Über das Femizidproblem der Oper

Frauen werden in Opern ständig ermordet, von Protagonisten und von Librettisten. Die Neue Oper Wien stellt ein Femizid ins Zentrum der Handlung und thematisiert es, statt es nur hinzunehmen.

Wolfgang Resch erdrosselt Melis Demiray /// Armin Bardel, NOW (c)

Eine Fassung dieses Artikels ist zuerst in der Presse erschienen.

2023 wurden in Österreich 42 Frauen von Männern ermordet (ein Höchststand!), statistisch wird mehr als jede dritte Frau zumindest einmal im Leben sexuell oder körperlich von Männern missbraucht. Angesichts dieser empörenden Zahlen sind all die Femizide des Opernrepertoires noch problematischer. Neben eindeutigen Frauenmorden auf der Bühne wie in Carmen, Pagliacci oder Otello, werden etliche Protagonistinnen von männlichen Librettisten totgeschrieben, gerne durch einen ausweglosen Selbstmord, wie in Tosca oder in Madama Butterfly.

In Pascal Dusapins gefeierter Oper Passion (laut ‚The Guardian‘ unter den 15 besten musikalischen Werken unseres Jahrhunderts) ist auf den ersten Blick kein Mord vorhanden. Er zeichnet in der Tradition von Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe das Innenleben eines Paares nach. Lui und Lei lieben sich zwar, die Beziehung wird aber zunehmend toxisch. Das italienische Libretto, von ihm selbst geschrieben, bleibt dabei stets abstrakt, was mit dem Paar wirklich passiert, muss zwischen den Zeilen herausgelesen und aus dem Orchestergraben herausgehört werden. Regisseurin Ursula Horner tat das und entzifferte einen Mord an Lei am Ende des Stückes, Dusapin bestätigte ihr, dass sie damit richtig lag.

Männer, die Frauen besitzen wollen

Schon die Rosarot-Verliebt-Phase zu Beginn trug eine böse Vorahnung in sich, während sich Lui und Lei in weißen, barock anmutenden Kostümen liebten, erklang dazu ein bedrohlicher, kühler Klangteppich. Und statt neben sie legte sich Lui zum Schlafen halb auf Lei. Männer wollen Frauen immer noch besitzen; Horner zeigte hier subtil auf einen zentralen Grund für all die Gewalt in Beziehungen, die im schlimmsten Fall zum Mord führen.

Ein Glücksgriff war die Besetzung, besonders die von Melis Demiray mit ihrem klaren, vollen Sopran, die die zwischen Liebe und Angst schwankende Figur beeindruckend auf die Bühne brachte. Als ein zentraler Antrieb der Beziehung wurde die Anziehung ihrer Reize auf ihn gezeigt, die mehrfach in leidenschaftlichen und zunehmend gewaltigen Sexszenen endete. Während Lui gegen Ende von Dämonen geplagt wurde, die von einem sechsköpfigen Gesangsensemble (das auch als Tanzensemble herhalten musste) verkörpert wurden und sie immer aggressiver behandelte, saß Pascal Dusapin händchenhaltend mit seiner Begleitung in der VIP-Reihe.

Hilfe holen, aufeinander schauen, Patriarchat abbauen

Als Lei erkannte, dass ihr Leben in Gefahr war, versuchte sie zu fliehen, die hohen Fenster des einfachen Bühnenraumes fielen aber jeweils vor ihrer Nase zu. Noch bevor er sie erdrosselte, öffneten sie sich aber nochmal, wie um zu zeigen, dass auch im letzten Moment eine Rettung noch möglich gewesen wäre. Dafür gibt es auch im echten Leben Chancen, wie die Frauenhelpline gegen Gewalt (0800 222 555), die sogar im Programmheft abgedruckt war.

Diese Inszenierung ist das absolute Gegenteil von gemütlichem Vorabendfernsehen, wer von der Oper ähnliches erwartet, wird enttäuscht nach Hause gehen. Wer aber brennend aktuelles, politisches Musiktheater sehen möchte, bekommt in der Neuen Oper einen starken Abend.

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