Eidechse und Endometriose
Eine absurde Reise in die patriarchal geprägte Geschichte des Frauen*körpers, an der Seite einer Eidechse. Das war DIPPEL. DIAGNOSE CIN 3 im Kosmos Theater.
Eidechse Rea (Carmen Kirschner) trauert um ihre beste Freundin Em und möchte Klarheit, wieso sie ihr ihre Krankheit verschwiegen hat. Damit beginnt im Kosmos Theater eine Reise in die Welt der Frauen*gesundheit. Abwechslungsreich und spektakulär gestaltet, erzählt der Text von Carmen Kirschner unter der Regie von Anna Kirstine Linke wie schwierig es ist, dass Symptome von Frauenärzt*innen ernstgenommen oder korrekt eingeordnet werden. Und wie die Frauen*medizin durch mittelalterliche Mythen und Sexismus bis heute geprägt ist. Wir lernen, was eine Schokoladenzyste ist und wie wichtig Konsens auch für die medizinische Gesundheit ist.
Endometriose, das Chamäleon
Rea hat Dippel. Sie will es nicht wahrhaben, aber sie sind da und auch ihr abgetrennter Eidechsenschwanz wächst nicht mehr nach. Etwas ist anders an ihrem Eidechsenkörper. Nach einiger Überwindung erzählt sie ihrem Weggefährten Mo (Josefine Reich): „Ich habe Dippel“. Genauer gesagt Schokoladenzysten, also Zysten voller Gebärmutterähnlichem Schleim - Endometriose. Im Durchschnitt dauere es siebeneinhalb Jahre, bis es zu einer Diagnose der schmerzhaften und körperveränderten Krankheit kommt. Denn nur das geschulte Auge erkennt diese Zysten auf dem Ultraschallbild und in den meisten Fällen braucht es eine Bauchspiegelung.
In einem Rollenspiel demonstrieren die Darstellerinnen wie so ein Frauen*arzttermin ablaufen kann und wie schnell Patient*innen abgewimmelt und ein schlechtes Gewissen eingeredet bekommen. Die Pille oder Ibuprofen seien anscheinend die einzigen Behandlungsmethoden von Gynäkolog*innen. Und kommen in dieser Inszenierung gar nicht gut weg. Dass die aktuelle Forschungs- und Behandlungslage in der Frauen*heilkunde schlecht aussieht, ist nicht Schuld der behandelnden Gynäkolog*in, sondern Teil der systematischen Unterdrückung von Frauen* in der Medizin und Gesellschaft. Schlussendlich versteht Rea ihrem Körper und ihrer Krankheit mit Empathie entgegenzukommen und um das zu trauern, was ihr weggenommen wurde.
„Zwickt‘s di?“
Die Inszenierung überzeugt mit ihrem kreativen Setdesign: Das Publikum sieht UV-Bilder von Zellveränderungen der Gebärmutterschleimhaut vergrößert auf dem Boden, die “Dippel” werden als Inszenierungskörper nach und nach ins Bild geholt. Auch das Eidechsenkostüm mit Eidechsenkopf, den Carmen Kirschner immer wieder aufsetzt, wird passend eingesetzt, um die Handlung voranzutreiben. Es wird von Powerpoint-Referaten zu Songs über Tanzeinlagen bis hin zu Hits von The 1975 gewechselt. Trotzdem perfekt abgestimmt mit den liebevollen und ruhigen Sequenzen der Inszenierung, wird der Thematik die nötige Emotionalität und Empathie entgegengebracht.
Witzig, kurzweilig und aufschlussreich gestalten Carmen Kirschner und Anna Kristine Linke DIPPEL. DIAGNOSE CIN 3, gyn health for lizards. Man verlässt die Aufführung mit einer geringeren Tabuhaltung und mehr Facts, ebenso mit dem Gedanken im Hinterkopf
„Ich muss mal wieder meine*n Gyn anrufen…“
DIPPEL. DIAGNOSE CIN 3, gyn health for lizards läuft noch bis zum 13. Oktober im Kosmos Theater.