We need to talk about… Gatekeeping (im Kulturbereich)

Wer entscheidet eigentlich darüber, was “gute Kunst” ist? Eine Kolumne über Geld, Neid, Klassismus und das, was schief läuft. Diesmal im Gespräch mit der Musikerin Ines Dallaji.

(c) Frank Beatty /// Emmett Kelly /// Design by Lara Cortellini

gatekeeper (noun) – a person, system etc. that decides whether somebody/something will be allowed, or allowed to reach a particular place or person

Manche von uns kennen vielleicht das Gefühl, wenn Dinge schwerer sind als sie sein sollten. Vor allem, wenn man sich im Kulturbereich bewegt. Irgendwie antwortet niemand auf meine Emails, irgendwie werden alle eingeladen außer mir. Irgendwie stehen manche vor einer undurchdringlich scheinenden Wand und andere gehen durch die Tür… Natürlich können die Gründe für eine Flaute alles Mögliche beinhalten, doch oft führt man den Umstand, dass sich niemand für uns und unsere Kunst interessiert auf sich selbst und die eigenen Fähigkeiten zurück. Vielleicht sind wir einfach nicht gut genug – bis zum Gefühl, dass man allen etwas vorspielt, ist es nicht mehr weit.

Lassen wir den Blick aber auf einen gerne verborgenen Teil unseres Daseins schweifen, der wie eine dunkle Gewitterwolke über der sonst leuchtenden Vielfalt an Kunst liegen kann: Gatekeeping. Also die Person oder Institution, die darüber entscheidet, wer gezeigt wird, wer Geld bekommt, oder wer mitmachen darf. Die selbstbenannte „Ex-Philosophin“ und Youtuberin Natalie Wynn (Contrapoints) fasst es folgendermaßen zusammen:

“Der Kontext sagt dir, dass die Dinge, die du anschaust, Kunst sind. Denn wer auch immer darüber entscheidet, was im Museum hängt, entscheidet gleichzeitig darüber, was guter Geschmack, was schön und was wertvoll ist… Man lernt Geschmack aus der gesellschaftlichen Position heraus, in der man aufwächst. Mit Geschmack ist die Last des Erwachsenseins verbunden: Snobismus, Affektiertheit und Überheblichkeit.“

„Guter“ Geschmack und der Wert von Künstler*in und Werk sind also kein gottgeschaffener Konsens, sondern sie werden konstruiert.

Einerseits natürlich durch Nachfrage, aber trotzdem meist durch die, die entscheiden, was überhaupt für ein potenzielles Publikum erreichbar ist. Denn das schönste Gemälde und der beste Song interessieren niemanden, wenn sie nirgendwo zu sehen oder zu hören sind. Und aus einer akademischen Wertvorstellungen heraus wird die working class zwar gerne ästhetisiert, aber genauso gerne (bestenfalls) übersehen. Polly Toynbee, Kolumnistin für The Guardian, führt es sogar noch etwas weiter: „Ich denke, die Menschen glauben gerne daran, dass wir in einer Meritokratie (gesellschaftliche Vorherrschaft durch Leistung und Verdienst) leben. Denn es ist eine enttäuschende Vorstellung, dass wir es nicht tun. (…) Jede*r möchte so tun, als sei man Teil der Arbeiterklasse. Ich glaube das ist so, weil jede*r gerne daran glauben will, die eigene Position erarbeitet zu haben. (…) Und mit Sicherheit wollen die Menschen in einer privilegierten Position glauben, dass sie diese verdient haben.”

Als rein philosophisch-gesellschaftskritisches Konzept darf man Gatekeeping aber nicht abschreiben, auch wenn natürlich die meisten Ungerechtigkeiten in einem unfairen System liegen. Doch es macht einen Unterschied, ob etablierte Machtstrukturen überall wirken oder ob Einzelpersonen vielleicht die Möglichkeit auch nutzen, ihre Macht zu missbrauchen. Es mag überraschen, aber Österreich behauptet sich hier nicht unbedingt als Vorreiter der Offenheit gegenüber Neuem. Und nach meiner Recherche traue ich mir sogar folgende Aussage zu: Wir haben ein Problem.

Mit mehreren Künstler*innen und „Branchenmenschen“ habe ich mich zum Thema Gatekeeping unterhalten, und das Ergebnisbild sieht leider unangenehm aus. Die meisten möchten überhaupt nicht hier im Text vorkommen, denn der gute Ruf und die wohlwollenden Kontakte können leicht verspielt werden. Und ich werde nicht gegen nur eine bestimmte Institution feuern. Von Sätzen, die nach „Das sage ich dir aber unter der Hand“ folgen, darf man gar nicht anfangen – Fake-Jurys, die nur nach außen hin etwas zu bestimmen haben, bewusstes Ausgrenzen, leere Bewerbungsformulare für die Freund*innen der Kurator*innen, horrende Honorarnoten. Natürlich soll hier kein Klatsch und Tratsch reproduziert werden. Aber die Ausmaße dieser kleinen Geschichten sind alle Teil einer Sache, die anscheinend alle wahrnehmen und die trotzdem niemand wirklich benennen will. Denn oft wird man schnell als Außenseiter*in abgeschrieben, wenn man sich beschwert. Denn wer es nicht schafft, scheint es auch nicht verdient zu haben.

Ines Dallaji, u.a. Musikerin der Band Bad Ida, hat mir von ihrer Sicht erzählt. Sie hat letztes Jahr mit anderen eine Initiative gestartet, die eine bessere Transparenz bei Förderstellen wie dem Musikfond oder auch der Slot-Vergabe bei Kulturveranstaltungen wie dem Kultursommer gefordert hat. Sie sagte mir im Gespräch folgendes:

Ines von Bad Ida /// (c) Carina Antl

„Bands und Musiker*innen wollen sich natürlich nicht die Zunge verbrennen.”

“Du möchtest nicht öffentlich Kritik äußern, weil du weißt, dass du dann nicht mehr drankommst. Du brennst damit Brücken ab. Deshalb gibt es vielleicht mal kurz Postings wie „Oh schade, jetzt habe ich mich schon drei Mal beworben und es wird wieder nichts.“ und andere schreiben, dass es ihnen genauso geht. Es gibt dann aber immer schnell auch die Gegenstimmen, die meinen, dass eh alles fair ist. Also nach dem Motto: So wie ihr das darstellt, ist es nicht - aber wir können das auch nicht mit nachvollziehbaren Argumenten belegen.

Und oft ist es leider so, wenn dann wirklich eine Band postet, dass sie sich bei bestimmten Veranstaltungen nicht mehr bewerben wollen, weil der ganze Prozess so undurchsichtig und erfolglos ist, dann schaut es für andere gleich so aus, als würden die Personen nur nach Bestätigung suchen. Die Frage ist dann, ob man sich als Künstler*in wirklich nachsagen lassen will, dass man auf Social Media nach Anerkennung sucht oder ein verletztes Ego hat. Ich habe sicherlich schon viele positive Erfahrungen gemacht und auch von meinen Verbindungen profitiert, aber ich bin auch die erste die etwas sagt, wenn ihr etwas negativ auffällt. Es gibt einfach nicht die gleichen Chancen für alle. Und wenn es nicht die Connections sind, dann ist es die Wirtschaftlichkeit und das Budget dahinter. Das ist oft der Grund, warum es bei manchen gut funktioniert und bei manchen leider nicht. Vielleicht sind auch nicht alle gleich talentiert oder ausgebildet, und es ärgert mich, wenn schlecht gemachte Musik als neuer Hype aufgeblasen wird.“

Bohema: Hast du das Gefühl, dass es überhaupt möglich ist, eine gute Förderung oder einen Festival-Slot zu bekommen, wenn man in der Szene nicht so gut vernetzt ist?

Ines: Hätte ich nicht verschiedene Kontakte über die Jahre aufgebaut, dann wäre meine Ausgangsposition viel schwieriger gewesen. Und sie ist immer noch sehr schwierig, einfach weil wir Musik machen, die nicht zum Mainstream passt. Und für die der Markt in Österreich wahrscheinlich zu klein ist. Andererseits wissen wir nicht, welchen Markt es gäbe, weil es die professionellen Partner*innen für diese Art von Musik nicht gibt. Es gibt ein paar Player, die bestimmen und das geht im Alternativbereich alles Richtung Indie. Das kann auch gute Auswirkungen haben, aber genremäßig sehe ich sehr wenig Spielraum.

B: Und bei den Radios hast du dann doch oft wieder alte weiße Männer, die über das Programm entscheiden.

I: Genau, in den meisten Radios ist es schon so, dass da schon lange immer die gleichen sitzen. Und die entscheiden eben darüber, was gespielt wird. Es würde vielen Künstler*innen enorm helfen, wenn sie mehr Präsenz in den Medien hätten. Aber dass man mal eine Antwort von Redakteur*innen bekommt, funktioniert natürlich leichter, wenn man jemanden kennt.

B: Hast du das Gefühl, dass eine Person mit viel Entscheidungsgewalt auch die Möglichkeit hat, dich zu blockieren, wenn sie dich nicht mag?

I: Bestimmt. Wenn dich in einer Jury z.B. jemand nicht mag, dann wird es nichts.

B: Ich finde es problematisch, dass erfolgreiche Künstler*innen ihre Rolle vom gebuchten Act zum Jurymitglied wechseln können. Jemand kuratiert im einen Jahr und spielt im nächsten als Headliner bei derselben Veranstaltung. Wie siehst du das?

I: Finde ich sehr problematisch und sehe ich auch z.B. beim Popfest. Künstlerin XY spielt, dann kuratiert sie im nächsten Jahr, und andersherum. Vielleicht sollte man abrücken von dem Konzept, Künstler*innen als Kurator*innen an vorderste Front zu stellen, sondern ein Team kreieren, das basisdemokratisch miteinander entscheidet. Das Prinzip Musikfond funktioniert ja anscheinend so: Jede*r darf vornominieren. Und dann wird am Tisch entschieden, wer was bekommt. Dann ist aber wieder die Frage, nach welchen Kriterien die Vorentscheidung getroffen wird. Meine Vermutung ist aber, dass sowieso mehr Menschen Mitspracherecht haben als angegeben. Manche Künstler*innen haben auch z.B. Eltern in der Szene. Da ist es manchmal nicht schwierig nachzuvollziehen, wer sich woher schon kannte.

B: Das heißt es fehlt einerseits, dass offengelegt wird, wie die Abstimmungen verlaufen und wer wofür gestimmt hat. Weiß man was zum Gehalt, das man als Festivalkurator*in oder Jurymitglied bekommt?

I: Leider nicht. Es wurden ja die Honorare vom Musikwirtschafftssymposium im Volkstheater offengelegt. Ein Skandal, nach dem dann natürlich alle Beteiligten ihre Rechtfertigungen ausschicken, warum sie ein 6000,- Honorar für eine Moderation bekommen haben - weil es ja doch viel Arbeit war. Es ist auf jeden Fall sehr viel Geld da für diese Veranstaltungen und da sind die anderen Künstler*innen-Honorare schon wieder im unteren Bereich, wenn man noch bedenkt zu welchen Konditionen man bei manchen Festivals spielt: Mitten in der Stadt, in der sengenden Hitze vor 15 Interessierten und 10 Betrunkenen ist auch nicht unbedingt wertschätzend.

industry plant (noun) - is an artist who has Major/Indie Label backing their movement but presents themselves as “selfmade". They act as if things are miraculously happening for them based on their talent.

B: Kennst du das Phänomen der “Industry Plant”?

I: Ja, schon. Das ganze kann man z.B. auch auf Spotify ausweiten. Es gibt einige, die persönlichen Kontakt zu Spotify haben oder zu denen, die erfolgreiche Playlists betreiben. Am Freitag kommt dann eine neue Single eines*r Künstlers*in raus und ist gleich auf den 4 wichtigsten Playlists in Deutschland und Österreich. Generell ist es ein einziger Fake, bei dem ich nicht mitmachen will und mit dem so viel vorgelogen wird. Wer Geld hat, kauft sich Streamingzahlen. Das sind meistens Bots, irgendjemand kassiert und wenn du die Zahlungen einstellst, sind die Zahlen wieder weg. Das ist alles so schade. Du fakest Nachfrage. Meine Hoffnung ist dabei, dass Veranstaltende nicht darauf hineinfallen. Ähnlich läuft es natürlich auf Social Media.

B: Was hältst du von einer wechselnden Laien-Jury oder Laien-Kurator*innen, als eine Art Ehrenamt?

I: Es wäre super, Konzertbesucher*innen und Musikfans die Wahl zu lassen. Also sie wie Schöffen dazu einladen würde, über etwas abzustimmen, das sie selbst gerne sehen möchten…

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