Soap&Skin: Homegrown Legend

Wie man mit 35 schon a living Legend wird? Keine Ahnung, am besten Anja Plaschg fragen. Waldorfchalamet, Teufelhymne und Sommerhoffnung bei ihrem Auftritt im Konzerthaus.

Anja Plaschg im Konzerthaus /// Clemes Schmiedbauer

Irgendjemand hat diese Theorie sicherlich wissenschaftlicher drauf als ich, sie stimmt jedenfalls: Die Emotion, die Verfassung, mit der man andere Menschen begegnet überträgt sich aus irgendeinem magischen Grund oft auf unser Gegenüber. Nennen wir es mangels Fachwissen Spiegeltheorie. Beim großen Soap&Skin-Auftritt im Konzerhaus war das wieder einmal so. Da kam ein Mensch mit einer meilentiefen, monumentalen Mentalität auf die Bühne und wir konnten alle nicht anders, als sie mit einer aufrichtigen, meditativen Ernsthaftigkeit zu begegnen.

Keine 35 aber schon ein living Legend

Anja Plaschg ist noch keine 35, die Atmosphäre im platzend vollen Saal war aber schon vor ihrem Auftritt, als käme da gleich eine allseits geliebte, gestandene lebende Legende auf die Bühne. Keine Ahnung, Barbra Streisand oder so. Auch die sofortigen, ganz natürlichen Standing Ovations zum Schluss und das bunt gemischte Publikum sprachen dafür: Anja Plaschg ist jetzt schon eine Legende.

Warum? Weil sie einfach anders ist. Echter, deeper, sonderbarer als wir Normalsterblichen. Singen kann sie übrigens auch gut, irgendwie ist ihre Präsenz aber noch stärker als ihre leicht hauchige aber voluminöse Stimme. Die krasse Lichtshow, all der süßliche Bühnennebel und die Dunkelheit wären gar nicht nötig gewesen, um beeindruckt nach Hause zu gehen. Ihre Energie war unabhängig von der Show ganz eindeutig vernehmbar. Jetzt klinge ich, wie irgendein Schamane, aber so war es nun. Ein bisschen creepy, ein bisschen gottesdienstartig und sehr intensiv. Nur welchem Gott wir da dienten, das wurde nicht ganz klar. Oder besang sie das doch klipp und klar?

Waldorf-Chalamet

Außer der Vorstellung ihrer Band und ein paar leisen Dankes sagte sie kein Wort. Dabei kann sie so schön reden. Im Film Die Geträumten las sie Briefe von Ingeborg Bachmann mindestens so tiefsinnig, wie das die echte Bachmann getan hätte, in Des Teufels Bad war sie auch phänomenal. Jetzt war sie aber ganz Musikerin, sang neben eigenen Songs einige ihrer berühmt gewordenen Covers, die sie erst vor kurzem auch in einem Album veröffentlicht hatte. Zum Beispiel Sufjan Stevens‘ Sommerhymne Mystery of Love. Ihre Version ist, als wäre Timothée Chalamet nicht Intellektuellenkind, sondern verträumter Waldorfschüler, der statt Pfirsiche Filzsocken für you know what verwendet.

Aus Voyage Voyage machte sie eine opernhafte, etwas gothige Celebration ihrer Stimme, ließ ihr freien Lauf. Meinen Lieblingssong Italy stimmte sie nur kurz an, wie eine leise Hoffnung, dass der Sommer vielleicht doch nochmal kommen wird. Am Ende der Show stieg sie von der Bühne und verteilte Blumen zur allgemeinen Freude. Mit David Lynch ist ein echter, wichtiger Künstler vor kurzem gestorben. Manchmal habe ich das Gefühl, dass solche Leute nicht mehr nachwachsen. Soap&Skin hat mir diese Sorge für eine Weile zumindest genommen.

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