Die Raubkatzen als Herr*innen des Zoos

Veni Vidi Vici präsentiert sich als symbolische Satire auf den Kapitalismus - ist das revolutionäres Kino?

Reich in weiß /// (c) Stadtkino Filmverleih

„Who will stop me?“ fragt der Film das Kinopublikum und entblößt in der Anfangsszene transparent seine Prämisse. Ein Rennradfahrer erklimmt in sportlicher Manier einen steilen Anstieg, bis er daran gehindert wird, seinen Weg fortzuführen. Denn Amon Maynard erschießt ihn skrupellos mit einem Gewehr, um anschließend die Früchte der anstrengenden sportlichen Arbeit zu ernten. Er steigt aufs Rad und genießt die Abfahrt, unverkennbar glücklich.
Eine sportliche Analogie zum wirtschaftlichen und rechtlichen System, das Gleichheit bloß als Propagandamittel zur Zähmung der Massen vermittelt. Ein schlechtes Gewissen plagt Amon Maynard deswegen nicht - die spiegelnde Sonnenbrille, welche er trägt, reflektiert bildlich die Schuld zurück. Solange die Menschen nicht erkennen, dass er mit unfairen Mitteln agiert, sei dies gerechtfertigt und ein unterhaltsames Spiel.

Veni Vidi Vici ist ein Film der Regisseur*innen Daniel Hoesl und Julia Niemann und premierte dieses Jahr am Sundance Filmfestival. Die Faszination am Leben der Wohlhabenden begleitete die beiden schon bei vorausgegangenen filmischen Arbeiten. In Veni Vidi Vici wird durch einen satirischen Blick der Fokus auf Fragen der Macht und politische Einflussnahme geschärft. Ermutigend und lösungsorientiert agiert die filmische Erzählung dabei jedoch nicht.
Veni Vidi Vici lässt das Publikum mehr zu untätigen Kompliz*innen verkümmern, als sie zu Freiheitskämpfer*innen auszubilden.

Die Menschen im Film, die zur Identifikation einladen würden, da sie bestrebt sind, die Mordserie von Amon Maynard auffliegen zu lassen, werden in der Konfrontation schweigsam, ängstlich oder unterwürfig dargestellt. Sie können ihre Stimme nicht erheben, weil sie einerseits nicht gehört werden, andererseits scheinbar das Sprechen verlernt haben. Sichtbar wird diese Unfähigkeit auch anhand der Mordszenen, in denen die Betroffenen nach dem Erklingen der Schüsse irrsinnig naiv reagieren, anstatt die vorherrschende Bedrohung zu begreifen.

Jäger und Gejagte

Stark symbolisch zeichnet der Film diese angebliche Unterteilung der Gesellschaft in zwei Kategorien. Die selbsternannten Raubkatzen nehmen sich, worauf sie Lust haben, wohingegen die Nutztiere von ihnen gerissen werden. Diese Metapher, die eine vermeintliche biologische Erklärung für die Verhältnisse enthält, dient der Familie Maynard zur Bestätigung ihrer Machtansprüche.

Die in pastellfarbenen oder weißen Kleidern angezogenen Familienmitglieder leben gemeinsam in einem prächtig ausgestatteten Anwesen, inklusive Waffenraum. Der Film zeichnet dabei ein provokativ romantisches Familienidyll. Alle halten zueinander und tragen ein Bild der Unschuld nach draußen. Vor allem aufgrund der Erzählstimme von Amons Tochter wird kontinuierlich deutlicher, dass die Familie nicht unwissend ist, sondern sogar selbst Ambitionen hegt, am blutigen Spiel teilzunehmen. Die Eleganz der Familie wird von Überheblichkeit begleitet. Unmoralisches Handeln dient zur eigenen Belustigung. Das Eingehen von Risiko wird glorifiziert, da für sie das Risiko kein ernstzunehmendes ist, sondern ihnen bloß die eigene Überlegenheit wieder vor Augen führt.

(c) Stadtkino Verleih

Die Polizei verkommt zur Montessorischule

Strukturell unterteilt der Film die Geschichte in drei Akte, für welche Veni, Vidi und Vici namensgebend sind. Ein klassisches Helden*innennarrativ wird einem Antihelden übergestülpt. Die disziplinierte Befolgung der Erzählstruktur steht im Gegensatz zu allem, was im Film als defekt wahrgenommen wird.
Die Polizei ist ein unfähiger, fauler Haufen, in durchgängiger Mittagspause befindlich. Die Politik agiert korrupt und verantwortungslos in ihren Entscheidungen. Die Medien sind bezahlt und uninteressiert an Aufklärung von Wahrheiten. Recht und Macht werden somit käuflich, und Kontrollorgane schützen die Täter*innen wissentlich oder auch nicht.

Die strenge Ordnung der Eleganz wurde auch visuell in die filmischen Raumkonzepte übersetzt, wie auch die Kinematographie Sterilität in Form von polierter Natürlichkeit transportiert. Insbesondere der streng rhythmische Sound wird verwendet, um die Erzählung zu taktieren. Darüber hinaus erinnert der Ton an den Uhrschlag, wodurch eine zeitliche Dringlichkeit spürbar wird, da sonst die angerichteten Schäden irreversibel sein könnten.

Unaufhaltsame Reproduktion

Trotz spannender Ideen und konsequenter Ausführung bleibt der Film formal schlussendlich doch eher unaufregend. Auch wirken manche Figuren recht oberflächlich, wo es möglicherweise aufschlussreich gewesen wäre, auch einen tieferen emotionalen Blick zu wagen. Denn die klare Trennlinie zwischen Opfer und Täter zu ziehen, erleichtert, die thematischen Probleme zu adressieren.
Sie bedingt aber auch ein plattes, eintöniges Charakterbild.

Um eindrücklicher aufzuzeigen, wie deprimierend die Einflussnahme der Reichen ist, fehlt dem Film das Quäntchen an Bitterkeit und Schadenfreude. Auch wenn der Film eine klar zynische Note besitzt, ist diese nicht besonders humorvoll. Deswegen ist es auch schwierig zu akzeptieren, dass der Film trotz der überzeichneten Verhältnisse den Unterdrückten wirklich gar kein Gegengewicht einräumt. Die Gesellschaft wird nicht bloß als blind dargestellt, sondern auch diejenigen, die kurz sehen dürfen, als unfähige Gegenkraft inszeniert. Dies ist sicherlich provokativ, aber auch nicht wahnsinnig weitsichtig.

Die Babys der breiten Masse werden abgeschlachtet, während die der Reichen triumphierend in die Höhe gestreckt werden. Der*die nächste König*in der Löwen.
Das ist vielleicht Satire, revolutionäre Kraft entfaltet sich dadurch nicht.

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