SLASH Kurzkritiken, Teil 2

Biber statt Spinnen, Hunde mit Menschen: weitere Kurzeindrücke vom jüngst begrabenen SLASH 2023.

Hundreds of Beavers /// (c) Filmverleih

Death Becomes Her (R: Robert Zemeckis)

“There’s a hole in my stomach.”

Die künstliche Verjüngung von Hollywood-Faces ist heute Gang und Gäbe. Ob Robert DeNiro in Scoresese’s The Irishman oder Carrie Fisher in Rogue One: A Star Wars Story. Die Leinwand gewordene ewige Jugend als Verlängerung des Makellosen. Zemeckies Film könnte eine Art Urtext für diese Idee sein, die er mit Meryl Streep als alterndes Schönheits-Ideal der New Yorker Bühnen und ihrem angeheirateten Schönheits-Chirurgen Bruce Willis durchexerziert. Der Makel als Sujet. Was im Film ein Zaubertrank leistet, ist uns heute als CGI geläufig. Mit den damals noch brandneuen Gestaltungsmöglichkeiten wird im Film fast kindlich-ausprobierend gespielt. Hälse werden verdreht und Beine wie leblosen Puppen ausgekugelt, die sich dann wieder mir nichts dir nichts einrenken. Dieses Verhöhnen des ‚abled-body‘ bleibt aber nur ein unabsichtliches Rütteln am normativen Gerüst und versandet im restlichen Chaos des Films. Umso mehr muss die kuratorische Arbeit zu diesem Kultfilm mit Kanten gelobt werden: der Film folgte auf eine Drag-Show im Kino-Saal.

Ein schräger Abend seicht-lustvoller Reflektionen über Kino, Identität und Körper.

Hundreds of Beavers (R: Mike Cheslik)

Visuelle Komik funktioniert direkter als jeder geistreiche Jokus. Keine Pointe wird hier ausgesprochen, denn man sieht sie ja. Aus diesem Grund kann die Stummfilmkomödie auch nur mit dem arbeiten, was auf der Leinwand arrangiert ist. Was funktionieren soll, muss systematisch vorbereitet und zurechtgelegt werden. Das erklärt den eigensinnigen, schwarz-weißen, Look & Feel von Cheslik’s Film. Frei von Dialog erarbeitet er sich damit einen eigenen Charme der klaren Formen und Wiederholungen. Hundreds of Beavers macht das Diagramm seiner eigenen Erzählung zum Thema. Da ist zum Beispiel eine Landkarte, die die Erzählung ver-Ort-et und die Zusammenhänge der einzelnen Schauplätze visualisiert. In den stärksten Momenten mutiert der Film zum reinen Apparatus, dessen kurios-simple Funktionsweise man im Publikum dann schlichtweg bestaunt und über dessen Kunststücke man lacht. Der Kontext der Geschichte stört dabei und bremst den Film häufig aus. Daraus ergeben sich unnahbare Charaktere, denen man ihre Instrumentalisierung stark anmerkt.

Trotzdem: Ein visueller Zirkus!

The Seeding (R: Barnaby Clay)

The Seeding stellt sich konsequent selber Beine, indem durchgehend Handlungsstränge angedeutet werden, die um Längen interessanter sind, als das Endresultat. Ein Fotograph verirrt sich nach einer eigenartigen Begegnung in der Wüste. Ein Glück, dass er eine Hütte mitsamt hilfsbereiter Gastgeberin findet. Ein Pech, dass diese Hütte in einer Grube steht, aus der man ihn nicht mehr heraus lässt. Ab diesem Punkt an wird sich ordentlich Mühe gegeben, die Umstände so mysteriös wie möglich erscheinen zu lassen. Sonnenfinsternis, unmenschliche Gruselgeräusche und die wirklich spannend inszenierte Location sorgen für ein Kammerspiel, bei dem merkwürdiger Alltag und Tristesse mit dem  Gefühl gemischt wird, dass sich hinter dem Rand der Grube weitaus Größeres abspielt. Zumindest bis gen Ende alle Ambiguitäten zugunsten des simpelsten Ausgangs fallen gelassen werden. Dass der Film diesen durch seinen Titel und seine Anfangssequenzen quasi verrät, macht die Frustration um ein verloren gegangenes Rätsel perfekt.

Horror Maniacs /// (c) Filmverleih

Horror Maniacs: I Want to See Pigsblood! (R: Martin Nechvatal)

Es wär obsolet, eine klassische Review zu Horror Maniacs, einem Film, der vor fast 30 Jahren von einem damals 17-Jährigen gedreht wurde, zu schreiben. Jugendliche Schauspieler lachen in ihren Todesszenen, als Soundtrack dient die Musik, die man halt grade auf Kassette hatte und es wurde sich sprichwörtlich und tatsächlich in übertriebene Gore- und Splatter-Effekte hineingekniet. Und genau diese Kuriositäten machen es so herrlich, dass auf dem SLASH Platz für Horror Maniacs geschaffen wurde. Denn alles, von der Amateurhaftigkeit bis zu der in jeder Szene spürbaren Motivation macht den Film zu einer wunderbaren Abwechslung inmitten von Neuerscheinungen und Horrorklassikern und zeigt eindrucksvoll, dass das Team des Slash-Festivals abseits des Kanons agieren und kuratieren kann. Ein wahnsinnig unterhaltsames und lustiges Screening voller Schweine- und Herzblut.

Restore Point (R: Robert Hloz)

Durch ein digitales Backup können kürzlich verstorbene Menschen wiederbelebt werden. Nur wird dieses System in letzter Zeit sabotiert. Wie und warum- das versucht die Protagonistin in Robert Hloz Langfilmdebuts herauszufinden. Die Prämisse von Restore Point schreit also nach Cyberpunk. Umso faszinierender ist es, dass im ersten tschechischen Sci-Fi-Film seit Dekaden ein futuristisches Prag als Kulisse dient. Dies sorgt für eine neue Genreästhetik, die zwar von amerikanischen und ostasiatischen Vorläufern inspiriert, am Ende aber auf eigenen, stilistisch doch sehr europäischen Beinen steht. Das „Cyber“ ist also da, wenn auch an vielen Stellen durch Budgetbeschränkungen charmant wacklig. Leider ist es um das „Punk“ in „Cyberpunk“ um einiges schlechter bestellt. Denn der Film schafft über seine Laufzeit hinweg kaum, Kritik an eigenen Zukunftsentwurf zu üben. Dass schlechte Individuen die sonst lupenreinen Strukturen von Polizei und Tech-konzernen korrumpieren und man einfach besser im Team arbeiten muss, mag zwar eine Moral sein, die Restore Point von anderen Werken des Genres abgrenzt- einen aber trotzdem verwirrt und enttäuscht zurücklässt.

Les chambres rouges (R: Pascal Plante)

Les chambres rouges /// (c) Nemesis Films Productions

Kelly-Anne, Model und erfolgreich im Online-Poker, pilgert täglich zum Gerichtsverfahren des „Dämons von Rosemont“, der drei Minderjährige brutal vor laufender Kamera für das große Geld im Darknet ermordet haben soll. Die Frage danach, was sie dort eigentlich genau sucht, zieht den Spannungsbogen bis zum Anschlag auf und lässt am Ende eine diffuse Verstörtheit und Verunsicherung zurück. Dass man vergeblich auf eine blutige Eskalation oder vollkommene Auflösung der Intentionen der immer abgründiger wirkenden Protagonistin wartet, verstärkt nur die Wirkung dieses Mystery-Thrillers, der seiner Genrebezeichnung wahrlich alle Ehre macht.

Femme (R: Sam H. Freeman & Choon Ping Ng)

Jules wird nach einem seiner Drag-Auftritte von einer Gruppe Männer angegriffen. Als er einen davon wiedertrifft, beschließt er, ihn zu daten und ihm eine Falle zu stellen. Was beginnt wie eine Revenge-Storyline bekommt spannende Auswüchse durch die Vielschichtigkeit der Hauptcharaktere, die einem sehr feinfühligen Drehbuch- und Regie-Duo sowie einer großartigen schauspielerischen Leistung von Nathan Stewart-Jarrett und George MacKay geschuldet ist und keine eindeutige schwarz-weiß-Trennung zwischen ‚Gut‘ und ‚Böse‘ zulässt. Im Zentrum steht der unlösbare Konflikt zwischen einem selbstreflektierten und offen queeren Lebensentwurf und einer klassischen, toxischen Männlichkeitsfassade, die nicht nur anderen, sondern auch dem, der sie aufrecht zu erhalten versucht, enorm schadet.

Conann/She is Conann /// (c) Filmverleih

(She is) Conann (R: Bertrand Mandico)

Wiederholt brutal ermordet wird Conann von ihrer jeweils 10 Jahre älteren Inkarnation. Die schöne Metapher über das Altern hält ihre gesamte Lebensspanne und so erzählt sich der Film als eine Reihe von Episoden aus jedem Jahrzehnt. Ein hundsköpfiger Dämon begleitet die Reise mit Polaroids. Nachträglich entsättigter Farbfilm in surrealen Studiobauten unter Abwesenheit männlicher Besetzung prägen den Film visuell. Wird die barbarischste aller barbarischen Königinnen am Ende triumphieren? Extraladung Glamour, Glitter and Gore!

DogMan (R: Luc Besson)

Persönliche Probleme und Unsicherheiten der letzten Jahre ließen sich in Luc Bessons neuem Film erkennen, heißt es in den einführenden Worten beim SLASH. Eine merkwürdige Formulierung, so wird der Regisseur von mehreren Frauen des sexuellen Übergriffs beschuldigt. In DogMan lässt Bresson nun die Hunde los – der titelgebende Protagonist/Superheld (?) ist Hundefreund durch und durch, die Vierbeinder wiederum tun alles, was er sagt. DogMan verwehrt sich einfachen Genre-Einordnungen, ist schließlich ein wilder Mix aus Gangsterfilm, Traumastudie und Antihelden-Epos. Bemerkenswert gespielt von Caleb Landry Jones, dessen endgültiger Durchbruch eh eine Frage der Zeit ist, zeitweilig amüsant überdreht, zeitweilig sehr gestrig, Hunde 1A.

Manodrome (R: John Trengove)

Manodrome /// (c) Park Circus/Universal

Die Parallelen zu Martin Scorseses Taxi Driver sind eindeutig. Ralphie, verbissen gespielt von Jesse Eisenberg, ist Uber-Fahrer, in ihm brodelt es zunehmend. Nichts scheint so recht zu klappen in seinem Leben, er fühlt sich ungeliebt, unrespektiert, verhöhnt. Regisseur John Trengove liefert mit Manodrome den Versuch einer Studie über moderne Männlichkeit, schickt seinen Protagonisten nach dem Fitnessstudio in eine Art Männersekte, in dem Ralphie endlich gehört wird. Keine gute Lösung, das ist eh jeder Zuschauerin klar. Dem Thema spezifisch männlicher Befindlichkeiten mag der Film partout nichts hinzufügen, zu plump gerät das Ausdeklinieren Ralphies Ängste und Sorgen. Geschrien wird viel, grimmig geguckt, irgendwann geschossen. Scorseses (und Schraders!) „here is a man who would not take it anymore“ gerät in Manodrome zur unfreiwilligen Parodie, der Applaus im Metro-Kino wird von ironischen Kommentaren begleitet. „Here is a man on a Holzweg“, viel mehr kommt bei Manodrome leider weder narrativ, noch anderweitig rum.

Texte von Tom Kauth (Death Becomes Her, Hundreds of Beavers), Fabia Wirtz (The Seeding, Restore Point, Horror Maniacs), Tara Luger (Les chambres rouges, Femme), Andrej Haring (She is Conann) und Anton Schroeder (DogMan, Manodrome)

Bohema Bohemowski

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