechtigter) Wut, verzweifelt, aber doch scharf auf Giovanni und zum Schluss entgegen jeglicher Logik bereit, ihn zu retten.

Ein neuer Stern am Opernhimmel

Als ich Patricia Nolz zum ersten Mal vor zweieinhalb Jahren bei einem Klassenvorsingen hörte, schrieb ich (Freak) in meinen Notizblock begeistert über eine gewisse betörende Weichheit in ihrer Stimme und war mir sicher, sie auf großer Bühne wiederzusehen. Et voilà, nun sah ich sie als gefeierte Zerlina an der Staatsoper wieder. Sie war ein weiterer Lichtblick, spielte befreit auf. Nach Miriam Kutrowatz ist sie das nächste österreichische Eigengewächs im internationalen Sängerinnengarten, beiden werden große Karrieren prophezeit, nicht zu Unrecht.

Eine interessante interpretatorische Nebenlinie boten die Kostüme vom Don und Leporello. Zunächst gab Philippe Sly einen Punk mit schwarzen Fingernägeln und Hoodie, doch bald erschien er im gleichen weißblau-blumigen Proletenanzug à la H&M, den zuvor sein Herr anhatte. Der war da schon einen Schritt weiter, oberkörpefrei mit einem goldenen Hausmantel (dieser Giovanni war wirklich ein schmieriges Arschloch, keine unlogische Interpretation...). Als sich der ausgenutzte Leporello wieder vom Dienst befreien wollte, erschien er wieder als Punk, zum Schluss glich er sich seinem Herr aber ganz an, die letzten Kostüme (es wurde oft gewechselt) der zwei waren gleich.

Die großartige Kate Lindsey im Felsengebälk /// Wiener Staatsoper, Michael Pöhn (c)

Dass Barrie Koskys Inszenierung eine Art Traumwelt darstellt, wird an mehreren Punkten klar. Die Toten laufen gerne selbst von der Bühne, sowohl der Komtur ganz zu Beginn als auch Giovanni am Ende. Kosky leistet sich zudem, manche Probleme des Werks unkommentiert stehzulassen. Warum erkennt Donna Anna in Giovanni ihren Vergewaltiger erst so spät? Der Don trägt keine Maske, hinterlässt keinen Handschuh oder dergleichen. So bekam das Werk einen Fabelcharakter. Die Lösung wird nicht auf dem Silbertablett serviert, es bleibt Raum zur Interpretation.

GoT lässt grüßen

Das surreale Setting wird im zweiten Akt düsterer, die Beleuchtung greller. Alles dreht sich um ein Felsenkonstrukt, das etwas an einen überdimensionalen Schwertthron im Game-of-Thrones-Stil erinnerte. Don Giovanni und Leporello spielten noch wilder, sie wirken wie zwei Psychopaten. Oder zwei Drogenjunkies. Tatsächlich passt die Interpretation, das Ganze sei ein wilder Drogentrip, überraschend gut. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Don ein als Heroinabhängiger dargestellt wird, das war schon in Claus Guths Salzburger Inszenierung von 2008 der Fall.

Der Schluss, als der ermordete Komtur zum Abendessen erscheint, könnte so eine neue Bedeutung bekommen: Er ist der Absturz, der Entzug. Leporello, der vom Don in die Drogenwelt gelockt wurde, möchte ihn nicht loslassen, möchte nicht allein high bleiben, aber Giovanni entkommt mit viel Schmerz dieser dunklen Welt. Wie er bei der Abschlussarie der Überlebenden für diese unsichtbar die Bühne verlässt, sieht er ein trauriges Grüppchen, das in Gegensatz zu ihm im düsteren Alptraum steckengeblieben ist.

Don Giovanni und Leporello als elegante Junkies /// Wiener Staatsoper, Michael Pöhn (c)

Unter diesem Link ist die Oper bis Sonntag online abrufbar. Nächste Woche dann hoffentlich in Person…

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