Andreya Casablanca is back!

Nach fünf Jahren ohne große Releases wirkt Andreya Casablancas Solo-Debüt wie ein lang ersehntes Comeback. Mit Melancholie und Nuanciertheit zeigt sie, wieso sie in den letzten Jahren schmerzlich vermisst wurde.

© Andrea Wieczorek

Andreya Casablanca ist zurück – und zwar auf Albumlänge. Auf ihrem Debütalbum See More Glass trifft sie einen Nerv, der in den letzten Jahren unberührt geblieben ist. Die Stimmung des Albums schwankt immer zwischen einem gefühlvollen Sehnen und einer dröhnenden Auseinandersetzung mit sich selbst durch eindrucksvollen Garage-Rock voller Indie-Einflüsse. Der Sound, den die Hörenden bisher kannten, ist immer noch unverwechselbar, nun jedoch weitere fünf Jahre gereift.

Die Rückkehr des First Wave Girlcore

Als 2019 die EP She Says von Gurr herauskommt, weiß man noch nicht, dass es das womöglich letzte gemeinsame Projekt von Andreya Casablanca und Laura Lee sein könnte. Nach eigenen Touren und Opener-Gigs für Bands wie Kraftklub oder AnnenMayKantereit, gibt das Duo erstmal eine Pause bekannt. Während Laura Lee mit ihrem neuen Projekt Laura Lee & the Jettes bereits kurz darauf neue Musik nachlegt, wird es zunächst ruhig um Andreya Casablanca – bis jetzt!

Gurr kannte man immer als eine Garage-Rock Band, die in ihren Songs straight-forward ist. Erst auf dem letzten gemeinsamen Projekt des Duos begeben sie sich auf eine eher melancholische Ebene, die sich auch definitiv im Debüt von Andreya zeigt. Bereits das Cover und der Titel geben einen Vorgeschmack auf den Inhalt. Am Cover-Artwork sieht man Andreya vor einem schwarzen Hintergrund. Sie ist vollkommen weiß, komplett überzeichnet, als wäre sie ein Geist in einer TV-Show. Dies impliziert auch gleich den Albumtitel See More Glass, denn man stellt sich die Frage, ob man Glas überhaupt sehen kann? Man sieht durch Glas hindurch und meist ist es durchsichtig. Was also sieht Andreya Casablanca da? Und was sehen die Hörenden in ihrer Musik?

Gefangen in Zwischenwelten

Der erste Song des Albums scheint die Hörenden direkt in den Bann ziehen zu wollen. Mit Come In wird man nicht nur auf dem Album begrüßt, sondern direkt hereingebeten und zum Zuhören eingeladen. Mit zarten Gitarrenklängen und träumerischem Gesang lockt Andreya Casablanca in ihr Album hinein, indem sie die besondere Melancholie ihrer Stimme nutzt. Man ist nun da, und will unbedingt wissen, was folgt.

Auf der ersten Single Trapped In Space bekommen die Hörenden einen Vorgeschmack über die Attitüde des Albums. Es geht um schlechte Kommunikation innerhalb einer Beziehung und die Unklarheit, die daraus folgt. Es geht um Zwischenwelten und Schwebezustände, in denen man gefangen ist. Auch der Albumtitel wird referenziert. Andreya ist im Musikvideo immer wieder in einer kleinen Glasbox gefangen. Während im Song zu hören ist: „Thank you for all the flowers that you sent me“, sieht man Andreya Casablanca in einem unfassbar schnelllebigen und stressigen Video, wie sie einen Blumenstrauß zerstört.

Sie bricht mit einem Knall aus dem Raum aus, der sie gefangen hält.

In Once You Laugh geht es auf eine bestimmte Art und Weise erneut um ein Gefangen-Sein, diesmal in der ernsten erwachsenen Welt. Während Andreya in einer Ambivalenz singt, die sich zwischen einer modernen Ernsthaftigkeit und totaler Überforderung bewegt, unterbricht sie ihren Gesang mehrere Male, um ihre Verzweiflung herauszuschreien. Das dazugehörige Musikvideo begibt sich dabei in den Großstadtdschungel. Andreya Casablanca baut sich ihre eigene Tanzfläche und Bühne auf einem Parkplatz auf und macht Stepptanz, während man immer wieder bedrohliche Wolkenkratzer mit verspiegelten Fenstern sieht, hinter jedem davon ein anderes Büro. Sie tanzt über die Bedrohlichkeit des „serious business“, das sie besingt, hinweg.

Delulu-Phase

„Delulu-Phase is truly the best about having a crush.“ Dies schreibt Andreya Casablanca in der Caption eines Insta-Posts, der sich auf ihren Song Dreamin bezieht. Mit einem träumerischen Instrumental besingt sie genau das, was dieser Satz beschreibt. Das unendliche Romantisieren einer Person oder einer Lebensphase, die man eigentlich noch gar nicht kennt. Der Wunsch, dass es für immer so bleibt und die endgültige Erkenntnis, dass dieses Streben nach dem Für-Immer vielleicht nur zu Schmerz führt. Mit einer Stimme, die jederzeit stark und gefestigt ist, aber trotzdem ein innerliches Zerbrechen in sich hat, fühlen sich einige Stellen des Songs beinahe, wie sehnendes Wehklagen an.

Ein Sehnen danach, dass dieses Gefühl nie mehr aufhört. Ein Wehklagen, weil man schon weiß, dass dies nicht möglich ist.

Das Hoch des Romantisierens und das Herunterfallen in die Realität setzen sich auch im nächsten Song Lose Somebody fort. Bei einem Versuch die eigenen Gefühle zu verstehen, besingt Andreya Casablanca das Verlieren von jemandem, was direkt an eine romantische Beziehung denken lässt, jedoch auf Andreya selbst bezogen ist. Made You A Figure behandelt im Gegensatz dazu das Sehnen nach jemand anderem, den man zu einer Figur gemacht hat, nur um ihr beim Staubfangen im Regal zuzusehen. Der eineinhalbminütige Song wirkt fast schon wie eine Zäsur zwischen den restlichen Tracks, die musikalisch etwas Neues einleitet, aber inhaltlich zurückblickt.

Warum jetzt?

Doch wieso kommt genau jetzt ein neues Album von Andreya Casablanca heraus? Nach der Ankündigung, dass Gurr eine Pause machen würde, wird es erstmal ruhig um sie. Lediglich der Song Talk About It aus 2020 gibt uns eine Hörprobe von einer Solo-Andreya. Im Podcast Peptalk von My Ugly Clementine geht es 2022 in einer Folge mit ihr auch teilweise um das Ausbleiben von Musik ihrerseits. Im Mittelpunkt stehen dabei Themen wie mentale Gesundheit und Belastungssteuerung. Dabei beschreibt Andreya Casablanca den Druck, der auf kleinen Bands liegt, immer zu liefern, selbst wenn die körperliche und mentale Verfassung dies eigentlich nicht zulässt. Ebenso stellt sie die Möglichkeit in Zukunft zu touren ein wenig infrage und erzählt davon langsam und in Ruhe Musik zu machen, um den Druck zu vermindern. Bei ihrem jetzigen Debüt ist dies auch zu merken. In diesem Album stecken Jahre an Arbeit und eine detaillierte Nuanciertheit in jedem Wort und jedem Klang. Der inständige Wunsch nicht wieder fünf Jahre auf Neues von Andreya Casablanca warten zu müssen, wird durch die Qualität ihrer Kunst ausgeglichen. Das Warten auf See More Glass hat sich gelohnt. Geduld ist nicht umsonst eine Tugend.

Das Album-Release-Konzert zu Andreya Casablancas Debüt findet am 23.10.2024 im Monarch in Berlin statt.

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