Chillen mit den Babygangstern
Der US-Indie-Regisseur Harmony Korine macht mit seiner Firma EDGLRD Filme, die wie Videospiele wirken. In Baby Invasion fallen Gangster mit Babygesichtern über reiche Leute her. Ist das die Zukunft des Kinos?
© EDGLRD, Creative Counsel
Harmony Korine ist schon über 50, wirkt aber wie ein neugieriger Teenager. Im Mai 2024 konnte man ihm dabei zusehen, wie er mit Dämonenmaske ein überdrehtes Hip-Hop-Set im berühmten Boiler Room in Miami spielte. 2023 und 2024 präsentierte er Filme im Videospiellook bei den Filmfestspielen in Venedig. Auf eine klassische Karriere als Regisseur hat er dagegen keine Lust mehr. „I don’t watch movies anymore. I’m bored by them“, sagt er im Interview mit Dazed und verweist selbstbewusst auf sein 2023 gegründetes Designkollektiv EDGLRD, das manchmal Filme dreht, manchmal DJ-Sets schmeißt, Skatevideos schneidet, Klamotten verkauft - all das mit maximaler Liebe für hippe Technologien. Korine: „It finally feels like technology is starting to coincide with the level of dreams.“
Nimmt man das wörtlich, träumt Korine wohl von Online-Egoshootern, in denen Gangster mit KI-designten Babymasken über die Anwesen reicher Menschen herfallen. So zumindest eine vage Inhaltszusammenfassung von Baby Invasion, dem exzesshaften zweiten Spielfilm des EDGLRD-Kollektivs. Nach seiner Erstaufführung in Venedig 2024, steht er seit dem 21. März 2025 als Streaming-Only-Release auf der Website des Kreativunternehmens zum Download bereit und sorgt seitdem für kontroverse Reaktionen im Netz.
Fortnite statt Kino
Kontroverse kann Harmony Korine. Schon sein erster Spielfilm Gummo (1997) irritierte das Publikum mit verwackelten Aufnahmen einer pervertierten Kleinstadtcommunity. Nach einigen weniger beachteten Indie-Filmen und Kooperationen mit der Filmlegende Werner Herzog versuchte er, Hollywood zu erobern. Oder so ähnlich. Sein Drama Spring Breakers (2012) besetzte er mit jungen Stars wie Vanessa Hudgens, Selena Gomez und Ashley Benson. Das Marketing suggerierte eine packende wie erwartbare Mischung aus Crime und Coming-Of-Age vor der Partykulisse Floridas. Tatsächlich wurde das neugierige Publikum mit einer psychedelischen Neonhölle konfrontiert: Endlos geloopte Szenen, redundante Dialoge, überlaut eingespielte Waffensounds, kaum Action und James Franco als Gangsta mit einem Faible für Britney Spears. Korine ging es nach eigener Aussage um Stimmung, einen „beach noir“, der Plot war zu vernachlässigen. Die Grundlage für alles Kommende war gelegt.
Will man polemisch sein, könnte man meinen, der alternde Korine hätte sich von der Jugendkultur der US-amerikanischen Spring Breaks nie verabschiedet. Hatte er seinen frühen Durchbruch mit dem Drehbuch für Larry Clarks Jugenddrama Kids (1995), ist auch seine 2023 gegründete Firma EDGLRD bemüht, mit Skatekultur und (Pseudo-)Videospielen am Puls der Jugend zu sein. Natürlich kann man darüber rätseln, wie ironisch die Selbstbezeichnung „Edgelord“ ist, in jedem Fall geht sie mit hohen Maßstäben einher. Als nichts geringeres als „post-cinema“ soll man die EDGLRD-Filme verstehen, die sich mehr an Fortnite orientieren wollen als an 99% der Kinofilme. Filme seien überhaupt viel langweiliger als das beliebte Onlinegame, meint Korine im Interview mit The Japan Times.
© EDGLRD, Creative Counsel
Wer mit Videospielerfahrung an Baby Invasion geht, ist in jedem Fall besser vorbereitet. Schon der mit Infrarotkameras gedrehte EDGLRD-Vorgängerfilm Aggro Dr1ft (2024) wirkt wie ein Game. Im Mittelpunkt steht ein Killer, der einen dämonischen Gegner ermorden möchte. Das alles im kriminellen Milieu von Miami und (trotz der psychedelischen Optik) mit ziemlichem Grand Theft Auto: Vice City-Vibes. Baby Invasion präsentiert sich dagegen als Multiplayer-Shooter mit gruseligen Grafiken. Komplett „post-cinema“ sind beide Filme nicht. Korine verwischt die Grenze zwischen Videospiel und Kino, aber nicht zu sehr. Interaktiv oder auch nur besonders dynamisch sind die (nicht spielbaren) Spielfilme nicht. Im Gegenteil – und das ist gut so. Denn gerade die fehlende Dynamik macht Baby Invasion so spannend.
Vibes and Loops
„Spring Break forever“ gurrt James Franco in Spring Breakers – und hat recht. Der mehr als 10 Jahre jüngere Baby Invasion hat noch immer mehr Ähnlichkeit mit Korines handlungsarmem „beach noir“ als mit einem klassischen Videospiel. Der lose Plot um anonyme Player, die mit KI-gemorphten Babyfaces in die Anwesen reicher Leute einbrechen, dient vor allem dazu, coole bis skurrile Gesten zu inszenieren. Action, Geballere, Gewalt, überhaupt eine Actionhandlung gibt es nur in Ansätzen oder indirekt. Meist sind die gezeigten Opfer schon gefesselt oder tot. Stattdessen sieht man die Spieler durch die Apartments hüpfen, einander Mittelfinger zeigen, auf einem Klavier herumklimpern oder Pillen schlucken. Daneben läuft ein rammelvoller Livechat, der die Ereignisse kommentiert und der Social Media-konformen Selbstdarstellung der Player eine zusätzliche Dimension gibt. Hier geht es weniger ums Handeln als um die verhundertfachte Selbstbespiegelung.
Abwechslung versprechen aufpoppende Werbefenster, manchmal auch Aufträge. Etwa soll eine gefangengenommene Frau wichtige Infos preisgeben. Weiter passiert aber nichts. Die Frau entfernt sich weinend, der Spieler rennt ihr hinterher. Fertig. Die Gewalt bleibt aus. Sonderlich voyeuristisch ist und war Korine nie. Auch Spring Breakers liebäugelte mehr mit Gewaltexzessen und Pornografie als beides filmisch umzusetzen.
Stattdessen hängen wir in Baby Invasion mit den Gangstern herum, die wie die Slacker aus Korines früheren Filmen in der digitalen Sphäre gammeln. Dabei wird der Film immer halluzinogener. Plötzlich taucht ein riesiger gehörnter Babykopf aus dem Wasser vor dem Anwesen, ein Dämon mit roten Lippen tanzt am Horizont, ein weißer Hase hoppelt herum. Auch Gott lässt sich blicken. Schließlich findet sich der Spieler in einem seltsamen Tunnel voller verzerrter Grafiken wieder und schießt rote Männchen über den Haufen. Währenddessen und überhaupt während des ganzen Films ballert das Techno-Set der Dubstep-Legende Burial. Das ist eintönig – oder hypnotisierend. In jedem Fall spielt es wie Spring Breakers mit der Erwartungshaltung des Publikums. Wer Action und Gewalt erwartet, bekommt sie nicht.
Vibes and Loops. Das hat Harmony Korines Schaffen schon immer ausgezeichnet – und das zeichnet auch Baby Invasion aus. Wer mit den sonderbaren Baby-Gangstern in die Anwesen steigt, betritt einen ewigen, flackernden Wartebereich. Ein infantiles Spieleparadies, irgendwie pervers, irgendwie langweilig. Ist das „post-cinema“ oder schon „post-videogame“?